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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Neisser, Artur: Musik und Landschaft
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Unsere Bilder
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IO

MODERNE KUNST.

er seblst und mancher Künstler vor
ihm dies schon richtig gesagt hat,
„nicht zu analysieren ist“, den man
„nur empfinden, nicht erklären“ kann.
Zu bedauern bleibt bei derartigen
Gemälden nur, daß das Publikum nicht,
oder doch nur in Ausnahmefällen, der-
artigen wechselseitigen Inspirationen
zu folgen vermag und sich statt dessen
zumeist vergebens bemüht, zu deuteln
und zu denken, was sich wohl der
Künstler gerade bei dieser und bei
keiner anderen Auffassung der popu-
lären musikalischen Dichtung gedacht
haben mag.

Den einen Künstler wird das ferne
Abendläuten der Kirchenfeierglocken
zu einer Abendlandschaft von köst-
lichem Dufte begeistern, während ein
anderer wieder dräuendes Unheil aus
diesem Läuten heraushören wird, je
nachdem es ihm seine Weltanschauung
gebietet. Weiß man doch, daß es oft
ganz elementare Geräusche gewesen
sind, die Musiker von der Genialität
eines Beethoven zu ihren unsterblichen
Werken angeregt haben (etwa das
rhythmisch dankbare Pochen an die
Tür zum Grundthema der Eroica).
So mögen es oft auch ganz zufällige
Momente sein, die dem Maler ein
Landschaftsbild in irgendeinem musi-
kalisch-seelischen Reflex erscheinen
lassen. Wir alle aber, die wir zu den
drei Schwesterkünsten in geschwister-
licher Liebe aufblicken, wollen uns
nach Kräften bemühen, alles gräm-
liche Umdeuteln einer komponierten
Landschaft oder gemalten Musik zu
und nur im Anschauen

Ernest Preyer: Huidigung an die Musik. Das neapolitanisehe Voikslied

unterlassen.
oder Anhören echter Kunstwerke uns

des ewigen Wechsels, des unablässigen Kreislaufs künstlerischen Schauens und
Schaffens zu erfreuen suchen! Nur dann werden wir imstande sein, uns je nach
dem Vermögen unserer künstlerischen Einstellungsfähigkeit in die Inspiration

Ernest Preyer: Huldigung an die Musii>-

itlers — sei es nun des IComponisten oder des Malers! — zu versenken,
werden wir des ungeschmälerten Genusses teilhaftig werden, den dieKunst
guten Werken auf die Empfänglichen ausüben soll!

Qnscre Jlilder

das England des achtzehnten Jahrhunderts führt uns unser Bild „Be-
siegt?“ von John A. Lomax. Wir sehen das Ende eines Faustkampfes;
der eine der beiden Gegner hat soeben allem Anschein nach den Knockout
erhalten, den entscheidenden Hieb, der ihn kampfunfähig macht. Wenn der am
Boden Hingestreckte sich nicht innerhalb zehn Sekunden erhebt, hat der andere
gesiegt. Gespannt ruhen die Augen des Unparteiischen und Zeitnehmers auf
dem Zifferblatte der Uhr, während die den „Ring“ umgebende Zuschauermenge
aufgeregt und lärmend der bevorstehenden Entscheidung harrt. Plohe Wetten
stehen auf dem Spiel, und nur mit Mühe halten die Kampfrichter die erregten
Anhänger des Unterlegenen zurück, die vielleicht glauben mögen, der Kampf sei
nicht ganz ordnungsgemäß vor sich gegangen. Kein anderer Sport war im acht-
zehnten Jahrhundert in England so populär wie die „noble art of selfdefence“,
die edle Kunst der Selbstverteidigung. Das Boxen war englischer Nationalsport,
berühmte Meister dieser Kunst wurden von der großen Menge vergöttert und
erwarben sich ein Vermögen, da sie nicht nur ihre Siegespreise erhielten, sondern
auch von den großen Wettern reich belohnt wurden, wenn sie einen Kampf
gewonnen hatten. Besonders die wohlhabende Landbevölkerung, die Guts-
besitzer — damals in dem kornarmen England einer der reichsten Stände —
brachte dem Sport des Boxens eine außerordentliche Passion entgegen, und auch
an den auf unserm Bilde lebhaft geschwungenen Hetzpeitschen erkennt man, daß
zahlreiche Farmer unter den Zuschauern sind. Ausgezeichnet hat der Maler das
Mienenspiel der Zuschauer zum Ausdruck gebracht. Noch ein ■—- zwei — drei
Sekunden, dann ist das Schicksal des Niedergestreckten entschieden. W. K. E.

Einen ergreifenden Augenblick hat W. L. Wyllie in seinem Gemälde „Zur
rechten Zeit“ dargestellt. Bei einer Übung der Kriegsschiffe ist ein Mann
über Bord gegangen. Sogleich ertönt von der Kommandobrücke ein Schuß;
sämtliche anderen Kriegsschiffe antworten, und alle Maschinen laufen rückwärts.
Im Nu war dem Matrosen ein Offizier nachgesprungen, nachdem er vorher die
Rettungsboje ins Wa'sser geschleudert hatte. Gewöhnlich werden beide von dem

Ernest Preyer: Huldigung an die Musik. W. A. Mozart: Die Zauberflöte.

