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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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14. Heft
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Schimmelpfennig, Carl von: "Facior": Humoreske
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Unsere Bilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0412

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MODERNE KUNST.

180

Der Direktor sah ihn etvras überrascht an; er kannte die innigen Beziehungen
seines jungen Oberlehrers zum Hause des Geheimrats und moclite ein milderes Urteil
erwartet haben. Aber in den Blick mischte sich auch ein Strahl anerkennender Hoch-
achtung: Ein Kopf, der dem Herzen nicht gehorsam war.

»Sie haben recht, lieber Kollege,“ sagte er, „ein miserabler Lateiner! Aber mich
dünkt, man kann die Sache auch noch anders auffassen. Sie sprachen vom huma-
nistischen Gymnasium; wir alle wissen, ein schwerer Kampf wird um seine Berech-
tigung heute geführt. Mancher der Gründe, die man gegen uns ins Treffen ftihrt,
sind — fürchte ich — nicht ganz unzutreffend. Was sollen wir schaffen? Das Wort
.humanistisch' sagt es — ,homo' heißt der Mensch! Menschen also, das heißt urteils-
fähige Geschöpfe mit einer gewissen Menge Wissensstoff. Nicht Lateiner, nicht
Hellenen, nicht Philologen und nicht Archäologen. Verständige Jungen — und dafür
halte ich den Hans Wildner, denn sonst stellten ihm die Herren Kollegen in Englisch
und Mathematik kein so günstiges Zeugnis aus. Er will zur Marine — ich denke

.... _ Unsere

^ans Stubenrauch: Das Ständchen. Draußen stürmt und tost der
Wind um das Eckhaus am Marktplatz. Auf Dächern und Simsen der kleinen
alten Stadt liegt die weiße, glitzernde Decke, so daß des Bürgermeisters Tochter
Mühe hat, den grünen Fensterladen heranzudrücken. Da ist es ihr, als ob
sie von der Straße leise Schritte im Schnee hörte, und plötzlich dringt, von
Studentenkehlen gesungen, die Melodie „Leise flehen meine Lieder“ zu ihr
herauf. Draußen hat sich eine Schar junger, lebensfroher Studenten versammelt,
deren Keckheit um so größer ist, als sie gerade das Haus des heute abwesenden
Oberbürgermeisters zur Zielscheibe ihres Übermuts erkoren haben. Einen
Augenblick schießt dem Mädchen die Röte des Zornes ins Gesicht, dann aber
lauscht sie unwillkürlich aufmerksam den Tönen. Denn sie unterscheidet dabei
eine Stimme, die sie seit dem letzten Feste der Studenten genau kennt.

* *

* .

Margaret J. Dicksee: Swift undStella. In Jonathan Swift, dem größten
Satiriker Englands, tritt uns einer der eigenartigsten und kompliziertesten Charak-
tere entgegen, ein Mensch von hohem Talent. Mühsam und dornenvoll verlief der
Weg durchs Jugendland, da Swifts Vater früh gestorben war; nur mit fremder
Hilfe konnte er seine Pläne durchsetzen und das Trinity College zu Dublin beziehen.
1692 erwarb er denDoktorhut, ging bald als derVertraute des berühmtenDiplornaten
Sir William Temple nach Moorpark. Nun setzte die reizvollste und bewegteste
Episode seines an Wechselfällen so reichen Schicksals ein; er lernte Esther Johnson,
die „Stella“ seines „Tagebuchs“, kennen. Esther zählte damals 16 Jahre. Ihr
großer Liebreiz und ihr lebendiges Wesen begeisterten Swift, der bald mit inniger
Zärtlichkeit und hingebender Liebe an der jugendlichen Freundin hing. Aber
auch Stella war hingerissen von dem geistvollen Wesen des Geliebten, von
seiner Güte und Freundlichkeit. Jene Jahre bilden wohl die glücklichste und
sonnigste Zeit in Swifts Leben, das nach mannigfachen Kämpfen so außer-
ordenllich tragisch enden sollte. Gerade seine Liebe zu Stella bereitete ihm
nachmals vielerlei Kummer. Denn Swift konnte sich nicht zu einer legitimen
Ehe, die seinem innersten Wesen so fern stand, entschließen; wenn wir gewisse
Stellen in „Gullivers Reisen“, die späterhin infolge der Lieblichkeit der Schilde-
rungen aus dem Lande der Riesen und Zwerge im Sturme die ganze Welt er-
oberten, recht verstehen, so konnte er für sich eine eheliche Gemeinschaft nie
ersehnen. Im Jahre 1713 wurde ihm die Dechanei von St. Patrick in Dublin
übertragen. In jener unruhevollen Zeit riefen ihn häufig politische Geschäfte
nach London, wo er oft monatelang weilte. Hier ergriff ihn plötzlich eine tiefe
Neigung zu seiner Nachbarin, Esther Vanhomrigh, und die Flammen gewaltiger
Leidenschaft loderten mächtig empor, wenngleich er Stella nie ganz vergaß.
Stella entging die Veränderung seines Wesens nicht, und da sie ihre Liebe arg
gefährdet sah, drang sie mit allen Mitteln auf eine definitive Verbindung. Um
diesen folternden Zwiespältigkeiten zu entgehen, willigte Swift ein, und im
Jahre 1716 fand die Heirat statt, die ihm und Stella nimmer den erhofften Frieden
bringen sollte. Doch Esther Vanhomrigh wollte auch nicht von Swift lassen
und nährte die stille Hoffnung auf seine Rückkehr zu ihr. Das unselige Doppel-
verhältnis mußte schließlich zu einer entsetzlichen Katastrophe führen; Swift
wandte sich gänzlich von Esther Vanhomrigh ab, die infolgedessen in ein
schweres Fieber verfiel und bald darauf starb. Aber auch die einstige innige
Liebe zu Stella war von diesem herben Schlage getroffen. Unter der Last ihres
traurigen, ewig unklaren Verhältnisses zu dem noch immer geliebten Manne
welkte Stella sichtlich dahin. Im Jahre 1727 wurde Swift an ihr Sterbebett ge-
rufen, doch er weigerte sich, sie vor ihrem Tode wiederzusehen. So fand die
Verbindung zwischen Swift utid Stella ihr tragisches Ende. P. G. A.

