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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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22. Heft
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Saltzwedel, Hans: Frau Mytala, [5]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0682

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280

Frau Myfala.


Nach einer wahren Besrebenheit erzählt von Hans von Saltzwedel.

[Fortsetzung.] ,

n jedem Augenblick erwartete ich das Unglück in irgendeiner
Gestalt zu uns hereinkommen zu sehen. Und richtig: da stand
es schon! —• Leichenblaß stand der kleine Witte in der Tür
und suchte mit angstvollen Augen unter den Anwesenden, bis er mich
gefunden hatte. Von den andern schien ihn glücklicherweise noch
niemand bemerkt zu haben. Ich sprang sofort auf und zog ihn in den
Hausflur zurück, wo ich ihn ohne weiteres, als ob es sich nur um
die beiden handeln könne, fragte:

„Um Gottes willen, was ist mit Lankwitz und Sobbe los?“

Der Kleine erwiderte ebenso selbstverständlich, während er mir in
den Regenpaletot half:

„Das ist eine böse Geschichte. — Kommen Sie, bitte, mit ins Kasino.
Wir wissen nicht, was daraus werden soll. — Er kann sich doch nicht
wegen seines Verhältnisses schießen!“

In der ungeheuren Nervenanspannung, in die mich schon vorher die
bestimmte Ahnung eines kommenden Unglücks versetzt hatte, entsprach
das, was er da so unzusammenhängend vorbrachte, derartig dem, was
ich befürchtet und erwartet hatte, daß es für mich eigentlich gar keiner
näheren Erklärung bedurft hätte; dennoch forschte ich weiter, während
wir in der Dunkelheit durch den niederrieselnden Regen nach dem
Kasino eilten.

Er erzählte aufgeregt von einer Erdbeerbowle, die Sobbe in der
Wohnung von Lankwitz gebraut hätte, und von einem darauffolgenden
Trinkgelage, währenddessen Sobbe in die hinteren Räume der Wohnung
gedrungen sei, wo er sich wohl gegen die Person, die bei Lankwitz wohnt,
so unpassend benommen haben müsse, daß dieser ihn mit beleidigenden
Worten aus dem Hause gewiesen hätte.

Von den drei jungen Leutnants, die wir mit verstörten Mienen im
Kasino sitzend fanden, vermochte ich erst recht nichts herauszubekommen,
da sie sämtlich mehr oder weniger stark bezecht waren.

Nachdem ich so viel von ihnen erfahren hatte, daß Sobbe mit
Heyne in des letzteren Kasernenwohnung gegangen sei, nahm ich den
Anwesenden das Wort ab, vorläufig mit keinem Menschen über die Ge-
schichte zu sprechen, und ging zu Lankwitz. — Es war erst eben halb-
zehn durch, und somit konnte ich hoffen, dessen Haustür noch offen zu
finden.

Das war denn auch der Fall, und auf mein Schellen an der Woh-
nungstür öffnete mir der Freund persönlich. — Als er mich erk'annte,
fragte er verwundert:

„Du bist’s? — Also ist die Geschichte schon bekannt?“

Ich beruhigte ihn darüber, während er mich in sein Wohnzimmer
führte. Auf meine Bitte, mich doch wissen zu lassen, was eigentlich
vorgefallen sei, rief Lankwitz zunächst entrüstet:

„O, dieser Bube, dieser niederträchtige Bube! — Aber er soll es
büßen!“

Und dann berichtefe er:

Sobbe hatte sich am Mittagstische mit mehreren jungen Herren für
den Abend zu Gaste angesagt. — Er hätte von zu Hause schöne Erd-
beeren bekommen; die sollten zu einer Bowle verwandt werden, und da
Sobbes eigne Wohnung sich nicht recht dazu eignete, sollte diese Bowle
der Gemütlichkeit halber bei Lankwitz getrunken werden. Der sollte für
ein einfaches Abendessen sorgen, wogegen Sobbe den Wein mitbringen
würde.

„Mir war die Sache natürlich gar nicht angenehm“, fuhr er erregt
fort. „Aber was sollte ich machen? — Der Sobbe hatte mich in der
letzten Zeit immer wieder zu einer Flasche Sekt eingeladen. — Du kennst
ja seine Art! — Irgendeinen plausiblen Grund hat er stets und er ist so
zäh, daß man ihm schon grob kommen muß, um ihm nicht nachzugeben.
— Freilich, wenn ich das geahnt hätteü! — Heute wollte er mich ent-
schieden durch fortwährendes Zutrinken blau machen, damit ich nicht
merken sollte, was um mich vorging, und da die andern unwillkürlich
seinem Beispiele folgten, war ich denn guch ziemlich bald reichlich benebelt.

Co.pyright 1913 by Rich. Bong.

