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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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11. Heft
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Krell, Max: Die andere Natur
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Bittrich, Max: In Glück und Leid
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0319

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136

MODERNE KUNST.

Launay zögert. Sie spüren es und wagen das Letzte: Parole d’honneur!
»Ihr sollt mit Ehren abziehen!"

Und die Zugbrücke senkt sich.

Ein Sturzwasser schäumt in den Bauch des Oefängnisses, bebt, ebbt und
bricht von neuem weiter. Momente irrt die Flut. Dann stürzt sie durch das
Labyrinth, zerschlägt die Türen, quillt über Hof und Qänge. Die Qefängnis-
kammern werden aufgebrochen. Viele sind leer; in den wenigen nur matte
Qreise. Man trägt sie im Tumult ans Licht, indessen die große Woge weiter-
schnellt. Ein Quirlen und Sausen ist in der Tiefe.

Und dann stößt der Menschenkolben sich zurück. Hände tauchen aus den
Finsternissen, Hände, die Leiber tragen, wie Mütter gerettete Kinder, Hände,
die Häupter umfassen, Hände — und alle Hände strecken sich zum Himmel in
Jubel und Begeisterung.

Es ist wie ein gewaltiges Züngeln und Flammen.

Hände, in denen sich Menschenleiber winden. Voran ist der Bauer Abel
Verlot. Er trägt den Graukopf. Ungeheurer Lärm umtobt beide. Und förm-
lich über den Lärm empor hebt der Träger seine Last. Zurück durch die Gänge,
Höfe, Qänge, Höfe, Qänge, über die Brücke hinaus in den goldenen Tag,
in die hassende, wilde
Stadt. —- Er ru-
dert sich mit dem
Alten durch das
Meer, das seine tau-
send Wellen gegen
sie schleudert. Lange,
lange ist er stark, und
dieArme, denen man
den Sieg entzerren
will, zittern nicht.

Sie halten fest. Aber
iminer wieder
schwillt die Bran-
dung und schiägt
neue Wut gegen den
bebenden grauen
Mann in Abels Arm.

Andere Träger
mit andern Körpern
drängen hinter ihnen
her. Rastlose Rufe
gellen nach Blut und
Tod. Sie wissen
nicht: warum. Es
ist nur, daß das
Fieber seine Lust er-
reicht. Piketts von
Armen starren nach
Launay.

Abel fühlt: die
Arme zittern — die
Kraft weicht. Aber
den Sieg will er nicht
wegwerfen. Er preßt

die Nächsten zur Seite. Er schleudert den General
vor ihre Füße und schlägt seinen zuckenden Körper,
daß das Leben rasch vergangen ist. Er greift einen
Degen und spaltet das Haupt vom Leichnam,
während die Meute mit Qeierwut sich auf die
blutigen Fetzen wälzt.

Und Abel hebt den Kopf empor. Mit
neuer Kraft durchbricht er den Haufen. Und

Im Münchner
Tingeltangel.

V'v' V-C^/ '

errichtet den Schädel
auf einer Stange.

Das Ungeheuer, das
die Straßen fiillt, schreit
seinen Jubel heißer.
Keiner ist müde. Auch
de Launays Qetreue ver-
bluten. Eine Prozession
mit den furchtbarsten
aller Kriegstrophäen tritt
ihre Wallfahrt an. Und
vor den Fenstern des
Herzogs von Orleans,
seines hündischsten Va-
sallen, pflanzt das Volk
ein Totenkopfspalier auf.

Die Sonne schien
nicht mehr. In den Häu-
sern loschen die Lichter
aus. Die Menschen, von
einer großen Arbeit kraft-
los, sanken in Schlaf.
Der neue Tag zuckte mit einem
dünnen, kleinen Schein in den Himmel
der Sommernacht.

Abel Verlot verließ seine Pförtner-
wohnung und schritt durch die leeren
Straßen der Vorstadt. Sein Qehen gab
den einzigen Laut.

Abel fühlte, daß etwas in seinem
Körper starb. Er empfand es nicht schwer.
Feuer hatten in ihm gebrannt. Sie waren
zusammengesunken, und auch die Asche
wiirde ihre Glut nicht lange bewahren.
Das Fieber war gebrochen. Die Krank-
heit getötet. Ein Genesener schritt dem
Morgen zu.

Er hatte einen sorgsam gebürsteten
Rock an. In den blanken Spiegelknöpfen
begiitzerten sich die matter werdenden
Sterne. AIs er vor die Oartenpforte kam,
brach er sich.Rosen von den Ranken und
steckte sie in seinen Latz.

Er begrüßte mit einem nachdenk-
lichen Kopfnicken die beiden hohen stei-
nernen Sphinxe zu Seiten der Tür. Er
schritt zwischen dichten Hecken hin und
voriiber an glatten Rasenflächen immer
tiefer in den Frieden des Parks. Nur die
Vögel waren lebendig und sangen helle
Lieder.

Buntbekränzte Tritonen starrten in
feierliche Teiche. Taxus und Oleander
hegten verlorene Winkei. Eine weiße
Marmorfrau schimmerte aus grüner
Szenerie.

In Diiften träumte alles. Und ganz
weit und frei lag das golddurchwirkte
matte Blau der Himmelsfrühe.

Joran!

(~0)enn zeitßcfie firecmde von dir gefin,
‘Recfie dich einsam fiocfi zum cfitreii!

'Die Gicfie fiäßt scfifiajfe ‘Bfiätter verwefin:
'Die ßasf muß fafifien! ücfi bin bereit! —
Gefassen scfiicfit sie, was mait und weicfi,
fi)er cVergängficfikeit dunfifem ‘Reicfi
c2find füfilt in den fHdern des 'fllorgens'fiOelfen
‘Rufifos pufsen und fKnospen scfiweffen;
ffifurra! ßriscfiere Sturmgeseffen!

OJn 5[ücfc und ßeid.


<Von Qljax OBiüricfi.

J

0 da!

CfQe scfimiegte sicfi das ßeben weicfi
ffln micfi, 'JKarienfäden gfeicfi.

fJcfi aber jubefte mein ßied
fißiifdtrutzig, fand aucfi nur Granii
IKein ungefüger Rflug.

Gfeicfiwie der Baum, der sturmumiobt
fffart wird und seinen cfcfiöpfer fobt,
cftand icfi im dffofkenzug.

QJnd wie nicfit eine fifletiernacfit
Gin Bfatt ifim stafif der zäfien ‘Rracfit,
ffaucfizt’ icfi der ‘jfrüfung zu.

Bocfi wie sein ßaub nun mifdem fKaucfi
Ber cJonne weicfit — so sefig aucfi
Gntscfifief vor dir mein ffrotz — 0 du!
 
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