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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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9. Heft
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Heilborn, Adolf: Graphische Gelegenheitskunst
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Kennen Tiere die Zeit?
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0272

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MODERNE KUNST.

Kennen Tiere die Zeit ?


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rA O:

Graphische Gelegenheitskunst:
Exlibris von Max Klinger.

iele Menschen haben bekanntlich
_j die Fähigkeit, immer mit ziem-
licher Genauigkeit die jeweilige Zeit
angeben zu können, ohne daß sie auf
die Uhr sehen. Bei ihnen ist der Zeit-
sinn oft so außerordentlich entwickelt,
daß sie selbst in der Nacht die genaue
Zeit wissen, während andern Menschen
diese Fähigkeit absolut abgeht, sie
müssen sich irnmer bei der Uhr Rat
holen. Durch lange Gewohnheit werden zahlreiche Leute jeden Morgen zu der-
selben Minute wach, andere wieder wachen zu einer Stunde auf, die sie sich
bestimmt vorgenommen haben. Die Menschen haben also fast alle mehr oder
weniger einen Zeitsinn. Wie ist es damit aber bei den Tieren? Werden von
ihnen auch bestimmte Zeiten zu irgendwelchen Verrichtungen innegehalten,
kennen sie also die Zeit? Wir können diese Frage nicht nur bejahen, sondern
wir müssen manchen Tieren sogar einen sehr ausgeprägten Zeitsinn zusprechen.
Als erstes Beispiel nenne ich den Hund Wenn ein Hund gewohnt ist, täglich
um dieselbe Stunde, sagen wir mal um 4 Uhr nachmittags, mit seinem Herrn
spazieren zu gehen, dann wird kurz vor dieser Zeit der bis dahin ruhige Hund
lebhafte Unruhe zeigen, er wird suchend hin und her gehen, sich an die Tür
legen, um auf seinen Herrn zu warten; kurzum, auf jede Weise zu erkennen
geben, daß es nun 4 Uhr und damit die Zeit des Spazierengehens gekommen
ist. Wird die altgewohnte Zeit des Spazierganges umgeändert, vielleicht auf den
Vormittag gelegt, dann wird nach kurzer Zeit der Hund auch diese Stunde genau
durch sein Benehmen anzeigen. Kommt der Herr eines Hundes täglich zu einer
bestimmten Zeit von seinem Berufe nach Hause, dann kennt der Hund diese Zeit
ganz genau; er wartet an der Tür schweifwedelnd und vor Freude winselnd auf
ihn oder er läuft ihm ein Stiick entgegen, um ihn abzuholen, und er irrt sich in
der Zeit niemals. Fast alle unsere Haustiere kennen ganz genau die Stunde
ihrer Fütterung und sie geben ihr Herannahen durch lebhafte Unruhe zu erkennen.

Frei lebende Tiere haben ebenfalls ausgeprägten Zeitsinn, sie verlassen zu
ganz bestimmter Stunde ihre Schlupfwinkel, um auf die Nahrungssuche zu gehen
und kehren auch zu einer feststehenden
Zeit wieder dahin zurück. Vor einigen
Jahren beobachtete ich mehrere Wochen
hindurch einen Rehbock, der jeden Abend
zu derselben Minute auf einer bestimmten
Stelle des Waldes, auf einer kleinen Blöße,
erschien, um dann von dort allmählich
zur Asung nach dem Felde vorzurücken.

Der Bock kam stets mit mathematischer
Pünktlichkeit eine Minute vor 7 Uhr;
sobald er erschienen war, dauerte es noch
einige Sekunden und die Kirchenuhr des
nahen Dorfes hob zum Schlage der
siebenten Stunde aus. Eines Tages wurde
auf den Bock geschossen, er wurde aber
gefehlt und mit großer Spannung wartete
ich nun an der bewußten Stelle auf ihn.

