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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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17. Heft
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Boerschel, Ernst: Heldinnen der Befreiungskriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0494

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21 I

JUeldinnen der ^efreiungs^riege.

Von Ernst Boerschel.

den alten Bildern, die Kunst- und Antiquitätenhändler jetzt zur Er-
innerung an das Jahr 1813 auskramen und in ihre Schaufenster hängen,
sieht man die Szenen, die sich damals zur Vorbereitung für das Kriegs-
getümmel abspielten; überall sind Frauen beteiligt. Frauen ziehen an der Seite
der Männer durch die Straßen von Breslau, um den Aufruf „An mein Volk“
enthusiastisch mit zu begriißen. Frauen füllen den Hintergrund der Kirche zu
Ro<^au in der die Freiwilligen zum Kampfe eingesegnet werden. Frauen tragen
den jünglingen und Landwehrmännern Tschako und Gewehr beim Abmarsch
zu den Regimentern zu. Frauen bereiten dem alten Yorck und seinem Korps
beim Einzug in Berlin denEmpfang, und dieFrauen bringen ihre Schmucksachen
und ziehen ihre Trauringe vom Finger, um sie dem Vaterlande zu opfern.

War das „Massensuggestion“? Wir dürfen Begriffe von heute nicht zu Be-
griffen von damals machen. Von „Massen“ konnte man 1813 nicht sprechen.
Die 4^/2 Millionen Einwohner, die Preußen beim Beginne der Befreiungskriege
hatte, waren auf weite Strecken Landes verteilt, und es fehlten die heutigen
Schnelligkeitsrekorde in denVerkehrs- undVerbreitungsmitteln, urn eineSuggestion
herbeizuführen. Die Zeitungen arbeiteten, ohne telegraphischen Nachrichten-
dienst, für heutige Verhältnisse unbegreiflich langsam. Die Eisenbahnen fehlten,
und ehe es in Königsberg oder gar in den abgelegenen kleinen Städten und
Dörfern bekannt wurde, daß der König in Breslau mit dem Aufruf an das Kriegs-
heer und an das Volk die Begeisterung geweckt hatte, vergingen Wochen. Von
außen her, mit Hilfe suggestiver Mittel, wurde die allgemeine Sache niclit vor-
wärts gestoßen. Der Schwung zur Tat kam von innen heraus und war durch
die sieben Jahre Schmach und Unterdrückung gegeben. Das Gewissen be-
freite sich, und das sittliche Element wurde allenthalben wirksam. Das Ethos
wurde im preußischen Volke wieder lebendig, und mit Macht ergriff es nach
dem Beispiel der Schillerschen Bertha von Bruneck im „Tell“ die Frauen. Die
Königin Luise, 1810 gebrochenen Ilerzens dahingegangen, gab den Segen.
Den Romanen war diese Erhebung der Frauen unfaßbar. Die alte Germanen-
treue, die in Kleists „Hermannsschlacht“ das spieierische Thus’chen zur Wölfin
gemacht hatte, stand auf und ließ die Frauen zu Heldinnen erstarken. Verlegen
und erschüttert berichtete der spanische Gesandte in Berlin nach Madrid: „Die
Schwester des Königs hat ihren sämtlichen Schmuck dem Schatze übergeben,
daß er zum Kriege verwendet werde, und auf der Stelle haben alle Frauen sich
beeifert, für so lobenswerten Zweck ihren Schmuck bis auf die geringsten
Kleinigkeiten zum Opfer zu bringen, Wenn ich sage alle Frauen, so übertreibe
ich nicht, denn ich glaube, daß sich nicht eine ausgeschlossen hat, mit Ausnahme
der Armen, die nichts besitzen.“ So schrieb der spanische Gesandte, der 1808 doch
auch einen Nationalkrieg miterlebt hatte. Aber was erschien ihm das Gewüte der
Guerillas dieser heiligen Opferfreudigkeit gegenüber!

