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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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21. Heft
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Happrich, Viktor: Auf ins Hippodrom!: Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0651

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-'t *!•/:

Laßt rr.ich nur auf meinem
Sattel gelten!

alH^icber Leser, hast dn dicli jemals gesund
gelacht, oder willst du dich gesund lachen?

(aFtwf! Besuche eins jener volkstiimlichen Reit-
institute, welche der Volksmund aHippodrom“
taufte! Sie haben allerdings nichts gemeinsam mit
dem Stadion, aber der Pferdefreund lernt hier schon
für 30 Pfennige das höchste Gliick der Erde kennen,
das bekanntlich nach des Arabers Urteil auf dem Riicken der Pferde liegt. Freilich
sind es nur die letzten Reste einstiger Vierfüßler, die in solchem „Sportetablissement"
zur Verfügung stehen, armselige Klepper, die das Schicksal in das kleine Zirkuszelt
hineingeworfen hat, wo sie trübselig wie zu einer Trauerfeier versammelt, mit gesenkten
Köpfen im Halbkreise beisammen stehen. Dem stolzen Rappen von ehedem, dem
einzigen, der ein vollständiges Gebiß aufweist, hat man auch einst nicht im Gestüt
prophezeit, daß er so enden wiirde. Er stammt aus Trakehnen, wie es sein stolzer
Brand auf dem rechten Schenkel zeigt und er trug einst einen schneidigen Husaren-
Offizier in der Front, bis ein Sturz beim Manöver dazu beitrug, daß er und sein Herr
in den Ruhestand „getreten" wurden. Da kaufte ihn ein alter Zirkusprinzipal und
die harte Lehrzeit der sogenannten hohen Schule begann. Nocli hatte er gerade
Beine und hohe Stepptritte. Der Marsch und die Piaffe auf der Steile waren seine
Passion und eine schöne blonde Herrin, eine Schulreiterin von Profession, kaufte vom
Direktor den Rappen für sich als iebendes Piedestal. Das waren schöne Jahre, als
„Diavolo" die Welt kennen lernte. Er war in fast allen Staaten Europas gewesen, da
ereilte ihn sein Geschick. Bei ainem Gastspiel in Südfrankreich veranstaltete die
Zirkusdirektion ein „Wettrennen" und Diavolos Herrin hatte es kontraktlich mitzu-
machen. Die junge Sattelheldin spornte den alten Rappen zu raschestem Laufe an;
da stolperte er und brach ein Fesselgelenk. Notdürftig hergestellt kam er so ins
Hippodrom. Hier trägt er sein Los mit Würde. Neben ihm steht „Lotte", die kleine
magere Fuchsstute, die unlängst noch vor dem Spargelwagen ging und auf der andern
Seite „Nero", ein wackerer Droschkengaul, der mehr als pflastermiide geworden ist.
Ein ehemaliger Panneaugaul für den Matratzensattel, ein kleiner struppiger Pony mit

[Nachdruck verboten.j

Damensattel und ein ehemaliger „Ulan" mit Sprungzügel und einem Bocksattel,
der bei einem Ritterturnier Ehre eingelegt hätte, ergänzen die vierbeinige Ge-
seüschaft, die da dumpfbrütend beisammen steht, bis plötzlich die rauhe Wirk-
lichkeit sie auseinander reißt.

„Aufsitzen meine Herrschaiten, ein neuer Ritt beginnt! Noch sind Damen-
und Herrenpferde frei!" Der diese Worte brüllt, ist der Stallmeister des
Hippodroms, ein stattlicher Mann mit einer geröteten Nase, gleich einem Cyrano
de Bergerac, mit etwas getragenem Cutaway, weiten Breeches und hohen Stiefeln mit
Rittersporen. Er schwingt die Peitsche und die Musik intoniert einen Walzer. Und aus
der Menge tritt züchtig und keck, die „Vorreiterin" der Manege, eine noch jugendliche
Frauengestalt mit beispiellosem engen Rock. Sie begehrt „Diavolo" zu reiten, natürlich
im Herrensattel und Alt und Jung blickt gespannt näher, ob dieses Experiment glücken
wird. Marietta, so heißt die blonde Schöne, tritt an den alten Diavolo heran und lüftet
das Kleid bis zum Knie, so daß die hohen braunseidenen Striimpfe sichtbar werden.
Der Stallmeister bückt sich galant, Marietta stellt ihr Fiißchen, das in hochhackigem
Halbschuh steckt, in die Hand des Reitmeisters; schnell schwingt sie sich empor.
Jetzt haben alle andern auch Kurage bekommen. Da naht ein lustiges Paar, er ein
ehemaüger Soldat, der mit Kennerblick den „Ulanen" unter den stolzen Rossen heraus-
gefunden, sie die rundliche Minna von Geheimrats, die heute freien Sonntag hat und
gern eintnal hoch zu Pferde sitzen möchte. Sie reitet natiirlich „Damensattel" auf
„Nero“, dem ehemaligen Droschkengaul, der seine rundliche Bürde mit Gelassenheit
hinnimmt. Auf den kleinen Pony steigt ein kleines Jüngel, der erste Sprößiing des
Dr. Cohn, der mit seiner Familie dieser ersten Sportleistung seines Filius beiwohnt;
auf „Lotte“, das Roß vom Spargelwagen, ist eine ältere Dame gestiegen, die aus
Gesundheitsrücksichten reiten will. Endlich kommt noch das Inkasso und die Tour
beginnt. Stolz hebt der alte Rappe den Kopf, als sich die beiden kleinen Hacken
der Damenstiefel in die Rippen bohren und verständnisinnig bäumt der ehemalige
„Ulan“, als er die bekannten Hilfen aus der Remontezeit wiedererkennt. Da, kaum
hat die Tour begonnen, so stockt die ganze Geschichte. „Nero", der Droschkengaul,
auf dem Minna von Geheimrats zum Siege steuert, hält es für besser, dem Halteplatze


Hans Stubenrauch: Die mutigen Rosse.

Plauderei von

Viktor Happrich.

Äuf

1113

JfTippodrom!

XXVII. 67.
 
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