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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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5. Heft
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Kohlrausch, Robert: San Sebastiano: Novelle
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Wohlbrück, Olga: Der eiserne Ring, [5]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0134

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MODERNE KUNST.

stauneriden Augen betrachteten unverwandt den nackten, gefesselten Mann an der Säule.
Endlich erklang wieder seine niüde gewordene Stimme.

„Hat dein Weib dich geliebt?"

„Sie hat es gesagt. Vielleicht hat sie gelogen, — ich weiß es nicht."

„Mich hat Aurelia“ — Florigerio brach ab mit einem dumpfen Ton des Schmerzes
um nach einer neuen, bangen Stille weiterzufragen: „Hat es dir weh getan, als dein
Weib dich verriet?" Wie einzelne Blutstropfen kamen die Worte von seinen Lippen.

„Ich bin seitdem nie wieder froh geworden. Zuweilen gefällt mir ein Weib für
den Augenblick, aber nie“, — Ein Aufstöhnen, das den leuchtenden Körper durchbebte, ,
vollendete die Rede.

„Dann bist du bestraft im voraus."

Langsam, wie er gesprochen hatte, ging Florigerio zur Säule, langsam lösten seine
Finger die Knoten der Stricke. „Kleide dich an und geh!"

„Ich danke Euch, Meister."

„Dein Leben ist wohl kaum einen Dank mehr wert. Verlaß die Stadt noch heute.
Ich könnte sonst bereuen, was ich tue.“

Er trat, während Castellino seine Kleider überwarf, zu dem Bilde San Sebastianos.
Ein stolzes Lächeln ging über sein Gesicht, wie Sonnenschein aus Wolken.

„Ja, das ist, was ich wollte. Das wird ein Werk, das bleibt. Hierfür habe ich
dir zu danken. Und vielleicht," — wieder kam das, Iangsame, grüblerische Wesen über
ihn — „vielleicht auch noch für etwas anderes."

„Und was wird aus Euch?“

„Ich gehe denselben Weg, den Ihr heute geht. Hinausaus dieser Stadt. Das Bild
kann ich nun vollenden ohne Euch. Wenn es fertig ist, gehe ich.“

„Und Aurelia?"

„Ich sehe sie niemals wieder. Hast du dein Weib wieder angesehen, — damals?"

„Nein."

„Also. —Jetzt geh’! Du hast mich etwas gelehrt. Nie mehr lieben, — das ist wohl
das große Geheimnis.“

Mit stummem Gruße ging Castellino hinaus. Ohne ihm nachzublicken, schaute
Florigerio unverwandt auf sein Bild.

„Du wenigstens bist rnein, — San Sebastiano!"

In der stillen Kapelle des Hospitals von Santa Maria dei Battuti zu Cividale steht
über dem Altar ein großes, dreiteiliges Bild. In der Mitte die Gottesmutter, von
heiligen Frauen und Männern umgeben, auf dem Flügel zur Linken San Michele, zur
Rechten San Sebastiano. Die Iiände von zwei verschiedenen Malern zeigen sich
deutlich in dem Gemälde. Nur selten kommen einmal Fremde, von einein Führer
geleitet, in den schwer zugänglichen Raum. Ihre erste Frage vor dem Bilde ist meist
nach dem Schöpfer des heiligen Sebastiano zur Seite, der in seiner bebenden Todes-
angst so sehr von allen anderen Darstellungen dieser Gestalt abweicht, und sie bekommen
zur Antwort, daß er von Sebastiano Florigerio di Conegliano gemalt worden sei, daß
aber Pellegrino da San Daniele das Mittelbild geschaffen liabe. Von Florigerio wiil
der Führer nicht viel wissen. Ein wüster, liederlicher Mensch sei er gewesen, der die
Tochter seines Meisters Pellegrino, — die dort oben mit dem Blumenkranz im Haar,
links von der Madonna — unglücklich gemacht habe. Aus Kummer sei sie jung schon
gestorben. Der Florigerio aber habe nach diesem Bilde nie wieder etwas gemalt. Er
sei in die Welt gegangen und sei dort verdorben, gestorben.

Die Fremden gehen, die Kranken des Hospitals kommen zur Messe in die Kapelle.
Stumpfsinnig, mit ihren eigenen Leiden beschäftigt, starren sie auf das Bild iiber dem
Altar. Keiner von allen weiß es, wie sich ein Menschenschicksal in diesem Bilde ver-
körpert, wie sich der Heilige hier in einen Menschen zurückverwandelt hat.

" t)er eiserne T\ing.

Von Olga Wohlbrück.

IFovtsetzung.] -

ilflos sah der Kfiegsgerichtsrat Ulrike an, nachderil Dora auf-
geregt und weinend davongeeilt war. Die Zeit, da er im
Interesse der Familie ein Opfer hatte bringen wollen, war
längst vorbei. Er hatte vom Kelche der Freude, des Genusses getrunken
— nun fand er den Weg nicht so leicht zurück zur Entsagung. Uncl
vor ihm stand das Mädchen — das ihm Gewähr geboten hatte für fried-
lich stilles Glück.