Ebenso erging es dem französischenGesandtenSt. Mar-
san, der vor solcher Volksbewegung erstaunte und
lächeln mußte, als ihn Napoleon mit denWortenzu-
rechtzuweisen suchte: „Die Preußen sind keine Nation,
sie haben keinen nationalen Stolz; sie sind die Gas-
cogner von Deutschland“. Und rtun konnte derKorse,
der selber keine Ahnung hatte von nationalem
Empfinden, es erleben, daß nicht nur die Schwester
Friedrich WilhelmsIII. ihren Schmuck demVaterlande
geopfert hatte, sondern daß neun preußische Prin-
zessinnen einen Aufruf an die Frauen Preußens
erließen, in dem sie diese aufforderten, sich mit den
Männern und Jünglingen zu vereinigen zur Rettung
des Vaterlandes. Der „Vaterländische Frauenverein“
wurde gegründet. An seine Spitze trat die Prin-
zessin Wilhelm, die Schwägerin des Königs,
geborene Prinzessin Marianne von Ilessen-Homburg.

Sie war eine große Seele, war die geliebte Freundin
der Königin Luise und Steins Vertraute in allen
wichtigen Dingen. Sie lebte ganz im Sinne der heim-
gegangenen Königin und hat an deien Statt Be-
deutendes gewirkt. Ihr Gatte, der I rinz V ilhelm,
war als Geisel in Paris, und keiner besorgte so fein
und gescheit den geheimen Briefwechsel des Prinzen
an die richtigen Stellen wie sie. Sie war der Mittel-
punkt des Vertrauens während der kritischen Zeit
von 1811 bis 1813 in Berlin. Sie suchte in Berlin
anzufachen, was in Breslau in hellen Flammen auf-
gelodert war. Hier in Breslau hatten die Frauen
die großartigsten Beispiele der Opferfreudigkeit
gegeben. Ohne Murren schickten die Mütter ihre
Söhne, die Gattinnen ihre Männer, die Bräute ihre Ver-
lobten in den Kampf. Bis auf den Trauring amFinger
legten die Frauen Preußens alles auf den Altar des

Vaterlandes: „Gold gab ich für Eisen.“ Kein Volk kann so stolz auf seinen Helden-
sinn sein, kein Volk hat so tief sittlich den Begriff Ehre und Vaterland empfunden.
In der Dreifaltigkeitskirche zu Berlin schluchzten bei Schleiermachers anfeuernden
Predigten die Mütter, die keinen Sohn hatten, ihn ins Feld zu schicken, und die
mit Söhnen Gesegneten gingen erhobenen Hauptes davon:

„Frau’n Pi-eußens, nehmt für eure Opfergaben
Das Opfer an des Lied’s, das ich euch bringe,

Ihr, die ihr gabt vom Finger eure Ringe,

So wie ihr gabt vom Busen eure Knaben

Dem Vaterland! In Erzschrift sei gegraben

Eu r Preis, daß ihn kein Mund der Zeit bezwinge!

Des Ruhms, der eurer Männer blut’ge Klinge
Erfechten wird, sollt ihr die Hälfte haben.

Denn wenn sie selbst, im Sturm des Feindes, Wunden
Erbeuteten, so habt ihr mit dem Kleide
Von euren Schultern ihnen sie verbunden;

Und wenn der Freiheit Tempel aus dem Leide
Neu steigt durch sie, so soll’s die Welt erkunden,