* *

*

Carl Becker: „Attacke der preußischen Dragoner bei Wachau“.
(Völkerschlacht bei Leipzig.) Der 16. Oktober 1813. Ein kühler, naßkalter
Herbstvormittag. Die Weltgeschichte steht vor ihrer Entscheidung. Entweder
legt sich das Joch Napoleon Bonapartes erdrückend auf die Völker Europas oder
sie vernichten den Tyrannen. Bei Wachau, das etwa zwei Stunden von Leipzig
entfernt ist, entfliegen Verderben bringend die ersten Ivanonenkugeln den Rohren.

mir, auf Seiner Majestät Schiffen wird niemand nach dem Passiv von „facio“ fragen.
Da braucht man nur das gute deutsche Wort: Schaffen -— wirken — handeln!
So schlägt das menschliche, das wirtschaftliche Interesse das abstrakte Recht der
Wissenschaft, die ich selbstverständlich mit Ihnen hochhalte. — Übrigens — nebenher
gesagt — bei den Spätlateinern, namentlich in der medizinischen Literatur, kommt die
Bildung ,facior‘ wirklich vor! Wie leicht kann derjunge das in der Bibliothek seines
Vaters gelesen haben: Hinc illae lacrimae!"

Dr. Hellmut lächelte, innerlich sehr glücklich, die andern Professoren schmun-
zelten: Hans Wildner war durch! — —

Das war vor Jahren. Heute ist er Navigationsoffizier des kleinen Kreuzers
„Spandau". An schönen Sommerabenden aber segelt er auf seiner kleitien Jacht weit
hinaus aus der Föhrde in die liclite, blaue See. Dann spritzt manche Welle, zer-
stäubend am Bug des schlanken Fahrzeugs, empor und umspült neckisch die Gold-
buchstaben seines Namens: „Facior".

