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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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4. Heft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0119

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Der Kuhreigen.

Die Kurfürstenoper in Berlin, die nach einem Jahre
des Mißerfölges aus den Händen von Maximilian Moris
in die ihres neuen Direktors Viktor Palfi übergegangen
ist, hat ihre Bühne sogleich mit einem starken Erfolge
wiedereröffnet. Wilhelm Kienzl, der durch seinen
„Evangelimann“ seinen Namen über ganz Deutschland
ausgebreitet hat, fand mit seinem „Kuhreigen“ eine
überaus freundliche Aufnahme. Mit vollem Recht! Im
Gegensatz zu den Künsteleien und der geistreichen
Kopfmusik unserer Zeit ist hier von einem hoch-
begabten Musiker eine volkstümliche Oper geschaffen,
die dem Hörer ans Herz greift. Den Text zu diesem
musikalischen Schauspiele hat der feine Musikkenner
Richard Batka auf der Grundlage der Novelle „Die
kleine Blanchefleure“ von Rudolf Hans Bartsch
hergestellt. Nur daß er das Prickelnde, Leicht-
fertige der Erzählung mehr ins Sentimentale
wandte, indem er nicht die französische Aristo-
kratin Blanchefleure mit ihrer Amorettengrazie
als Hauptperson beließ, sondern den biederen
Schweizer Gardisten Primus Thaller dazu
machte. In den Titel „Der Kuhreigen“ hat
sich hier der Titel der Erzählung von Rudolf
Hans Bartsch gewandt. Das Anstimmen des
Kuhreigens ist nämlich den Schweizer Gar-
disten, die zu Paris in französischen Diensten
stehen, bei Todesstrafe verboten, weil sie durch
die Melodie und ihre Erinnerungen an die Heimat
schon in ganzen Scharen zum Desertieren ver-
leitet worden sind. Dennoch stimmt Primus
Thaller halb unbewußt den Kuhreigen an, wird
denunziert, und sein Todesurteil harrt der Unter-
schrift des Königs. In wirkungsvollem Kontraste
stellt das Libretto der schlicht-volkstümlichen Gefühls
welt der Schweizer Soldaten die französische Aristo-
kratie kurz vor Ausbruch der Revolution entgegen. Ihre
Verkörperung findet der Adel in Blanchefleure. Durch
eine Art Zufall legt der König dieser Marquise die Ent-
scheidung über das Leben des Soldaten in die Hände;
und mehr aus Laune rettet sie ihn. Als sie nun auch
ihren Schützling aus Neugier kennen lernt, und der auf-
rechte Bursche ihr gefällt, möchte sie ihn für einige
Zeit zu ihrem Geliebten machen. Aber trotzdem Thaller
die anmutige Marquise sofort leidenschaftlich liebgewinnt,
will er sie nur als rechtmäßige Gattin besitzen, sonst
ihr lieber entsagen.

Da bricht die Revolution los. Schon ist der Gatte
von Blanchefleure hingerichtet worden, und die Aristo-
kraten sind im Temple eingeschlossen. Von hier wird
einer von ihnen nach dem andern, bald Edeldamen,
bald Edelmänner, der hungrigen Guillotine zum Fraße
vorgeworfen; aber sie sehen mit Gelassenheit dem Tod
entgegen, ja sie tanzen Menuett. Nun wirbt Primus
Thaller um die Retterin Blanchefleure; reicht sie ihm die
Hand, so entgeht sie der Guillotine. Aber sie will lieber
als Marquise Massimelle sterben und sich selbst getreu
bleiben. So schreitet sie, als sie abgerufen wird, aus
den Reihen der Tanzenden aufs Schafott: „Meine Damen,
meine Herren, der Tanz geht weiter“.

Es sind sehr dankbare Kontraste, denen Wilhelm
Kienzl durch seine Musik Ausdruck verliehen hat. Die
Menuettöne und die Klänge der französischen Revolution
greifen ausgezeichnet ineinander. Ebenso stehen sich
die Aristokraten und die Welt des Kuhreigens wirksam
gegenüber, freilich ohne recht mit dramatischen Kon-
flikten ineinanderzugreifen. Aber alles in allem hält
sich die Musik auf sehr beträchtlicher Höhe. Aus-
gezeichnet sind die volkstümlichen

Motive und recht gut

dieVer- wen-

fran-

Szene zwischen Thaller und Blanchefleure. Aus Wilhelm
Kienzls Oper: „Der Kuhreigen“. Kurfürstenoper, Berlin.

