Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
15. Heft
DOI Artikel:
Roeder, Fritz: Der Sturm bricht los
DOI Artikel:
Lienhard, Friedrich: Schwert und Bibel, [5]: Novelle
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0431

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

184

für Eisen!“ lautet ihre schlicht-gewaltige Inschrift. Und mit dieser lohenden
Begeisterung zog Preußens Heer ins Feld. Der Sturm brach los —.

Mit wechselndem Kriegsglück fochten die verbündeten Russen und Preußen,
denen sich später auch Schweden und Osterreich anschloß, gegen den zu ver-
zvveifeltem Widerstand entschlossenen Kaiser der Franzosen. Blücher war der
Held, der immer erneut zum Stoße trieb. Schwere Opfer kosteten die Kämpfe
jener Zeit. Auch Theodor Körner starb dem Heldentod fürs Vaterland. Im
Lager zu Gadebusch hat er noch kurz vor seinem Tode den lauschenden Kriegs-
genossen sein neuestes Lied vorgelesen. Die Lützower lagen im Hinterhalt, um
einen feindlichen Wagenzug zu erbeuten. Eine Stunde später war der Sänger
der Freiheitskriege tot. Die Kugel hatte sein Herz durchbohrt, dicht neben der
Brieftasche, in der er sein Schwertlied geborgen hatte:

„Du Schwert an meiner Linken,

Was soll dein heiteres Blinken!“

Bei Leipzig sank Napoleons Stern in den Staub. Wohl versuchte er 1814
die erlittene schwere Niederlage durch neue Siege wettzumachen. Aber ver-
gebens. Wieder war es Blücher, dessen feuriger Mut die Verbündeten vorwärts
trieb. Der Sturm, der im Frühling 1813 von Königsberg und Breslau aus sich

erhoben hatte, wehte in der todesmutigen Tapferkeit der preußischen Landwehr
weiter. Die Katzbachschlacht, am Tage von Körners Tod geschlagen, hat jene
begeisterten Scharen in einem wahren furor teutonicus gezeigt.

Napoleon war nach Elba verwiesen worden, landete aber im Frühling 1815
neuerdings auf Frankreichs Boden, und nochmals mußten die Verbündeten gegen
den gefürchteten Mann ins Feld rücken. Bei Belle-Alliance entschied Blücher
die letzte Entscheidungsschlacht, und Gneisenau gestaltete sie durch eine bei-
spiellos energische Verfolgung zu vernichtender Niederlage für Napoleon. Dieser
mußte auf seiner Flucht vor den preußischen Reitern sogar seinen Wagen mit
vielen Kostbarkeiten im Stich lassen.

Abends saß Blücher im Kreise seiner Offiziere. Die Gicht plagte ihn arg.
Da trat ein Feldjäger ein und hrachte Hut, Degen und Orden des flüchtigen
Kaisers, die bei Genappe erbeutet waren. Sinnend hielt s.ie der Bezwinger des
großen Feldherrn lange in der Hand. Rückschauend mag sein Geist wieder in
jenen Vorfrühlingstagen des Jahres 1813 geweilt haben, da sich das preußische
Volk, hingerissen von dem Drang, die Freiheit und Unabhängigkeit des Vaterlandes
wiederzugewinnen, erhob gegen den nunmehr überwundenen Bedrücker; da
Wahrheit ward, was der Dichter sang: „Der Sturm bricht los!“

Schwerf und

Bibel. «=4^

Novelle von Friedrich Lienhard.

[Fortsetzung.]

s macht mir schlaflose Nächte“, seufzte der Pfarrer. „Wahr-
lich, mein gnädiges Fräulein, ich selber bin bekümmert, ja ver-
blüfft über diese Wirkung. Aber ich versichere Sie, das Unheil
ist nicht allein mir auf Rechnung zu setzen. Ich habe meine Pflicht getan.“
„Pflicht!“ rief Juliane und blieb stehen. „Oh, das subalterne Preußen-
wort!“

„Subaltern?“ Der Pfarrer horchte auf. „Wieso denn?“

„Genügt Ihnen denn das Wort Pflicht?“ fuhr sie fort. „Meine Pflicht
tue auch ich wie jeder anständige Mensch im Staats- und Berufsleben.
Es ist ja das Alphabet jedes ordentlichen Bürgers, seine Pflicht zu tun.
Moralismus wird uns ja von Kind an eingedrillt; und es ist fast ein
Gemeinplatz, die banale Tatsache auch nur zu erwähnen, daß man seine
Pflicht tue. Ich zum Beispiel bin Marketenderin in diesem Feldlager,
beaufsichtige Küche und Keller, habe
meine seltenen Kaffeekränzchen und
häufigen Krankenbesuche — na, und
dann? Dann ist überreichlich meine
Pflicht getan. Aber was kommt hinter
und jenseits der alltäglichen Pflicht?

