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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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17. Heft
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Anwand, Oskar: Schluß der Theatersaison
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0499

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2IÖ

MODERNE KUNST.

rüttelt. So hat Goethe, als er den „Götz von Berlichingen“ schrieb, der drama-
tischen Regeln gespottet; so zerfällt Tolstois „Lebender Leichnam“ in zwöif
Bilder, die gleichfalls eine Bühnenwirkung. auszuschließen scheinen. Nebenbei
sei bemerkt, daß beide Dramen gegen den Widersinn des Gesetzes für das un-
geschriebene Gesetz in der Menschenbrust eintreten.

Der Atem des Lebens weht aus Tolstois Werk; Klüfte tun sich auf, in die
Sonnenstrahlen hineinfallen; Worte erschließen, wie selbstverständlich, das
Tiefste der Charaktere. Vortrefflich, wie Lisa zwischen ihrem neuen Gatten und
Fedja schwankt, richtiger gesagt, wie die Ereignisse ihre Empfin.dungen bald zu
diesem, bakl zu Fedja hervorheben, und wie der Totgeglaubte zunächst siegt,
als ihr diese ernste Botschaft zugeht. Hier hat Tolstoi die Seele einer Frau,
die durch das Leben tiefere Eindrücke von zwei Männern empfangen hat, vor-
trefflich erfaßt. Das Gleiche gilt von den übrigen Gestalten des Stückes bis zu
den moralisch am tiefsten stehenden. Ilierher gehört der Schwätzer Petrowitscli,
dem älles Große und Ernste Phrase geworden ist, auf dessen Verwirklichung
er bei andern wartet, so daß er den Selbstmord Fedjas gar zu gern anregen und
mit ansehen möchte. Er ist es auch, der ihm schließlich den Revolver reicht.

Die Aufführung dieses Stückes durch Reinhardt stand sowohl durch ihre
Gesamtleistung, das Herausarbeiten des russischen Milieus, wie durch die Einzel-
leistungen von Herrn
Moissi alsFedja, Frau
Höflich als Lisa usw.
auf einer Höhe, die
den Erfolg auch von
Seiten der Darstel-
lungerklärlich macht.

'-j:

Wenn so der
Edelkern wahren
Dichtertums selbst
durchtechnische Ver-
fehlungen hindurch-
strahlt, so vermag
umgekehrt noch so
viel Geschicklichkeit
über den Mangel
schaffenden Dichter-,
geistes nicht hin-
wegzusetzen. Das
ging aus der Auf-
führung von Eduard
Stuckens vieraktigem
Drama „Astrid“ aufs
neuehervor. Stucken
ist ja ein Künstler
der Sprache; seine
Gralsdramen,Gawan,

Lanval und Lanzelot
umhüllt nicht um-
sonst das schillernde
Prunkgewand wogender Verse, die am Ende und in ihrer Mitte mit Uoppel-
reimen wie mit Glocken und Schellen erklingen. Da er in seiner „Astrid“

über das Mittelalter hinweg, in die kraftvolle herbe Welt des nordischen Altertums
zurückging, enthielt er sich dieses tönenden Verses und griff zu den ruhiger
schreitenden Jamben.

So selbstverständlich dies ist, hat sich Stucken damit eines Vorzuges
begeben, da er als Gestalter weniger wiegt wie als Wortkünstler. In seiner
„Astrid“, die sich auf ein altisländisches Motiv aufbaut, das stark an die Brun-
hildsage erinnert, wirkt alles matt, aus zweiter Hand. Siegfried heißt hier
Kjartan, Günther Bolli und Brunhild Astrid.

Kjartan findet bei seiner Rückkehr von König Ilakons Hofe, wo er als
Geisel lebte, die für ihn bestimmte Astrid als Weib seines Blutsfreundes und
Pflegebruders Bolli vor. Da vermählt er sich aus Trotz mit der kindlichen
Hrefna. Aber keiner von ihnen allen kann Ruhe und Glück finden; denn Kjartan
und Astrid drängen zu einander, um sich in Haß und Vernichtung zu fassen,
da es nicht in Liebe möglich ist. Noch wollen alle Frieden; aber die Norne
trägt Scheit auf Scheit zur verzehrenden Feuersbrunst herbei. Schiießlich gibt
sich Kjartan selbst in Astrids Hand, und sie läßt ihn durch ihre Sippe töten,
um dänn selbst zu sterben!

