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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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24. Heft
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Saltzwedel, Hans: Frau Mytala, [7]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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Thielemann, Paul: Allerlei vom Gruß: kunsthistorische Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0741

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MODERNE IvUNST.

3 11

Dieses hochachtbare Ehepaar besaß neben einem hoffnungsvollen männ-
lichen Sprößling ein liebreizendes Töchterlein: Lottchen Frohgemut!

Sie war kein Backfisch mehr, weder an Jahren noch an Lebens-
erfahrung. Man kann sich’s ja denken, wie umworben ein munteres,
hübsches und dazu reiches Mädchen in so einem abgelegenen Nest ist.
Jeder, der es auf Grund seiner Bildung wagen zu dürfen glaubte, seine
Augen zu dieser Perle zu erheben, hatte sein Glück bei ihr versucht,
vom Provisor der Apotheke bis zum Gerichtsassessor. Aber Lottchen
Froho-emut war nicht so: sie glaubte sich zu höherem berufen und wies
alle ehrenvollen Anträge liebenswürdig ab. Endlich mußte ja doch der
Prinz kommen, der ihrer würdig war!

Natürlich war ich nicht so unbescheiden, je an die Möglichkeit zu
denken, daß die spröde Holde etwa in mir den langersehnten Prinzen

sehen könnte; und doch, das Unbegreifliche wurde Ereignis!-Nach-

dem unsere Bekanntschaft einige Monde gewährt, konnte ich nicht mehr
daran zweifeln. Bei jeder geselligen Zusammenkunft zeichnete sie mich
sichtlich aus: sie lieh mir Poesiebücher und forderte mich auf, ihr die
von mir am schönsten gefundenen Gedichte vorzulesen. AVenn ich in
das Zimmer trat, in dem sie mich erwartet hatte, schlug sie errötend die
Augen nieder, um mich gleich darauf lieb und innig anzublicken.

Auch vor den Augen der Frau Mama schien ich Gnade gefunden zu
haben; sie schaute gar freundlich und mütterlich darein, wenn sie sich
liebenswürdig nach meinem Wohlergehen und dem, was dieses etwa be-
einträchtige, erkundigte. Ferner lud sie mich immer wieder ein, den

Abend gemütlich in ihrer Villa zu verleben, und gestattete mir gnädigst,
ihr die Strickwolle zu halten. Hatte sie mich mit dieser gefesselt, so
versäumte sie es nie, die Vorzüge ihres Töchterleins in das rechte Licht
zu rücken, und gleichzeitig tief zu bedauern, daß diese Vorzüge in der
geistigen Armut des elenden Nestes so ganz unbeachtet blieben, was
freilich bei dem Mangel an wirklich vornehmen jungen Herren nicht
anders sein könne. Nicht mit Unrecht glaubte ich herauszuhören, daß
sie mich für den einzigen hierzulande hielt, der Anspruch auf diese
Bezeichnung erheben durfte.

Und nun erst Papa Frohgemut! Die teuersten Weine und groß-
leibigsten Importen rückte er anstandslos heraus, wenn ich da war; und
dem Herrn Amtsrichter, in dessen Gesellschaft ich täglich meinen Früh-
schoppen nahm, vertraute er an, daß sein Schwiegersohn, so er nur nach
seinem Geschmack wäre, sicher auf eine Viertelmillion rechnen dürfe.

Zweimalhundertfünfzigtausend Mark! — Damit konnte man sich in
meiner Heimatprovinz ein ganz ansehnliches Gut kaufen.

Ein eigenes Stück Land — eine Heimat! — Dcm Heimatloseh
schwindelte ordentlich bei dieser Vorstellung!

Und Lottchen Frohgemut war ein so liebes Wesen; gütig und ver-
ständig und machte zudem ihrem frohen Namen alle Ehre. —

Wäre ich nicht ein Narr gcwesen, mir das Glück, das sich mir so
unerwartet bot, das mir neue Ziele wies und meinem Leben einen neuen
Inhalt zu geben versprach — mir dieses beispiellose Glück leichtfertig
entgehen zu lassen? [Fortsetzung foigt]

Allerlei vom Gruß.

Kulturhistorische Plauderei von Paul Thielemann.

lD>

[Nachdruck verboten.]