Daß, ihn zu schmücken, ihr gabt das Geschmeide.“

Rückert sang den Frauen Preußens diese Lieder in den „Geharnischten So-
netten“. Sie haben das Lob verdient. Als im März 1813 nach dem Aufruf „An Mein
Volk“ alles zu den Fahnen strömte und seine Opfergaben in den öffentlichen
Kassen niederlegte, ging die Frau Oberst von Schmettau auf Bergel mit
ihren vier Töchtern nach Breslau, um ihre Schmucksachen abzugeben. Von den
fünf Frauen stand nur die jüngste, die fünfzehnjährige Ferdinande, ohne jede
Gabe da. Sie besann sich und ließ sich ihr wundervolles Haar abschneiden.
Der Hofrat Ileun kaufte es fiir zwei Taler und ließ aus dem Haar allerhand
kleine Schmucksachen herstellen, die wieder verkauft wurden. Der Erfolg war,
daß 196 Taler und 8 Groschen, nach dem W rert unseres heutigen Geldes etwa
3000 Mark, aus dem Haar des Fräuleins Ferdinande von Schmettau gelöst wurden.
Die hochherzige Edeldame erlebte den Dank für diese Tat noch 1863 bei der
fünfzigjährigen Erinnerungsfeier der Befreiungskriege. König Wilhelm lud sie
nach Berlin ein und ernannte sie zur Stiftsdame von Zehdenick. Am 24. Mai
1875 ist sie dann hochbetagt in Kösen gestorben .... Sie war nur ein Beispiel.
Eleonore Prohaska aus Potsdam, die Tochter eines Unteroffiziers, zahlte ihre
Vaterlandsliebe mit dem Leben. Es war der Tod, den sie sich ersehnt hatte.
Sie hatte in Potsdam während der sieben Jahre der Schmach von 1806 bis 1813
die ganze V ucht der Erniedrigung miterlebt, hatte Napoleon den Sarg Friedrichs des
Großen durch die WegnahmedesDegens schänden sehen, hattederFlucht desKönigs-

paares mit beigewohnt und war im Juli 1810 der
Leiche der geliebten Königin zur Beisetzung nach-
gefolgt. Sie stand in Potsdam als Köchin in Dienst
und war 28Jahre alt, als sie sich unter dem Namen
August Renz den Lützowern anschloß. Ihr Geheimnis
wußte sie bis zu ihrer Verwundung am 16. September
im Gefecht an der Göhrde zu wahren. Am 5. Ok-
tober ist sie zu Dannenberg an der Verwundung
gestorben. Denkmäler in Dannenberg und Potsdam
und eine auf ihren Namen gegründete Veteranen-
stiftung ehren ihr Andenken.

Heldinnen der Befreiungskriege! Wie Eleonore
Prohaska ist am 2. April 1813 im Kampfe von
Lüneburg Johanna Stegen in den Kugelregen ge-
stürmt, um den Soldaten, die sich verschossen hatten,
neue Patronen zu bringen. Das Mädchen war 20 Jahre
alt und die Tochter des Sulzvogtes Stegen. Die Fran-
zosen verfolgten sie danach und hätten ihre Rache
auch an ihr gekühlt, wenn sie nicht inzwischen
nach Berlin gelangt wäre und hier den Lithographen
WilhelmHindersin geheiratet hätte. Am 12.Januar1842
ist sie in Berlin gestorben. Auch von Charlotte
Krüger, einer Berlinerin, die sich unter dem Namen
Lübeck hatte anwerben lassen, werden Heldentaten
erzählt. Anna Lühring aus Bremen erhielt als
Eduard Krause von Tauentzien persönlich das Eiserne
Kreuz. Soll man da von Abenteuerinnen reden?
Gab es denn hier Abenteuer zu suchen, ging nicht
der Karnpf, der hier ausgefochten wurde, auf eine
große bestimmte Sache aus? „Es waren keine
Abenteuerinnen, die im Freiheitskriege mitfochten:
es war die Uberschwenglichkeit des patriotischen
Gefühls, welches sie mitriß“, schrieb Boyen. Mögen
wir, sollten die Zeiten wieder einmal ernst werden,
dann dasselbe schreiben können!

Brunnenfigur im Hof der Deutschen Botschaft zu St. Petersburg
Phot. Ernst Wasmuth, A. G., Berlin.
 
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