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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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17. Heft
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Skribanowitz, Theodor: Peter Behrens' Deutsches Botschaftspalais in St. Petersburg
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Anwand, Oskar: Schluß der Theatersaison
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0498

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MODERNE KUNST.

und Repräsentationshaus entspricht unserer modernen Forderung nach Ehrlichkeit
und Zweckmäßigkeit in der Architektur. Ein Warenhaus soll sich auch äußerlich als
Warenhaus kundgeben und nicht wie ein Palast oder eine Kathedrale aussehen. Das
Qebäude einer Botschaft ist nicht bloß Palast, Prunkbau, sondern daneben auch
Anitsgebäude mit Kanzieien und Bureauräumen. Indem nun Behrens den Teil des
Qebäudes, der diese zweite Bestimmung offen ausspricht, bis an den Platz heran-
führt, ihn aber doch um einige Fuß hinter der FJuchtlinie des Palastteiles zurück-
liegen und von einem niedrigeren Sirns bekrönt sein läßt, hat er die bevorzugte
Bedeutung des Repräsentationshauses wirkungsvoll unterstrichen.

Dieser Palastteil des Oebäudes bildet auf den ersten Blick einen nach gleichem
Rhythmus durch die Säulen gegliederten, in
allen Teilen gleichwertigen Körper. Bald
aber fühlt man heraus, wie doch mit dis-
kreten Mitteln sein zentraler Teil hervor-
gehoben ist. Zunächst durch die drei Portal-
öffnungen und die drei Balkons, welche die
vier Mittelsäulen zu einer besonderen Gruppe
zusammenschließen. Dann durch die modi-
fizierte Gestaitung des Daches über diesen
vier Säulen und, endlich, in den vier Körpern
der Rosse und Qiganten, in die die vier
Mittelsäulen, gleichsam verlebendigt, aus-
klingen. So sind in die scheinbar monotone
Fassade des Palastbaus Akzente und Be-
wegung hineingebracht worden.

Die gewaltig dominierende Kolossal-
gruppe der „Rossebändiger" von Eberhard
Encke verdient höchstes Lob. Das ist wahr-
haft monumentale Plastik: strenge Symmetrie,
keine Ueberschneidungen, Ruhe! Man wird
bei ihr lebhaft an Hans von Marees Studie
iti der Schleißheimer Galerie erinnert.

Eine der Leistung entsprechende ästhe-
tische Einzelbetrachtung des Innern des Bot-
schaftsgebäudes wiirde eine stattliche Mono-
graphie für sich erfordern. Hier ist aber
auch das erläuternde Wort am entbehrlichsten.

In der Anordnung der Räume und threr
künstlerischen Ausgestaltung war Peter Behrens
in seinem ureigensten Element. Schon die
Abbildungen lassen erkennen, welch eine Fiille
neuer Formen komponiert und i'tber das Oanze
ausgebreitet worden ist. Dem Qroßen und

dem Kleinen und Einzelnen ist die gleiche Sorgfalt gewidmet worden. Gediegen-
heit des Materials, glückliche Proportionen und wirkungsvolle Farbenzusammenstellung
bestimmen den reichen und vornehmen Gesamteindruck der Staatsräume sowohl
wie der Wohn- und Arbeitsräume des Botschafters, von denen hier nur die
Empfangshalle und der trotz seiner Modernität so altpreußisch anmutende Thron-
saal erwähnt seien. — So kann denn zusammenfassend gesagt werden, daß Peter
Behrens mit dem Petersburger deutschen Botschaftspalais ein ganz großes architek-
tonisches Kunstwerk geschaffen hat, das in ihren Mauern zu besitzen die russische
Hauptstadt sich laut rühmen darf. Es wird den Namen seines deutschen Meisters
auch in der Hauptstadt Rußlands unvergeßlich machen. Theodor Skribanowitz.

Schluß der Theatersaison.

Von Dr. Oskar Anwand.


llen Klagen über den Rückgang und die Verflachung unseres Theaters zum

«mm Trotze geschehen imnrer wieder Zeichen tröstlicher Art. Dazu gehört
der starke Erfolg, den Leo Tolstois Drama „Der lebende Leichnam“ auf
der Bühne des Deutschen Theaters errungen hat. Wohl der größte Erfolg dieser
Theatersaison, einem Stücke dargebracht, dessen scblichte Tiefinnerlichkeit den
Publikumsbeifall auszuschließen schien! Gewiß gebührt der Darstellung unter
Max Reinhardts Leitung ein Anteil; aber ihr Bestes beruht doch gerade darin,
daß sie sich eng an den Dichter anlehnt. Er also, Leo Tolstoi, der ernste Asket
und Prediger gegen die Torheiten der Welt und der Menschen zog die Hörer
in den Bann seiner Geisteswelt.

