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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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13. Heft
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Lienhard, Friedrich: Schwert und Bibel, [3]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0373

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Schwerf uncl BibeL

Novelle von F-riedrich Lienhard.

[Fortsetzung.]

Jjbi^ährend Pfarrer Steinäcker noch sein Gewissen erforschte und
[fJwt'nwt'ß im Geist die Predi"t des Vormittaos wiederholte, wurde

If/Mßw4)

draußen lebhafte Zwiesprache laut.

Margret begrüßte jemanden, der mit schallkräftiger Stimme nach dem
Pfarrer fragte. Die Stimme war nicht zu verkennen. Die Bemühungen
der neugierigen Aufwartefrau, den Ankömmling in ein Gespräch zu ver-
wickeln, mißlangen; der Baron strebte unaufhaltsam in die Stube und
langte gleichzeitig mit der höchst gespannten Wirtschafterin auf dem
Kampfplatz an. Es wiederholte sich das vorige Schauspiel: Margret wurde
in die Küche verwiesen, und die beiden Männer begrüßten sich ohne
Handschlag mit einem kurzen „Guten Morgen!“

Der Pfarrer war eine keineswegs verzagte Natur. Er war ernst, ja
in Sorgen, aber dabei fest und kühl, zumal er bemerkte, wie der krebs-
rote Baron mit Angriffsstimmung geladen war. Höflich lud er zum
Sitzen ein; aber der Alte lehnte ab.

„Ich danke! Die Affäre kann im Stehen erledigt werden.“

Er stand auf seinen Krückstock gestützt, nahm den zerknitterten
Brief aus der Tasche — und mit der Miene eines Gerichtsherrn, der
einen armen Sünder vor sich hat, erhob er seine tüchtige Stimme und
fragte schneidig:

„Darf ich fragen, ob das Ihre Handschrift ist?!“

Der Delinquent hatte keinen Grund, seine Handschrift zu verleugnen.
Ja, er gestattete sich, in Ruhe darauf hinzuweisen, daß er doch wohl eine
ziemlich deutliche Handschrift schreibe?

„Ich möchte unzweideutig von Ihnen selber hören, ob ich Ihnen diese
allerdings deutliche Handschrift zu verdanken habe! Es steht da: einem
Kommandoton bin ich unzugänglich — stimmt das?“

„Stimmt in der Tat, Plerr Baron! Ich bin einem Kommandoton unzu-
gänglich!“

Der Pfarrer sprach mit erhobener Stimme und fuhr fort:

„Doch steht da weiter: einer höflichen Bitte aber geborcht jederzeit
gern Ihr ergebener Rudolf Steinäcker, Pfarrer.“

„Es ist gut, mein verehrter Herr!“ schnarrte der Alte und steckte den
Brief wieder in die Tasche. „Sie bekennen sich also zu diesem Schreiben.
Nun möchte ich mir die Frage erlauben“ — und hier legte des Alten
Lunge derart los, daß die Fenster zitterten — „sagen Sie ’mal, sind Sie
eigentlich mein Pfarrer oder nicht?!“

Der angeschnarrte Rekrut kämpfte zwischen Zorn, Erstaunen und
Lachlust über diese gänzlich verfehlte Tonart des veralteten Batteriechefs.

„Ihr Pfarrer? Ihr Privat- und Leibpfarrer? Seit wann hätt’ ich denn
diese Ehre?“

„Sie wollen wohl Ausflüchte machen?!“ brüllte der ehemaligeBataillons-
chef unentwegt in demselben Ton.

Aber der Pfarrer blieb besonnen.

„Herr Baron,“ sprach er, „ wir wollen nicht vergessen, daß ich Geist-
licher einer Gemeinde bin und nicht irgendein Angestellter irgendeines
einzelnen Mannes. Wenn Sie als Patron und Gutsherr“ -

Doch der hochrote Artillerist war im Zuge, schlug mit der flachen
Hand auf den Tisch und tobte weiter.

„Keine Ausflüchte!“ schrie er. „Ich sage Ihnen, und wenn Sie sechs-
unddreißig Bekehrungskanonen auf Ihre Kanzel stellen uncl mich geflickten
Invaliden bombardieren — — schon gut! Ich werde mich mäßigen. Ich
habe meiner Tochter Juliane in die Idand hinein versprochen, ein wahrer
Engel zu sein hier in Ihrem Hause. Und das ist Ihr Glück! Das ist Ihr
ganz verfluchtes Glück! Sie können den alten Tolling einen Lügner,
Säufer und Tagedieb nennen und was Sie ihm sonst noch unter dem
Schutze des Amtsrocks heute morgen auf den Pelz gebrannt haben —
aber heute bin ich ein Engel! Merken Sie sich das, Herr Steinmann!
Der Fall wird kühl und sachlich von mir behandelt, absolut kühl uncl
sachlich!“

Der kühle und sachliche Hitzkopf donnerte im Dreitakt einige Male
durch die Stube.

- Copyright 1913 by Rich. Bong.

