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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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7. Heft
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Hartl-Mitius, M.: Oberbayrische Bauern-Theater
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0194

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[Nachdruck verboten.]

Von M. Hartl=Mitius.

«iner meiner Berliner Bekannten, der mehrere Sommer
in Tegernsee zugebracht hatte, sagte mir einmal: „Die
oberbayrischen Bauern sind die geborenen Komödianten.

Wenn Sie diese Hiesel und Loisel beobachten, wie dekorativ
sie sich bei jeder Qelegenheit in Szene setzen, ob sie lieben,
ob sie tanzen, ob sie jodeln, so werden Sie mir zugeben, daß
in ihrer ganzen Art etwas liegt, was nach dem Beifall des
Publikums schielt." Und dasselbe gilt in anderer Weise von
ihren Tieren. Sehen Sie — dort die gefleckte Kuh, wie be-
wußt prachtvoll sie in der Landschaft steht, wie kokett das
Kälbchen seine Mutter umspringt usw.“ — Ich antwortete ihm
lachend: „Lieber Freund, wenn Sie das Rindvieh beiseite
lassen, will ich Ihnen gern zugeben, daß an Ihrer Beobachtung
ein Fünkchen Wahrheit ist". Jedenfalls findet sich bei den ober-
bayrischen Bauern meist nicht nur die Lust, sondern auch das Talent zum Komödie-
spielen. Es existiert kaum ein Dorf in den Bergen, in welchem sich nicht unter
den Bewohnern eine Truppe zusammengefunden hätte, die an Sonntagabenden
vor einem Parterre von „Lederhosen" lustige und traurige Stücke zur Aufführung bringt.
Manchmal versteigen sie sich sogar zur „Genovefa und dem bösen Golo" oder zu den
„Räubern auf Mariakulm". Mit Vorliebe greifen sie auch nach einem religiösen Motiv,
in welchem einer ihrer beliebten Schutzheiligen besonders verherrlicht wird. So der
heilige Leonhard, der ihr Vieh beschützt, hauptsächlich aber der große himmlische
Feuerwerker, zu dem sie beten:

O heiliger Sankt Florian,

Verschon’ mein Haus, zünd' andre an!

Ich spreche hier natürlich nicht von den in ganz Deutschland gastierenden
iändlichen Gesellschaften, deren erste und vornehmste unter dem Titel „Die Schlierseet"
auch in Berlin bekannt und beliebt ist. Man erzählt sich, daß Kaiser Wilhelm bei

einem Spazierritte im Grunewald dem promenierenden Direktor der „Schlierseer" schon
von weitem entgegenrief: „Wie geht’s, mein lieber Terofal?“ Worauf der ehemalige
bayrische Unteroffizier ein vergnügtes und unerschrockenes: „I dank schön, guat,
Majestät" hören ließ. Von solchen Theaterunternehmungen, die unter der Gnadensonne
eines Kaisers gedeihen, ist hier natürlich nicht die Rede. Diese sind, wenn sie auch
gleich den andern mit der Kuhglocke das Zeichen zum Beginn ihrer Aufführungen
geben, doch die reinsten Hoftheater gegen jene kleinen eingesessenen Bauerntruppen,
von denen iclr hier plaudern will. Man hat ja in den großen Städten, wo der Theater-

XXVII. W.-No. 23.
 
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