Als er pünktlich wie immer erschien,
schlug es gleich darauf 7 Uhr, sein
Zeitsinn hatte ihn also auch an diesem

ganz außergewöhnlichen Tage nicht verlassen. Einen sehr ausgeprägten Zeit-
sinn bekunden viele unserer Wandervögel. Jahraus, jahrein brechen z. B. die
Störche einer Gegend an einem ganz bestimmten Tage zu ihrer großen Reise
nach dem Süden auf, ganz unbekümmert darum, ob prachtvolles Wetter sie noch

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Graphische Gelegenheitskunst: Hochzeitskarte von Wilhelm Chodowiecki.

zum Bleiben. auffordert oder schlechte Witterung ihnen eine frühere Abreisr
nahegelegt haben könnte. Gewöhnlich treffen sie auch jährlich an dem gleichen
Tage im Frühjahr in der Heimat wieder ein, wenngleich hier durch abnorme
Witterung eine kleine Verzögerung eintreten kann. Wie bei den Störchen, so ist

es aucli bei dcn Mauerseglern, Schwalben,
Nachtigallen und andern Wandervögeln.

Sehr merkwürdig ist es, daß auch
niedere Tiere einen festen Begriff von
der Zeit haben müssen, wie Forel durch
sinnreiche Versuche bei manchen Insekten
festgestellt hat. Auf der Veranda seines
Hauses stellte er auf einem Tisch täglich
um 10 bis 11 Uhr vormittags Honig, Zucker
und andere Süßigkeiten auf, die von den
Bienen eines in der Nähe wohnenden
Imkers fleißig besucht wurden. Die Tier-
chen erschienen jeden Vormittag um die
festgesetzte Stunde, um sich ihren süßen
Tribut zu holen. Nach längerer Zeit
setzte er den Tisch mit den Süßigkeiten
nicht mehr vormittags, sondern nach-
mittags um 3 Uhr auf die Veranda.
Die Bienen kamen in den ersten Tagen
noch am Vormittag, allerdings vergeblich.

Spezifisch berlinerisch dagegen ist das farbige Exlibris, das Heinrich Zille
für den Schreiber dieser Zeilen schuf und das Zur Westen „für eine in ihrer Art
glänzende Leistung“ erklärt. „Der ,heilende Born' ist in einen Berliner Straßen-
brunnen umgedeutet, der an irgendeinem Droschkenhalteplatz steht, und den
trotz der Aufschrift „Kein Trinkwasser“ eine Schar durstiger Kinder umdrängt.
Man sträubt sich zunächst unwillkürlich gegen den Gedanken, daß Proletarier-
kinder, wie wir sie auf Zilles Zeichnungen treffen, Abbilder der Wirklichkeit
sind. Und doch braucht man nur an einem Sonnabend durch ein Arbeiterviertel
zu gehen, um sich zu überzeugen, daß der Künstler erstaunlich richtig gesehen
und nur einige charakteristische Züge ein wenig stärker unterstrichen hat . . .
Ein ungewöhnlich geistreich erfundenes und gezeichnetes Blatt.“ —Die persönliche
Glückwunschkarte von ehedem ist durch die unpersönliche „Ansichtskarte“ ab-
gelöst worden. Nicht alles, was auf diesem Gebiete ans Licht kommt, ist künst-
lerisch so fein empfunden wie die hier wiedergegebene Monatskarte, die Elfriede
Wendlandt zeichnete.

Kalenderentwürfe, Notentitel, Programmzeichnungen und noch manches andere
interessante und scliöne Erzeugnis der Berliner graphischen Gelegenheitskunst
führt uns Zur Westens ganz köstliches Werk in Bild und Wort vor Augen: so
einen Rückblick gewährend auf eine Epoche höchster Blüte der Bedarfskunst
und einen hoffnungsreichen Ausblick eröffnend in eine Zeit, da sich diese an-
gewandte, das Leben schmückende und so bereichernde Kunst z-u neuer Blüte
entfalten wird. Adolf Heilborn.

dem Gebiete des Exlibris, des Bucheigner-
zeichens, hat namentlich die jüngere Ber-
liner Graphik interessante und oft künst-
lerisch wertvolle Arbeiten geschaffen.
Klingers Exlibris für den zu früh ver-
storbenen Kunsthändler Fritz Gurlitt
(siehe Abbildung) will reife Schönheit
als das höchste Ziel aller Kunst bezeich-
nen, mag sie im übrigen phantastisch
oder naturalistisch gerichtet sein, wie der
italienische Wahlspruch besagt. Ideale
Schönheit, von Malerei und Musik flan-
kiert, zeigt auch Franz Stassens Ex-
libris für die Malerin Helene Buchmann.

Graphische Gelegenheitskunst:
Exlibris von Franz Stassen.

Graphische Gelegenheitskunst: Festkarte des Vereins Berliner Künstler
von Paul Meyerheim.
 
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