Da kam mir ganz plötzlich der Verdacht: der beabsichtigt irgend-
etwas mit dir. — In diesem Augenblick höre ich den kleinen Witte fragen:
,Wo steckt denn eigentlich der Sobbe? 1 —■ Da schwiegen plötzlich alle
erschrocken, und in der Stille höre ich Mika nebenan in ihrem Zimmer
ängstlich aufschreien. Ich natürlich sofort auf und hin. Und wie ich
die Tür aufreiße, sehe ich den Lump — nein, ich mag es, nicht erzählen
— um ihretwegen nicht — und die Worte, die ich ihm in sein freches
Gesicht schleuderte, weiß ich tatsächlich nicht mehr und Mika hat sie in
ihrer furchtbaren Erregung auch nicht behalten, aber sehr liebenswürdig
werden sie wohl nicht ausgefallen sein. Jedenfalls habe ich ihm gedroht,
ihn die Treppe hinunterzuwerfen, wenn er nicht sofort dies Haus ver-
ließe. Darauf hat er es natürlich nicht erst ankommen lassen. Auch die
andern sind wohl gleich gegangen, denn als ich nach vorne kam, war
niemand mehr dort, — — Meine arme, arme Mytala, daß ich dir die
Schmach nicht ersparen konnte! — Aber warte, mein Bürschchen, du sollst
es mir büßen! — Natürlich wird er mich fordern, und dann — — —“

Ja, was dann!? dachte ich. Wenn die Geschichte bekannt wird, ist
Lankwitz verloren. — Also kommt alles darauf an, sie geheimzuhalten
und die Vorbereitungen zum Zweikampfe so zu treffen, daß niemand in
der Stadt etwas davon merkt.

Mit dem Freunde darüber zu sprechen, war bei dessen erregtem Zu-
stande natürlich ausgeschlossen. Ich bat ihn daher nur um seine Ein-
willigung, alles so einrichten zu dürfen, wie ich es für ihn gut befände;
dann ging ich. — — — —

In welcher Gemütsverfassung ich mich dabei befand?

Wenn ich mich heute in jene Tage zurückversetze, erscheint mir
alles, was ich damals trieb, traumhaft und unwirldich, als wäre ich es
gar nicht selber gewesen, der alles mit einer so kalten Ueberlegung in
fast starrer Ruhe vorbereitete und anordnete.

Auch erinnere ich tnich nicht, etwa um des Freundes Leben beson-
ders besorgt gewesen zu sein. — Mein ganzes Denken und Streben war
lediglich darauf gerichtet, es muß möglichst alles vermieden werden, was
irgendwie Aufsehen erregen könnte. Und wenn ich heute die Einzel-
heiten, soweit ich mich ihrer noch erinnere, bedenke, scheine ich ja trotz
meiner Traumbefangenheit recht umsichtig und klug gehandelt zu haben.

Frühmorgens am Sonntag fuhren also alle am Zweikampfe Beteiligten
in Jagdmäntel gehüllt und Jagdhüte auf dem Kopfe zu zweien und dreien
zu den verschiedenen Toren des Städtchens hinaus, als ginge es zur Reh-
bockpirsche, um] sämtlich zu der verabredeten Stunde auf einer tief im
Stadtwalde gelegenen Blöße zusammenzutreffen.

Ich fuhr natürlich mit Lankwitz zusammen, vermag mich aber merk-
würdigerweise nicht mehr dessen zu erinnern, was wir unterwegs mitein-
ander sprachen, nur daß es recht wenig war und sich lediglich auf die
Kampfbedingungen bezog, das weiß ich noch. Doch halt — das eine
fällt mir noch ein: Es schien mir mehrfach so, als wollte der Freund mir
etwas anvertrauen, ohne sich dazu entschließen zu können, und als ich
ihn dann bat, mir irgendwelche Anweisungen für den Fall eines Unglücks
zu geben, verwies er mich nur auf einen Brief, der sich in seiner Brust-
tasche befändc.

Auch von dem, was zunächst auf der Waldblöße vor sich ging, habe
ich keine klare Vorstellung mehr, bis zu dem Augenblicke, da beide
Kämpfer sich mit erhobener Waffe gegenüberstanden.

Dies Bild steht mir noch klar vor Augen, und dabei empfinde
ich auch heute noch jene herzbeklemmende Nervenspannung, mit der
ich das Ungeheuerliche erwartete, das sich in den nächsten Sekunden
ereignen mußte. Es war, als stände alles Geschehen still; nur die
Vögel im Walde jubelten und ganz in der Ferne rief der Kukuk. Wie
schier unendlich lange dieses sekundenlange Stillstehen währte! — Dann
erschütterte ein Ieichter Knall die bewegungslose Morgenluft, der Vogel-
jubel verstummte, der Kuk.uk schwieg, und kraftlos sank der erhobene
Arm meines Freundes an seiner Seite herunter — die Waffe achtlos in
das tauige Gras. — — Alles war wieder Leben und Bewegung.
 
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