Wie auch in seinen übrigen Dramen, siützt sich Stucken hier als gelehrter
Dichter auf die Krücken altgeprägter Poesie und Wissenschaft. Aber seinen

Menschen, die zwi-
schen den Polen aiter
Wiidheit und mo-
derner Edelmuts-
reflexion hilflos
schwanken, weiß er
kein starkes Leben
zu geben. Sie bleiben
ohne Biut. Darin
gleicht er Dichtern
wie Ernst Hardt, der
sich gleichfalls von
seinem mittelalter-
lichen „Tantris der
Narr“ zu der alt-
germanischen Sage
mit „Gudrun“ ge-
wandt hat. Auch
'hier herrscht die
gleiche Theater-
schablone und Blut-
leere, die man mög-
lichst schneil wieder
aus unserer drama-
tischen Dichtung ge-
bannt sehen möchte.
Bringt sie doch die
schlimme Zeit der
glücklich überwun-
deneti Schillerepi-
Phot. Ernst Wasmuth A. G., Berlin. gonen, wie etwa

Emanuel Geibel, in

Erinnerung, deren Gestalten und Motive auf tönenden Worteri einherstelzen.
Auch Geibel hat ja eine herzlich schwache „Brunhild“ geschrieben.

Die deutsche Botschaft in St. Petersburg: Vestibül.

Unsere Bilder.

A. Herrmann-A11 gäu: Marder atn Vogelnest. Unter unsern Raub-
tieren niederer Art ist der Marder eines der mordgierigsten. Wenn er sich in
den Taubenschlag oder Plühnerstall einschleicht, ruht er nicht eher, als bis das
letzte Stück getötet ist. Seine Mordlust wird zur förmlichen Raserei, und das
Berauschen des Marders im Blute seiner Schlachtopfer scheint nachgewiesen zu
sein. Es ist vorgekommen, daß man ihn nach vollbrachter Tat in einem Zu-
stande eigenartiger Blödigkeit gefunden hat, so daß er ohne Mühe und List eriegt
werden konnte. Bei solchen Gelegenheiten verachtet er das Fleisch, und der
Kopf mit dem wohlschmeckenden Hirn ist noch das einzige, was er als Nachtisch
verzehrt. Übrigens schleift er da, wo es möglich ist, mehrere Körper nach, um
für künftige Tage zu sorgen. Auch das Vogelnest auf hohem Baum ist nicht
vor ihm sicher. In dem Ausnehmen der Eier wetteifert er mit dem Eichhörnchen,
das er als seinen Feind betrachtet. Gewiß kann das Eichhörnchen vorzüglich
klettern; da aber der Marder die größere Ausdauer besitzt, wird der „Affe
unserer Wälder“ gewöhnlich erbeutet. Wohlgemerkt handelt es sich hier um
zwei Arten von Mardern, den Steinmarder mit weißem Chemisettchen, wie ihn
unser Gemälde zeigt, und den Baummarder, dessen Kehle dottergelb ist.

Ein Hauch von Frühlingsgeist und F'rühlingshoffnung — der Hoffnung auf
den Menschenfrühling, wie er in den Kindern begründet liegt — prägt sich in
O. Lingners schönem Gemälde aus: „Lasset die Kindlein zu mir
kommen“. In idyllischer Natur zeigt es Christus von einer Schar der Kleinen

umgeben, die mit leuchtenden Augen zu ihm aufschauen, da er ihnen votn
Himmelreiche, das kommen wird, erzählt. Bei den Pharisäern und bei Hun-
derten von erwachsenen, durch das Leben fest und hart geprägten Menschen
ist sein Wort auf unfruchtbaren Boden gefallen. Hier sieht er die junge Früh-
lingssaat aufkeimen. Von diesem prächtigen Gemälde hat der Kunstverlag von
Ricli. Bong, Berlin W 57, je eine kolorierte und schwarz-weiße Gravüre in
zwei verschiedenen Formaten herstellen iassen. Die eine Gravüre, Kartongröße
84x105 cm, Bildgröße 47,5x56,5, kostet koloriert M. 30,—, schwarz-weiß M. 15,—
Der Preis der andern, Kartongröße 39x50, Bildgröße 21x25, beträgt koloriert
M. 6,—, schwarz-weiß M. 3,—. Ebenso hat der Kunstverlag von Rich. Bong,
Berlin W 57, eine Gravüre des Denkerkopfes von L. Tolstoi herstelien lassen.
Der Preis dieses Kunstblattes, Kartongröße 60x80 cm, Bildgröße 32,5x47,5,
beträgt M. 10,—.

Die Abendstimmung eines regnerischen und stürmischen Tages an der
Meeresküste hat Wi11y Hamacher in seinem Gemälde „Heimkehr der
F’ischer“ wiedergegeben. Mit ihren kleinen Booten sind sie zu reichem Fange
hinausgesegelt und haben den ganzen Tag über im Kampfe mit Wind und
Wellen gelegen. Nun zieht der eine der beiden derben Gestalten, ein Seebär
im eigentlichen Sinne des W’ortes, die Schiffe in den Hafen, während dei' andere
die Taue und das Takelwerk ordnet. Die Stärke des Windes hat nachgelassen,
aber die Regenwolken ziehen dichter am Himmel herauf.
 
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