Da kommt das Schöne, die Freude,
die Liebe, die Kunst! Und das Schöne
ist es, lieber Plerr Pfarrer, was das
Herz warm und weit macht, was die
Phantasie belebt und bereichert! Das
ist kein Gegensatz zurPflicht, vielmehr
gießt es in das Tagewerk die nötige
Freudigkeit.. Kurz, Herr Pfarrer, Ihr
Lebensbegriff ist mir zu dürftig!“

„Dürftig? Nun, da muß ich denn
doch sagen —- —; darf die Würde und
Hoheit einer edlen Pflichtauffassung
dürftig genannt werden?“

„Das nicht! Aber Sie bleiben im
Moralismus stecken! Darurn dürftig!“

Sie hatten sich auf eine weiße
Bank gesetzt, die dort mitten im Mond-
schein stand-

„Moralismus?“ fragte der Pfarrer
sinnend. „Merkwürdig! Aehnliches
sagte mir heute Doktor Stäuble. Und
ich muß offen bekennen, daß damit
eine wunde Stelle in meinem Wesen
getroffen wird. Oh, ich wciß nur zu
gut, was mir fehlt! Schon als Knabe
litt ich, wenn ich Unrecht begehen

Copyräght 1913 by Rich. Bong.

sah, auch wenn’s mich selber gar nicht betraf. Und jetzt, in reifen
Jahren, wenn ich Laster und Unsitten sehe, so trifft mich das wie eine
persönliche Beleidigung. Und von solchen persönlichen Beleidigungen
wimmelt es hier am Ort.“

„Einverstanden, Herr Pfarrer! Aber Ihr Vorgänger, ein maßvoller,
etwas pietistischer Mann, hatte sich einen Ausspruch angewöhnt, der
gar nicht übel war. Er pflegte zu sagen: Gesetz und Evangelium müssen
zusammenwirken, wenn’s ein gutes Ganzes geben soll. Das Gesetz ist
altes Testament, Jehovah, und straft mit Strenge; das Evangelium ist
neues Testament, Christus, und bringt die Frohbotschaft vom liebenden
Vater. Nun, bis zum Gesetz sind Sie vorgedrungen, Herr Pfarrer — aber
wo bleibt das Evangelium?“ — Der Pfarrer schaute sie verwundert an.

„Mein Fräulein, ich fürchte fast, ich habe Sie unterschätzt.“

„Das will nicht viel heißen“, er-
widerte sie in ihrer einfachen Art, „aber
ich fürchte fast, daß Sie Ihre Gemeinde
unterschätzt haben.“

„Ja, ja, ja“, nickte er, „ich gebe
Ihnen ganz offen recht, ich habe da
vorschnell gehandelt. Und es ist brav
und tapfer von Ihnen, daß Sie mich
ungeschminkt auf meine unglückselige
Anlage aufmerksam machen. Ich neige
zu einer gewissenHerbheit und Strenge
der Lebensauffassung. Oh, glauben Sie
ja nicht, daß ich keinen Sinn hätte
für die Welt der Schönheit! Aber wenn
ich rund umher von der frechen Sinn-
lichkeit das heilige Uebersinnliche be-
schmutzt und verhöhnt sehe —■ in diesem
Deutschland, das einst so große Geister
beherbergt hat — dann krampft sich
mir das Herz zusammen, ich klappe das
Evangelium zuundgreife zum Schwert!“
„Draufgehauen! Aber fröhlich!“
versetze die Soldatentochter.

„Leicht gesagt!“ erwiderte der
Prediger. „Aber es bleibt dann im
Kämpfer oft eine Verdüsterung zurück,
der manches ehrliche Gemüt zum Opfer
gefallen ist, weil seine beste Schaffens-
freude gelähmt wurde. Glauben Sie
mir, ich selber leide unter meincn
Zornpredigten mehr als die Leute, die
unter meiner Kanzel sitzen!“

E. Zimmer: Johanna Stegen bei der Erstürmung Lüneburgs.
 
Annotationen