^S|3eit urdenklichert Zeiten ist der Gruß zwischen Freunden und Bekannten, die
Cl|gy sich unterwegs begegnen, zur festen Sitte geworden, an der Jahrtausende vor-
übergegangen sind, olinc sie verdrängen zu können. Aus der Art und Weise,
wie der Mensch griißt, kann man wohl interessante Schlüsse auf seinen Charakter und
seine Persönlichkeit ziehen. Die den verschiedenen Völkern eigentümlichen Gruß-
formeln bieten uns oft tiefe Einblicke in' die Lebensweise und Lebensbedingungen
derselben. Die Unterscliiede in der Art
■des Grüßens, die sich durcii die mannig-
fachen Sitten und Gebräuche in den einzel-
nen Ländern herausgebildet haben, ver-
inögen an der Idee seibst, die dem Gruße
zugrunde liegt, nichts zu ändern. Der
Gruß bedeutet ein Zeichen unserer Ach-
tung, die wir dem andern dadurch öffent-
Jich kund tun. Einen Gruß daher nur
•oberflächlich oder gar nicht zu erwidern,

«der einer Person aus nichtigen Gründen
■den Gruß zu versagen, sie zu „schneiden“,

■wie die landläufige Redensart lautet, gilt
mit Recht unter gebildeten Menschen als
eine grobe Unart und unter Umständen
■sogar als große Beleidigung. Wir leben
■freilich in einer Zeit, die den Gruß nicht
mehr so lioch schätzt. Wir Menschen sind
in unserer dahinhastenden Zeit so gleich-
gültig gegeneinander geworden, daß wir
•die guten Wtinsche für den Nächsten, die
im Gruße enthalten sind, längst nicht mehr
als solche empfinden. Wir haben uns auch
das herzliche „Lebewolil", das „Behüt dich
Gott“ iängst schon abgewöhnt, und das ge-
dankenlose „Adieu" ist uns unverlierbai in
Fleiscli und Blut übergegangen. Wir
rtehmen den Hut ab, weil wir es eben
müssen, um diese uater der Flagge der
Etikette und guten Sitte segelnde Gewolm-
'heit nicht zu verletzen.

Es ist merkwürdig, daß gerade die un-
kultivierten, oft auf der niedrigsten Stufe
menschlicher Gesittung stehenden Völker
das umständlichste und Iangwierigste Zere-
monieli bei der gegenseitigen Begrtißung
ersonnen haben. Der Grund dafiir mag
wolil in ersfer Linie darin liegen, daß diese

miihelos dahinlebenden Naturmenschen nlehr Muße finden, auf alle innerhalb ihrer
bescliränkten Interessensphäre liegenden Kleinigkeiten zu achten, als wir modcrnen
Kulturmenschen, die wir schon aus Griinden der Zeitersparnis unser ganzes Leben
nach einem „abgekürzten Verfahren" einrichten miissen.

So setzen sich die Bewohner der Philippinen zur Begrüßung auf den Boden
ergreifen den Fuß des andern und reiben sich damit das Gesicht. Die Neger auf

Kap Lopez beugen das Knie und fallen zu
Boden, während sie schallend in die Hände
schlagen, und die Inselbewohner im Stillen
Ozean treten beim Atiblick eines Freundes
oder Bekannten erst drei Schritte zurück,
dann drei Scliritte vor. Die originellste
Begrüßung findet man unstreitig bei den
am Ufer des Amazonenstromes lebenden
i Eingeborenen Südamerikas. Wenn nämlich
s| zwei derselben sich begegnen, zieht jeder
j ein langes, dünnes, mit Schnupftabak ge-
fülltes Rohr hervor, steckt dieses dem
andern in die Nase und bläst ihm Tabak
hinein. — Die Dualla in Kamerun begrüßen
sich, indem der Griissende kurz und bündig
j erldärt: „Jehuse" (Ich sehe dich), und der
Begriißte zur Antwort gibt: „Niambe" (So
Gott will). Bei einer Reihe von Neger-
slämmen ist auch dcr Kuß üblich, ähnlich
dem russischen Brauche, den Bekannten
auf beide Wangen zti küssen.

I );e Lappen haben sclion aus unserer
Kultur Nutzen gezogen, sie driicken sich
die Hände und kiissen sich gegcnseitig.
Dr. A. Byhan besclireibt iu seinem inter-
essanten Werk über die Polarvölker eine
originelle Art des Grußes, die bei den süd-
östlichen Stämmen der zentralen Eskimos
ausgeübt wird: Wenu ein Fremder einen
andern Stamm aufsucht, so stellen sich alle
Bewohner des betreffenden Dorfes in einer
Reihe auf. Der Fremde, nähert sich ihnen
mit verschränkten Armen und geneigtem
Kopf. Ein Stammesangehöriger tritt ihm
entgegen und verabfolgt ihm mit aller
Kraft einen Backenstreich, für den sich der
Geschlagene in gleicher Weise revanchiert.
Dieses Spiel wiederholt sich abwechselnd

Herm. Hosaeus: Justitia. Große Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Phot. Linkhorst, Berün-Grunewald.
 
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