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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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21. Heft
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Staby, Ludwig: Sagen-umrauschte Bäume
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0659

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274

MODERNE KUNST.

^aßen-uimausd^G

Von Dr. Ludwig Staby.

[Naclidruck verboten ]

n die Gewitterstürme durch das Land hinbrausend belaubte Äste
nd Zweige von den .Bäumen reißen und sie krachend zu Boden
/erfen, dann ist es gar unheimlich im Walde. Überall hört
man stöhnende und ächzende Laute, lautes Knacken und Knarren, untermischt
mit schrillen, pfeifenden Tönen, und der einsame Wanderer, der jetzt irn abend-
lichen Dunkel durch den Wald geht, gedenkt uriwillkürlich der alten Sagen und
Märchen, die den Wald mit Geistern und Kobolden belebten, deren Stimmen
besonders in den Sturmnächten sich bemerkbar machten. Fast jeder Baurn
hatte seine besonderen Geister und stand in irgendeiner Beziehung zu den über-
irdischen Mächten, und wenn draußen der Sturmwind heulte, dann wurden in
den Hiitten beitn flackernden Feuer von den Alten die manigfachen Sagen und
Geschichten erzählt, die sich um die Stämme des Waldes woben und Kunde
gaben von dem geheimnisvollen Leben der einzelnen Bäurne. Allgemach
entstanden so unzählige Sagen, die sich mit den Kindern des V ?aldes be-
schäftigten, und von denen wir einige, die unsere beiden bekanntesten Bäume
betreffen, etwas näher betrachten wollen.

Der Lieblingsbäum der alten Germanen war nicht, wie vielfach angenommen
wird, die Eiche, sondern es war die Linde. Von ihr träumten und sangen die
Dichter, ihre Lieblichkeit erfreute die Herzen der Menschen, sie war das Biid
der gemütlichen Häuslichkeit, unter ihrem Schatten spielte sich das tägliche
Leben äb. Daher wurde sie geliebt und hoch in Ehren gehalten, was zwar
den Eichen auch geschah, aber diese kraftstrotzenden Riesen des Waldes wurJen
immer mit Ehrfurcht und heiliger Scheu betraclitet. Über die T.inde sind daher
die meisten Sagen verbreitet, und sie allein war es von fast allen Bäumen, die
in unzähligen Liedern besungen wurde, woraus am besten ihre große Bedeutung
im Leben des Volkes hervorgeht. Als heiliger Baum war die Linde der Göttin
Frigga geweilit, und sie war daher gefeit gegen den Blitzschläg. Das nach
einem Gewitterregen von den Blättern tropfende Wasser war ein Heilmittel
gegen mancherlei Krankheiten, wie überhaupt die I.inde in der damaligen Ifeil-
kunde eine große Rolie spielte. Das IIolz und den Bast der Linde benutzten
die Arzte als Vprbandstoffe; Lindenblätter um den Kopf gebunden, vertrieben
den Kopfschmerz, ein Brei aus Lindensprossen beseitigte deti Zahnschmerz, und
der süßliche, schweißtreibende T.inflenbiütentee wurde vor tausend Jahren ebenso
gebraueht wie noch heute. Der Bast v;ar ein kräftiucs Schutzmittel gegcn

Zauberer und böse
Geister, und wollte
jemand , das Un-
geziefer von seinem
Acker vertreiben,
so bestreute er ihn
mit Lindenasche.

Mit dem Leben
unseres deutschen
Volkes in Lust und
Leid, in Scherz und
Ernst ist kein Baum
so innig verwac'n-
sen wie die Linde,
die überall in Dorf
und Stadt ange-
pflanzt wurde, und
unter deren hoch-
gewölbtem Schat-
tendach sich nicht
nur die Geschicke
verliebter Paare,
sondern ganzerOrt-
schaften und Völker
entschieden. Unter
der Dorflinde wur-
den nicht nur die
Feste gefeiert, son-
dern auch die Ge-
meindeversamm-
lungen und die Ge-
richtstage abgehal-
ten, und in man-
chen Urkunden des
Mittelalters heißt es
daher: „Gegeben