Dämmerig war es im Zimmer. Alles verlor seine scharfcn Umrisse.
Die Menschen, die Gegenstände, die eignen Gefühle.

„Meine gute Ulrike . . .“

Er kam nicht weiter.

Das Licht flammte auf im Nebenzimmer. Frauenstimmen flüsterten
durcheinander, es raschelte von schwerer Seide, und da rief auch die
Geheimrätin:

„Hermann, Ulrike — kommt doch .... das Brautkleid ist da . . .
Herrlich! Seht doch, wie entzückend! Dora .... Dorchen .... wo
bist du? . . .“

Dora wußte selbst nicht recht, wo sie war. Ins Blaue war sie hinaus-
gelaufen. In den dämmernden Abend hinein. Ziellos. Die Handschuhe
hielt sie lose zwischen den Fingern, der Hut saß schief auf dem nach-
lässig geordneten Haar. Sie lief, als jage sie etwas Bestimmtem nach,
als müßte sie etwas einholen — vielleicht ihr eignes Leben — das ihr
davonlief, um sich dort irgendwo einsargen zu lassen, für immer . . .

Der Lärm tat ihr wohl, betäubte ihre Gcdanken. Und dann war es
ihr, als müßte sie mit jemandem sprechen — so sprechen, wie es ihr
wirklich ums Herz war. Wie man nie sprach in der Maaßenstraße, wie
selbst Ulrike es nicht litt, daß gesprochen wurde. Sie dachte an den
Professor. Seine derbe, fast grobe Art schreckte sie nicht. Wenn er
sie eine „dumme Gans“ nannte, wie er es liebte, dann wollte sie nicht
beleidigt sein. Irgend etwas in ihrer Seele hatte sich verrückt, ver-
schoben — da mußten kräftige Hände zugreifen, um alles wieder richtig-
zustellen.

Der Professor war nicht zu Hause.

Die Tante kam in ihrer runden Fülle ins Vorzimmer heraus, ein Zenti-
metermaß lag um ihre üppigen Schultern.

- Copyright 1912 by Rich. Bong.

„Dorchen .... wo kommst du denn her? Use, Grete . . . Dorchen
ist da!“

Die beiden Töchter, kaum über das Backfischalter hinaus, sprangen
herbei, zerrten die Ivusine in das große Wohnzimmer.

„Du mußt mein Kleid sehen, Dorchen . . . hellblau mit weißen Spitzen“,
sagte Grete.

„Und ich rosa mit weißern Chiffon“, sagte Use.

Die Hausschneiderin der Fainilie Delfert saß arn breiten Fenster,
nutzte noch das letzte scheidende Licht aus zum Herabrasseln der langen
Rocknähte.

Duftige Stoffe bauschten sich auf den Stühlen, auf einer Tischecke
türmten sich die noch unabgeräumten Kaffeetassen.

„Du rnußt schon entschuldigen, Dorchen“, sagte die Frau Professor.
— „Wir haben es furchthar eilig. Fräulein Ivruse konnte erst heute von
Ivonsistorialrats abkommen. Die gute Emma hat, glaube ich, gleich eine
ganze Ausstattung nähen lassen.“

Sie hatte hochrote Wangen, maß eifrig an einer dunkelroten
Samttaille.

„Ist das zu glauben, Dorchen, ich muß mein Kleid wieder um eine
halbe Plandbreite weiter machen. Bequem muß es diesmal sein. Hermann
will das Essen von Huster kommen lassen.“

„Ist es wahr, daß ihr einen Klavierspieler nehmt? Ich freue mich
so schrecklich!“ rief Ilse.

„Wer ist denn Brautführer?“, fragte Grete.

Sie stichelten jetzt alle emsig, mit glänzenden Augen und lachen-
dem Munde.

„Könntest du nicht deine Hochzeit ein bißchen aufschieben, Dorchen?
wir werden nicht fertig“, fragte Ilse neckend.

Die Damen lachten alle hell auf, sogar Fräulein Kruse wendete ihr
ausgedörrtes Gesicht Dorchen zu und meckerte leise vor sich hin.

„Respekt, Respekt vor der Frau Kriegsgerichtsrat“, rief Frau Pro-
fessor und schlug mit dem Zentimetermaß nach ihren losen Mädeln.

Es fiel niemandem auf, wie still Dora war. Wie blaß und gequält.

„Wann kommt der Onkel?“, fragte sie gepreßt.

„Heute nicht mehr, Gott sei Dank! Gleich nach der Sprechstunde
haben wir ihm Hut und Stock gereicht und ihn gebeten, sich auf seine
 
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