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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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4. Heft
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Buß, Georg: Zur Geschichte des Tanzes
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0115

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Zur Geschichte des Tanzes.

Von Qeorg Buß.

er Herzog von Wellington antwortete einem Historiker, der ihn um Mate-
rial zur Beschreibung der Schlacht bei Waterloo bat: „Man beschreibt eine
Schlacht ebensowenig wie einen Ball!“ Die Worte des tapferen und galanten
Briten, der ebenso gut zu kämpfen wie zu lieben verstand, haben tiefen Sinn:
man beschreibt nicht eine Schlacht und einen Ball, sondern macht sie mit. Nur
ist die Teilnahme an einem Balle vorzuziehen. Zwar schießen schöne Frauenaugen,
laut aller Romane sämtlicher Völker und Zeiten, zündende Blitze, aber sie
sind lange nicht so gefährlich wie die klein-
und großkalibrigen Geschosse der Armeen
moderner Zivilisation. Auch das Bestreben
der Frauen, zu blenden, erscheint harmloser,
denn bisher hat die Praxis der Okulisten den
Fall eines durch weibliche Schönheit geblen-
deten Patienten noch nicht zu verzeichnen
gehabt.

Also kann der jugendliche Held sich
ziemlich gefahrlos in einen Ball stürzen —
er wird im Milieu blitzender Augen, anmuti-
gen Lächelns und weißer Nacken, duftiger
Mull- und Gazewolken, diamantierter Atlas-,

Gold- und Silberschuhe, graziös geschwun-
gener Fächer und feiner Parfüms sogar Sieger
sein, wenn er ein Tänzer von Eifer und Ele-
ganz ist und auch neue Tänze, wie Wesners
reizvolle Sirenella nach den Walzerweisen
der Lustigen Witwe, oder die neuesten Tanz-
spenden Amerikas, Tango und Habanera, mit
Finesse zu bewältigen vermag.

Auch Tänze werden altfränkisch, denn die Welt liebt Veränderung. Viele
sind spurlos von der Bildfläche verschwunden und kaum noch gekannt. Daß
die Allemande, obwohl sie französischen Namen trägt, der deutsche Nationaltanz
ist, weiß kaum der hundertste Deutsche. Die Franzosen führten diesen ge-
tretenen Tanz, mit dem sich unsere Vorfahren ergötzten, nach der Eroberung
des Elsaß in Paris ein, fanden ihn wunderhübsch, versahen ihn mit Touren und
gaben ihn uns zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts als „Allemande“ zurück.
Im gemütlichen Ländler, der in Schwaben, Oberbayern und der Schweiz seit
Jahrhunderten beliebt geblieben ist, und im Walzer haben sich noch Spuren des
deutschen Nationaltanzes erhalten. Auch jener Rundtanz, ein richtiger Chor-
reigen, bei dem die Teilnehmer Hand in Hand in geschlossenem Kreise nach
dem Rhythmus eines vom Vorsänger geleiteten Gesanges unter sanften Be-
wegungen und Verbeugungen herumzogen, ist fast verschollen und höchstens
noch als Ringeltanz unter spielenden Kindern zu finden. Früher tanzten ihn so-
gar die vornehmen Herr-
schaften am Hofe des
prachtliebenden Karls des
Kühnen von Burgund, wo-
bei die holden Damen
meterlange Schleppen und
als Kopfputz den geteilten
mächtigen Wulst oder den
zuckerhutartigen Kegel
aus Samt und Seide,

„hennin“ oder „Horn-
haube“ genannt, mit lang
von der Spitze herabwal-
lendem Schleier trugen,
während die glattrasier-
ten, künstlich frisierten
Herren in engster Klei-
dung mit Wespentaille,
ausgestopften Schultern,
sogenannten mahoitres,
spitzen Schuhen und ab-
gestumpftem Kegelhute
zu glänzen suchten.

Ebenso sind der alt-
französische Branle und
die altspanische Pavane
ins Dunkel der Vergessen-
heit gesunken. Mit dem
Branle wurden noch unter
Ludwig dem Vierzehnten
alle Bälle eröffnet. Die

[Nachdruck verboten.]

Pavane, den Pfauentanz, der in einem glänzenden Umzuge prächtig geschmückter
Paare bestand, exekutierten mit Vorliebe die Könige Heinrich der Zweite und der
Dritte von Frankreich, wobei dieser, bekanntlich ein Kleiderfex ersten Ranges,
in seinem farbig-seidenen Mignonkostüm mit kurzem spanischem Mäntelchen und
seine Gemahlin im spanischen Reifrock, jedoch in Form der an den Hüften
aufgebauschten französischen Vertugadins, erschien.

Und dann die altdeutschen Sprungtänze,- bei denen die Frauen des gewöhn-

lichen Volkes klafterweit sprangen, wie die
Vögel hochflogen und „wie dieHunde“ hüpften:
der houbeschote, bei dem sogar mit dem
Kopfe geschüttelt wurde, der krumme Reie,
bei dem nicht nur gesprungen, sondern auch
gehinkt wurde, der ausgelassene Hoppaldei,
der wilde Heierleis und der Firlefei, sie alle
sind hin, kaum noch gekannt in des fernsten
Dorfes urwüchsigem Milieu. Die hohe Obrig-
keit war auf diese tollen Tänze nicht gut zu
sprechen, wie sie denn schon im fünfzehnten
Jahrhundert die „schändlichen unzymlichen“
Tänze, bei denen „Frau“ oder „Mann“ ein-
ander „halsen“ oder „umbfahen“, streng ver-
bot und den Spielleuten untersagte, sie zu
spielen.

Der Ursprung der heute auf der Karte ver-
zeichneten Tänze reicht mit wenigen Ausnah-
men kaum über das achtzehnte Jahrhundert hin-
aus. Zwar soll die Polonaise aus einer Defilier-
cour polnischer Edeldamen in Krakau vor dem
1573 zum König von Polen erwählten Heinrich von Anjou entstanden sein, aber
in Deutschland ist sie, obwohl Bach schon 1725 mehrere Polonaisen komponierte,
erst seit 1795 im Gegensatz zur Menuett aufgetaucht. Seitdem ist sie allmählich
der feierliche Eröffnungstanz oder vielmehr die Eröffnungspromenade im Drei-
vierteltakte bei unsern Bällen geworden. Hingegen steht von der Menuett, der
angeblich ein Volkstanz aus Poitou als Vorbild gedient hat, mit Sicherheit fest,
daß sie schon 1653 am Hofe Ludwigs des Vierzehnten nach der Musik des Hof-
komponisten und Hofkapellmeisters Lully, des Begründers der französischen
Nationaloper, unter persönlicher Mitwirkung des Königs und einer seiner Herzens-
damen getanzt wurde. Der Tanz mit den zierlichen Schritten, der so viele
Kombinationen zuläßt, blieb bis zum Schlusse des achtzehnten Jahrhunderts der
Liebling der vornehmen Kreise aller zivilisierten Länder. Er wurde ein echtes
Kind des Rokoko und entsprach dem geschnörkelten, koketten und kapriziösen
Wesen einer Gesellschaft, die in Perücken, Puderwolken, Eskarpins, bestickten

Zur Geschichte des Tanzes: Burgundischer Rundtanz (1460—70)

am Hofe Karls des Kühnen. Phot. Alice Matzdorf,

Berlin.

XXVIT. 4. Z.-Z.

Zur Geschichte des Tanzes: Heinrich III. eröffnet eine Pavane. (Paris um 1580.)
 
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