unter der Linde“ oder: „bei den Kirchen unter den Linden“. Bekanntlich fanden d:e
Tagungen des Femgerichts auch unter einer f.inde statt, von denen die heute noch in
der westfälischen Stadt Dortmund stehende Femlinde die berühmteste ist. Von der
Linde s'ngen unzählige Lieder. Schon "Walter von der Vogelweide beginnt
eines seiner schönsten Minnelieder mit den Worten: „Unter der Linden auf der
Ileide, wo ich mit meiner Trauten saß“, Goethe schildert im Faust das Fest
unter der Linde: „Schon um die Linde war es voll, und alles tanzte schon wie
toll“, und wer kennt nicht die vielgesungenen Lieder: „Am Brunnen vor dem
Tore, da steht ein Lindenbaum“ und das von der Lindenwirtin, der jungen.
Ebenso zahlreich wie die Lieder sind die Sagen und Märchen vom Linden-
baum, von denen wir die besten wiedergeben wolten.

Die Linde war der Jungfrau Maria geweiht, bei Basel steht eine Wallfahrts-
kirche: „Zur Linde“, an der sich ein Wunder ereignete. An der Linde vor der
Kirche stand ein Muttergottesbild. Als nun ein verheerender Krieg über das
I.and brach, überwuchs die Rinde der Linde das Bild, so daß es vor jedem
räuberischen Überfall geschützt war. Später hörte einst ein Ilirtenmädchen
lieblichen Gesang aus dem Baume, man öffnete ihn und fand das Bild, das nun
auf dem Altar der Kirche aufgestellt wurde.

Bei Puch in Bayern steht eine alte Linde, an deren Stamm inr Jahre 18/5
folgende Inschrift befestigt wurde: „Tausendjährige I.inde, in deren Stamme die
selige Edigna, Tochter des Königs Heinrich von Frankreich, 35’/a Jahr lang ein
Gott geweihtes Einsiedlerleben führte und am 26. Februar I 109 starb. Ihre Ge-
beine sind in dieser Kirche zur Verehrung aufbewahrt.“ Auf dem Stucken-
berg am Unterharz steht eine Linde, von der folgende Sage geht: „Einst
standen sich auf dem Stuckenbergsanger zvvei Heere im Streit gegenüber; auf
beiden Seiten ward tapfer und andauernd gekämpft, und lange schwänkte die
Entscheidung. Der Abend senkte sich hernieder und noch immer war die
Schlacht unentschieden. Endlich mußte sie der Finsternis wegen unterbrochen
werden. Da stieß der Feldherr der westlichen Krieger sein Schwert in den
Boden und rief: „Wenn bis morgen früh das Schwert zu einem Baum wird, ist
der Sieg unser!“ Am Morgen sah man anstatt des Schwertes eine Linde, dercn
Blätter fröhlich im Winde rauschten. Durch ihren Anblick wurden die Krieger
so begeistert, daß sie das östiiche Heer besiegten und in die Flucht schlugen.“
An die drei Linden auf dem Kirchhofe des Hospitals zum Fleiligen Geist in
Berlin knüpft sich folgende, merkwürdige Sage: „Es wurde einrnal von drei
sich herzlich liebenden Brüdern einer eines Mordes beschuldigt und trotz der Be-
teuerung seiner Unschuld zum Tode verurteilt. Da bekannten sich die beiden
andern Brüder des Mordes schuldig, der Beklagte nun aber ebenso, um seine
Brüder zu retten. Nun sollte ein Gottesurteil entscheiden. Es mußte jeder der
Brüder eine Linde mit der Krone in die Erde setzen, so daß die Wurzeln nach
oben standen, und der, dessen Baum verdorren würde, sollte als der Schuldige
erkannt werden. Aber siehe da! Alle drei Bäume bekamen frische Triebe und
wuchsen heran, und so war durch das göttliche Wunder dieUnschuld aller drei

Erich Heermann: Stephan Sinding, Cildhauer.

E-Heermann: Chef des Großen Generaistabes der deutschen Armee Helmuth von IVIoltke.
 
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