Phot. Willinger, Berlin.

zösischer Rhythmen; ja selbst das Tragische, das Kienzl
weniger liegt, führt er ohne Mißlingen durch. Seine
Musik fließt farbig, reich und klingend, ohne je banal
zu werden, und sie verrät überall sein vornehmes meister-
liches Können. Auch die Aufführung, aus der Eva
von der Osten als Blanchefleure und William Miller als
Primus Thaller hervorragten, war recht gut. K. S.

Pariser Ehen.

i.

Vor mir liegt eine recht einladend aussehende Ge-
schäftsempfehlung mit einem reizenden Titelbild: eine
auf dem Betstuhle knieende, sehr hübsch weiß gekleidete
und geschmückte liebliche Braut, neben, oder eigentlich
hinter ihr, der Bräutigam, ebenfalls im Hochzeitskleide.

Die Empfehlung lautet: Die Sociötö göndrale des Cör6
monies nuptiales (allgemeine Gesellschaft der Hochzeits-
feiern) hat den Zweck, alles bei Hochzeitsfesten Erforder-
liche zu besorgen. Verlobte, wendet euch an uns, um
kostenfrei alle Aufstellungen, Preise, Tischkarten usw.
zu erhälten. Wir besorgen Einladungen, Wagen, Blumen,
Hochzeitsmahl, Eis und Backwerk, Musiker, Ball, Kon-
zert usw. Dank besonderer Abkommen mit den ersten
Pariser Geschäftshäusern vermag unsere Gesellschaft
den Familien Vorteile zu verschaffen, welche sie andern-
falls nicht zu erlangen vermöchten. Wir fordern keinerlei
Vorschuß, die vereinbarte Summe wird niemals über-
schritten. Wir drängen keine Lieferanten auf.

Nun folgt eine Preisstaffel der Hochzeiten von 20
bis 150 Personen, zu festen Preisen. Es sind da neun
Gruppen aufgeführt, die von 350 und 580 bis 3500
und 4000 Fr. gehen. Für noch größere, reichere
Hochzeiten, bis 8000 und 10 000 Fr. und selbst
noch höher, werden besondere Aufstellungen,
Abmachungen getroffen. Für eine Hochzeit von
350 Fr. wird beigestellt: 200 Einladungen nebst
Briefhüllen; Trauung in der Kirche; Kremser
(Stellwagen) von 20 Personen für den ganzen
Tag; zwei Sträuße für die Brautjungfern;
Frühstück und Mittagmahl für 20 Personen
im Restaurant; Pianist (für den Ball nach dem
Mahl); alle Tnnkgelder; Photographie des
Brautpaars. Für 1100 Fr. wird geboten: 300 Ein-
ladungen mit Briefhüllen; kirchliche Feier;
fünf Wagen, geschmückter Brautwagen; zwei
Aumoniöres, das heißt Sammelbörsen (mit
welchen zwei Brautjungfern in der Kirche um-
hergehen, um Almosen zu sammeln); Frühstück
und Mittagmahl für 30 Personen im Restaurant;
Soiröe (Abendunterhaltung); Pianist; vollständige
Trinkgelder. Für 3000Fr.: 600 gestochene Einladun-
gen in kleinem Formate, je nach der Mode, nebst Brief-
umschlägen; 150 Karten für den Lunch; kirchliche Feier
den in der betreffendenPfarrkirche gebräuchlichen Klassen
gemäß; sieben vornehme Wagen, reichgeschmückte
Brautwagen und ebensolche vier Aumoniöres; Lunch mit
Champagner nach Belieben für 120 Personen, oder Früh-
stück im Restaurant für 60 Personen; Mittagmahl in
der Wohnung (der Brauteltern) oder im Restaurant für
60 Personen; Soiree, Pianist, alle Trinkgelder.

Weiter sind noch Hochzeiten zu 3500, 4000, 8000
und 10 000 Fr. vorgesehen.

Ferner wird ein Aufseher gestellt, welcher den
ganzen Tag zwei Kutscher und überhaupt das gesamte
Personal überwacht, die Neugierigen und Zudringlichen
abhält. Diese Einrichtung wird sehr geschätzt, da die
Hochzeitsgesellschaft gar sehr von Bittstellern aller Art
verfolgt, belästigt zu werden pflegt. Zum Schlusse bietet
die sehr verlockende Anpreisung noch unentgeltlich das
Hochzeitsheftchen (carnpt nuptial), welches 5 bis 10 v. H.
Nachlaß bei allen Einkäufen sichert. Selbstredend muß
man sich damit an die im Heftchen angegebenen Häuser
halten, welche mit der Sociöte gdnörale des Ceremonies
nuptiales in Verbindung stehen und derselben unzweifel-
haft einenAnteil zahlen. In Paris wäscht eine Hand die
andere, ist nichts umsonst, besonders nicht bei Hoch-
zeiten. Die Ankündigung ist so bestechend, daß man sich

XXVII. 4. B.
 
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