MODERNE KUNST

wen mag wohl das Kränzlein sein?“,
so könnte man hier fragen, von wem
wohl „Die Statuette“ als Geschenk
stammt, da die Mädchenaugen so be-
glückt an ihr hängen. — Die Freude
und Aufregung, die ein Mädchen am
Vorabend vor einem Feste empfindet,
spricht sich in M. Bewleys „Ko-
stümprobe“ aus. Am nächsten
Abend wird das graziöse temperament-
volle Wesen auf dem Wohltätigkeits-
fest ein Solo tanzen. In letzter Stunde
findet sozusagen die „Toilettengeneral-
probe“ statt, ob das Kostüm zugleich
schick und anständig sitzt.

Lin herzlicher Humor liegt in
M. Flashars Bild „Nicht bei der
Sache“. Wie zopfig wirkt dieser alte
Hofmeister, der, in seinen „Cornelius
Nepos“ vertieft, die Unaufmerksamkeit
seines Schülers gar nicht merkt, bis
dieser mit kühner Hand die Karaffe
ergriffen, das Glas gefüllt hat und statt
des Weines der Weisheit den der
Reben begierig in sich saugt. Der alte
Herr will vor Schreck förmlich er-
starren, und umgekehrt scheinen die
starren Faunsgesichte, die den vor-
nehmen Herrentisch tragen, Leben zu
bekommen und über den Streich zu

1 _ _ l

Aus dem
Natur- und $
Karl Oenike "
Wie prächtig st<
Bild der Stadt r
hinter dem Fiül
empor. Unwil
die Zeit Luther
is soll ja hier ein Kloster
chstag von 919, der in Fritzlar tagte, wählte Hein
So ist dieser Ort zugleich an Schönheit und an G

:r fliegende Hoiländer.

‘»tnann: Das Paradies und die Peri,

Boot des nächstfolgenden Schiffes aufgenommen, das meistens der Unfallstelle ani
nächsten ist. Die Tat des Offiziers, wie sie W. L. Wyllies Gemälde schildert, ist um
so kühner, als der außerordentlich starke Seegang eine schwere Gefahr bedeutet.

Ein sehr dankbares Motiv hat P. Quinsac in seinem Gemälde „Das Glück
geht vorüber“ behandelt. Auf geflügeltem, rollendem Rade braust Fortuna dahin,
sie, die das Mittelalter am Hinterkopfe kahl darstellte, weil niemand die davon-
eilende Gelegenheit ergreifen kann. Nackt wie eine Dirne ist sie und blind; der
derb Zugreifende hat noch am besten Gelegenheit, ihre Schätze zu erreichen, nach
denen Männer und Frauen trachten. Hinter ihr her zieht eine atheneähnliche Ge-
stalt, die bewaffnete Macht, und die Schönheit, die dem Glück und Reichtum folgen-

Mit sicherem Gefühl versetzt E, K. von Komaroms Bild „Abend im
Atelier“ in das Künstlerleben, dem immer ein Zug des Bohemetums anhaftet.
C>enn der Künstler hat, gleich der Seele, seine Pleimat nicht in dieser Welt,
s°ridern im Geistigen, Unirdischen und ist stets auf dem Wege, um sie zu suchen.
^itMacht erwachen seine Träume, und seine Phantasie schafft und webt, wenn der
S relle Tag verstummt ist, und der Flügel durch das Dämmern seine Weisen singt.
>>Nacht ist es, nun reden lauter alle springenden Brunnen. Und auch meine Seele
lst ein springender Brunnen. Nacht ist es, nun erwachen alle Lieder der Liebenden.
J-nd auch meine Seele ist das Lied eines Liebenden.“ Mit diesen Worten hat
tetzsche die Stimmung des Künstlers wie des Denkers vortrefflicb niedergelegt.

In die Welt der Frau fiihren uns drei französische Künstler. Den birken

Schlanken Körper eines juugen Mädchens, das in der Stille unberuhiter Gebirgs-

natur sicü anschickt, im See zu baden, hat P. Chabas in seiner „Morgen-

frische“ wiedergegeben. Wie ein durchsichtigter Schleier hängt dei Ilauch

des Frühnebels noch am Gebirge, sich im See spiegelnd, und über den Wasser-

* PleSel wie über den Mädchenleib läuft ein erfrischendes Frösteln. Der junge

und das junge schöne Geschöpf scheinen in gemeinsamer Ilarmonie zu

stehen. __ Dag zarte Milieu eines Mädchenzimmers hat D. Enjolras mit intimem

art,enreize wiedergegeben. Die duftigen Seidengewänder fließen, Blumen nicken

m gsschliffenem Kelchglase' und durch den Schirm der elektrischen Lampe

lallt goldschimmerndes Licht auf einen geflügelten Amor, den das junge Mädchen
mit i- ■

hebevoller Aufmerksamkeit betrachtet. Wenn Goethe in Hans Sachsens
Cllscher Sendung“ das einen Kranz windende Mädchen zu fragen scheint: „Für

Ernest Preyer: Huldigung an die Musik. Beethoven.
 
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