Bilder. --

Auf den Höhen hatte Napoleon 500 Geschütze aufgestellt. Als die böhmischen
Truppen um 10 Uhr vormittags angriffen, empfing sie eine furchtbare Kanonade.
Da nahmen unter Kleist und dem Prinzen Eugen von Württemberg die Preußen
und Russen den Angriff auf und gewannen die ITöhen. Auf dem nahen Wacht-
berge standen Friedrich Wilhelm III., Zar Alexander, Kaiser Franz und Schwarzen-
berg und beobachteten den Verlauf der Schlacht, die hier mit voller Wucht ein-
gesetzt hatte. Als Napoleon den Erfolg der Preußen und Russen übersah,
machte er sofort seine gesamte Artillerie bei Wachau mobil. Sonst war seine
Taktik, gewaltige Massen Fußvolk auf einen Punkt des Feindes zu werfen, uni
dessen Schlachtreihen zu durchbrechen. Jetzt sollte von den ITöhen herab die
Artillerie diese Arbeit leisten. Aus 400 Geschützen krachten die Granaten. Die
Erde erbebte. Häuser, die zwischen den Kämpfenden standen, wurden weg-
gefegt wie Kartenhäuschen. In Leipzig erklirrten die Fenster. Gegen diesen
Hagel von Tod und Verderben kam die Artillerie der Verbündeten nicht auf.
Dagegen tauchten über den Llöhen von Wachau immer neue Kanonenschlünde
empor. Aber die Verbündeten wichen nicht. Fünfmal nahmen die Preußen und
Russen die feindliche Stellung, fünfmal ging sie ihnen verloren. Inzwischen schickte
der Prinz Eugen von Württemberg um Hilfe aus, und Schwarzenberg ließ ihm
ein paar österreichische Bataillone zuführen. Napoleon fieberte. Irnrner neue
Geschütze ließ er auffahren. „Die Welt dreht sich noch um uns!“ rief er den
Marschällen zu. Und zum Prinzen Emil von Hessen-Darmstadt sagte er in seiner
schäumenden Wut gegen Friedrich Wilhelm III.: „Vorwärts, König von Preußen!“
Ifr holte zu einem zweiten gewaltigen Stoße gegen die Verbündeten aus und
hoffte, sie so bis zur Vernichtung an dieser Stelle niederzumähen. Es war
Mittag, da verstummten plötzlich die Kanonen, und durch die grauenvolle Stille
klangen Trompetensignale. Darauf dumpfes Erbeben der Erde: 12 000 Reiter
wälzen sich gegen die Verbiindeten heran. Schwarzenberg, unruhig, rät den
Monarchen, sich zurückzuziehen, und reitet selbst in die Schlachtreihen, um die
letzten Anordnungen zu treffen. Einzelne Abteilungen der Verbündeten sind von
der Attacke Dereits niedergeworfen; da hemmen, es ist fast ein Wunder, zwei
Teiche nahe am Wachtberge den furchtbaren Ritt. Die Reiter stürzen und
kommen in Unordnung. Die Verbündeten lösen ihre Kanonen gegen sie, und in
die Seite iallen ihnen die preußischen Dragoner. Es ist der entscheidende Höhe-
punkt des Tages. Napoleon, der zu Mittag schon des Sieges sicher gewesen
war und in Leipzig die Glocken hatte läuten lassen, wurde ungewiß und schickte
an Marmont um Hilfe. Die Schlacht um Wachau stand. Marmont kam nicht,
und Napoleon rnußte mit starken Kräften die Stellung halten. Währenddem
entschied sich bei Möckern das Schicksal des Tages. Hätte der Kaiser bei
Wachau gesiegt, so war die Völkerschlacht für die Verbündeten verloren.

* X

X

Eine stimmungsvolie Personifikation der „Nacht“ hat John Collier ge-
schaffen. Auf dem Kamme des Gebirges, dessen Gipfel im Firnenschnee
leuchten, sitzt eine idealisierte Frauengestalt, die mit nachdenklichem Auge vor
sich hinblickt. Über ihr gliinmen die Sterne am Ilimmel, und vom Schnee der
Berge scheint die Kühle der Nacht über das Land zu streifen, das bald in tiefem
Schlummer liegen wird. — Marie Josef Iwill hat das Motiv zu seinem Bilde
„Casa-Rossa“ auch diesmal aus Venedig geschöpft; lockt doch die Schönheit
der Bauten und Kanäle dieser feucht-verklärten Meeresbraut ihn immer wieder an.

X *

X

Ein belebtes Bild hat G. Clairin in seiner „Pause bei einer Ballett-
probe“ temperamentvoll wiedergegeben. Alle die Gestalten, die soeben auf
der Bühne der großen Pariser Oper ihre elastischen Glieder im Tanze regten,
federten, schnellten und beugten, sind nun ins Parkett geeilt. Eifrige Fragen im
Flüstertone schwirren durcheinander, denn Freunde und Fachkenner müssen
ihnen mitteilen, wie die einzelnen Piecen gewirkt haben. Auch der Flirt, der
diesen weißen „Ratten“ nicht fremd ist, kommt dabei zu seinem Rechte. — Eine
Brunnenfigur, die einen Jüngling darstellt, der ein Wasserhorn nachdenklich
zur Erde gießt, stammt von E. Fr. Wield. Das zum Träumen anregende
Element plätschernden Wassers kommt darin stimmungsvoll zum Ausdruck.
 
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