Echt russisch ist auch dieses Stück Tolstois, weniger dem Motive nach,
da ein ähnliches Geschehnis auch in andern Ländern denkbar wäre, als in den
Charakteren und dem Milieu. Ein Mann aus höheren Ständen will sich von
seiner Frau trennen, da er ihr aus Trunksucht das Vermögen vergeudet und
manches Ärgernis bereitet hat. Sein Schicksal läßt ihn Tolstoi aus den sozialen
Zuständen Rußlands erklären:

„Wer in den Kreisen, denen ich entstamme, geboren i.st, der hat nur drei
Möglichkeiten zur Auswahl. Entweder kann er ein Amt bekleiden, kann Geld
verdienen und den Schrnutz, in dem wir leben, vermehren — das war mir zu-
wider, oder vielleicht verstand ich es auch nicht —, vor allem aber war es mir
zuwider. Oder er kann diesen Schmutz bekämpfen, doch dazu muß er ein Held
sein, und der bin ich nie gewesen. Oder endlich drittens: er sucht zu ver-
gessen, wird liederlich, trinkt und singt — das habe ich getan, und so weit
hab’ ich's damit gebracht.“

So klingt eine Rousseausche Fanfare gegen die Kultur oder doch wenigstens
gegen die Verderbtheit der Kultur und des Staatslebens Rußlands an, die am
Schlusse zum stärksten Angriffe schmettert.

Dieser Mann ist durchaus kein Bösewicht. Auch nicht nur gutherzig, so
daß er seinen Unwert einsieht und gern möchte, seine Frau solle an der Seite
dessen, den sie zuerst geliebt hat, noch glücklich werden! Nein in diesem leicht-

- [Naclidruclv verboten.]

sinnigen und aufrichtigen Schwachen lebt sogar das Streben nach einem Ideal, nach
einem Schwunge der Seele, nach höherer Harmonie, die er aber bei seiner Frau
nicht fand, so sehr er sonst sich und nicht ihr alle Schuid zuschreibt. Die
Musik in einer Zigeunerkneipe und ein Zigeunermädchen geben sie ihm wenigstens
vorübergehend. Er fühlt, daß er gesunken ist, daß seine Frau anders geartet ist
als er — in Reue und Scham will er ihr den Weg freigeben. Nur die Lüge
des Ehebruchs will er nicht auf sich nehmen. So folgt er dem Rate des
Zigeunermädchens, seinen Tod zu fingieren, indem er Kleider und Brieftasche
am Ufer eines Flusses liegen läfit. Als man später seine Frau an die Leiche
eines Ertrunkenen ruft, den sie voller Grauen kaum. ansieht, glaubt sie ihren
Gatten zu erkennen. Der aber vegetiert als lebender Leiohnam fort, bis ein
Schurke das Geheimnis verrät.

Nun werden die drei, Fedja, seine einstige Gattin Lisa und ihr neuer Gatte
vor das Gericht wegen Bigamie oder Beihilfe hierzu gezerrt. Man verkehrt ihre
besten Empfindungen und Fedjas Motiv zu seiner entsagungsvollen Tat ins
schmutzige Gegenteil. Er hatte Lebensbedingungen für alle drei geschaffen.
Aber das Gericht will die neue Ehe annullieren, die einstigen Gatten wieder zu-
sammenkoppeln und alle zu Verbrechern stempeln. Um dieser Sinnlosigkeit
des Gesetzes zu entgehen, muß sich Fedja erschießen, nachdem er gegen den
Untersuchungsrichter als Vertreter der widersinnigen Staatsordnung die schärfsten
Worte gesprochen ,hat.

Es war aber nicht allein die Überzeugungskraft dieses Pathos, die dem
Stücke seinen Erfolg bereitete,. mögen die Schlußszenen auch am stärksten ge-
wirkt haben. Etwas Höheres, Größeres spricht aus dieser dramatischen Anklage
Tolstois gegen das geschriebene Gesetz. Es ist ja etwas Eigenartiges um wahre
Dichtung und einen wahren Dichter. Er mag, wie Tolstoi, die Poesie gleich
einer Magd abweisen, im Giauben, daß er für WTchtigeres, die Aufldärung und
moralische Erweckung der Menschen, wirken müsse; wie die Sonne ist sie
dennoch da und herrscht. Und wenn er sich noch so souverän über die Kunst-
form hinwegsetzt, trotzdem wirkt sein Werk, da es an der Menschenseele
 
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