„Ich heiße übrigens Steinäcker“, bemerkte der Pfarrer trocken.

„Oder Steinbäcker! Das ist mir in diesem Augenblick ganz egal!“
fuhr sein Gegner fort. „Die Hauptsache bei dieser Paroleausgabe ist
diese: wir zwei sind miteinander fertig! Nach Ihrer heutigen Predigt ist
ein Verhältnis zwischen Ihnen uncl mir ausgeschlossen. Zu Michaelis
schnüren Sie Ihr Bündel — und ’raus aus der Bude!“

Der Pfarrer lachte unwillkürlich auf.

„Da wird denn doch das Konsistorium auch noch ein Wort mit-
reden!“

„Ich pfeife auf Ihr Konsistorium! Suchen Sie Deckung hinter Ihrer
Behörde? Die Herren sollen einen Brief erhalten, daß sie blau und grün
werden! Sie lachen wohl gar? Sie machen sich wohl über mich alten
Graukopf lustig? Etwa weil ich kein akademischer Bücherwurm bin wie
Sie? Was Sie mir von der Kanzel herab zu verzapfen haben, junger
Mann, hab’ ich mir längst an den Schuhsohlen abgelaufen! Oder glauben
Sie, daß es zur Biklung gehört, einen alten Soldaten zu beleidigen, der
das eiserne Kreuz zu tragen die Ehre hat?!“

Der Pfarrer verbeugte sich.

„Hen Baron, wollen wir nun versuchen, zur Sache zu kommen? Ich
entnehme aus alledem, daß Ihnen also meine heutige Predigt mißfallen hat?“
Der Kriegsmann hatte sein Pulver verschossen und war eigentlich
durch diese andauernde Ruhe seines Gegners ein wenig entwaffnet.

„Mißfallcn?“ wiederholte er, plötzlich ruhiger. „Das hab’ ich ja gar
nicht gesagt. Sie hat mir sogar ausgezeichnet gefallen, denn Sie haben
eine brillante Lunge. Aber daß Sie Ihr Geschütz gerade gegen mich auf-
fahren, daß Sie gerade mich vor meiner ganzen Gemeinde blamieren und
schlecht machen — das hat mir allerdings ganz verflucht mißfallen!“

„Ich hätte Sie schlecht gemacht?“

„Wollen Sie das leugnen?“

„Das will ich allerdings leugnen.“

„Aber — aber — was? Sie leugnen? Haben Sie denn etwa wirk-
lich nicht gemerkt, wie die Burschen die Schädel zusammensteckten und
die Mädchen kicherten? Haben Sie nicht gehört, wie ich mich geschnäuzt
habe, daß die Kirchwand wackelte?“

„Wenn ich mich im Ton meiner Predigt vergangen haben sollte, so
tut mir das von Herzen leid. Aber in der Sache selbst kann ich nichts
zurücknehmen.“

Der eigensinnige, dogmatische Zug legte sich wieder über das Ge-
sicht dieses Mannes der Maximen und Prinzipien. Er kreuzte die Arme.

„Aber was zum Kuckuck haben Sie denn eigentlich an uns auszu-
setzen?!“ fuhr der Baron fort und stampfte mit dem Stock auf. „Glauben
Sie denn, daß die Säufer und Tagediebe, die Sie treffen wollen, in Ihrer
Kirche sitzen? Warum ärgern Sie denn eigentlich uns solide Menschen,
die wir am Kircbgang festhalten und nach alter Tradition den Sonntag
heiligen? Daß wir keine Vegetarier und Abstinenten sind — potz Tausend
noch einmal, steht denn da gleich Flöllenstrafe drauf?!“

In diesen Worten steckte allerlei Richtiges; darum ärgerte sich der
Pfarrer.

„Sie wissen ganz genau Herr Baron,“ rief er, „was für Untugenden
an diesem Ort in die Augen springen! Untersuchen Sie Ihr Gewissen,
ob Ihr Einfluß hierbei ganz unbeteiligt ist! Was bei Ihnen persönlich
fröhliche Laune sein mag, wird in der Weiterwirkung und Nachahmung
Leichtsinn und Säuferei! So steht die Sache. Und ich bezweifle sehr,
ob Sie in Ihrem genialen Subjektivismus jemals über diese Wirkung nach-
gedacht haben. Was weiß man denn hier im Orte vom kirchlichen Leben?
Dort habe ich vorhin am Harmonium gesessen — und habe die alten
großen Gesänge an mir vorbeiziehen lassen: „Komm, heiliger Geist,
Herre Gott“, Luthers Pfingstchoral, „Nun lob’, mein Seel', den Herren“,
„Wachet auf, ruft uns die Stimme“, „Wie schön leucht uns der Morgen-
stern“ und endlich „Wenn ich einmal soll scheiden“, Bachs wunderbar
innige Melodie. Wenn man im Geiste dieser Lieder lebt, mein verehrter
Herr Baron, dann ist man zu schwächlichen Kompromissen an den
 
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