Das 12. Deutsehe Turnfest in heipzig.
Die gröBte, körperliche Übungen pflegende Ver-
einigung der Welt, die Deutsche Turnerschaft, hielt
Mitte Juli in Leipzig ihr zwölftes Turnfest ab. Es konnte
in unserer „von der Parteien Haß und Gunst verwirrten“
Zeit vielleicht keine bessere Demonstration des Begriffes
der deutschen Einigkeit geben als dieses Fest, das ein
herrliches Zeugnis für die unzerstörbare Kraft unserer
Turnerei war. Als der Geheime Sanitätsrat Dr. Goetz,
der greise, 37 jährige Führer der Deutschen Turner-
schaft, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten am 12. Juli die
1 Ieerschau iiber seine Getreuen abhielt, da konnte er
mit Stolz auf die gewaltige Entwicklung hinweisen, die
das Turnen in den letzten fünfzig Jahren genommen
hat, und es war nicht zuviel gesagt, wenn er behauptete,
daß die Turnerei eine „heilige Volkssache“ geworden
sei. Und was das Turnen heute für unser Vater-
land bedeutet, das brachte Geheimrat Lewald,
der die Grüße des Reichskanzlers über-
mittelte, zu treffendem Ausdruck. Die
Deutsche Turnerschaft habe — so
führte er aus — das Deutsche Reich
mit erbauen helfen, indern sie in
einer Zeit der Ohnmacht und
Zerrissenheit den Gedanken
der Einheit und Zusammen-
gehörigkeit aufrecht erhal-
ten habe. Daß dieser Ge-
danke der Zusammenge-
hörigkeit die deutschen
Turner, wo auf der Erde
sie auch weilen, heute
immer noch erfüllt, das
ließ der große Festzug
erkennen, der am Tage
nach der Eröffnung des
Festes in Gegenwart des
Königs Friedrich August
von Sachsen, des Herzogs
Karl Eduard von Sachsen-
Koburg und Gotha, der Ver-
treter des Preußischen und Säch-
sischen Kultusministeriums sowie
bedeutender nationaler und sport-
licher Körperschaften stattfand. Unter
den nahezu 100000 Turnern, die hier mit
flatternden Fahnen und klingendem Spiel durch
die Straßen Leipzigs nach dem Festplatz hinaus-
marschierten, befanden sich nämlich auch deutsche
'i’urner aus Rußland, Österreich, Belgien, Holland,
Afrika und sogar aus Nordamerika, ferner zahlreiche
'i'urnervereine des Auslandes, alle mit ihren National-
fahneri — ein farbeaprächtiges Bild, dem die allenthalben
herrschende, immer wieder aufs neue auflodernde Be-
geisterung ein besonderes Relief verlieh.
Den gewaltigsten Eindruck an diesem Tage rief aber
die Vorführung von Freiübungen durch 17000 Turner
hervor, die nach Beendigung des Festzuges auf dem
riesigen Kampfplatze stattfand. In 25 Längskolonnen
in einer Breite von je vier Mann hatten sich die vielen
Tausende von Turnern aufgestellt, und es mag dem, der
die unübertreffliche Organisation unserer Turnerei und
ihren mit so außeroraentlicher Genauigkeit arbeitenden
Mechanismus nicht kennt, wie eine Offenbarung er-
schienen sein, zu sehen, mit welcher Präzision diese
Massen, gleichsam von einem Gedanken beseelt, ihre
Übungen nach dem Takte der Musik durchführten. Eine
vielfach erprobte, fein durchdachte Regie, ein praktisches
System des Signalisierens, bei dem nicht weniger als
400 Fahnenträger die Übungen des auf
dem Dache des Königspavillons postierten
Oberturnwarts an die Reihen der Frei-
turner weitergaben, sind das Geheimnis
dieser effektvollen Vorführung, die brau-
senden Beifall auslöste. Mit dem Ab-
singen des Liedes „Deutschland, Deutsch-
land über alles“ — die Stimmen von fast
einer Viertelmillion Menschen vereinten
sich hier — schloß dieser Tag ab.
Am 14. Juli nahmen dann die Wett-
kämpfe ihren Anfang. Es ist bezeichnend
für die Entwicklung, die die Deutsche
Turnerschaft vornehmlich im letzten Jahr-
zehnt genommen hat, daß das Programm
dieser Wettkämpfe dasjenige eines jeden
Sportfestes an Vielseitigkeit weit über-
traf. Neben den rein turnerischen Übun-
gen, neben dem Sechs- und Zwölfkampf
gab es noch Wettbewerbe im Fechten,
im Schwimmen, im Wasserballspiel, im
Faustballspiel und in allerlei Ieichtathle-
tischen Übungen. Im Mittelpunkt des
Interesses standen aber naturgemäß der
Sechskampf und der Zwölfkampf, da
die möglichst vielseitige Ausbildung des
Jünglings einer der Grundgedanken des
deutschen Turnens ist. Den Sechskampf
bilden: Hochspringen, Stabweitspringen,
Kugelstoßen, Schnellaufen, Schleuderballwerfen und
Schnellhangeln, während der Zwölfkampf eine Kombi-
nation von volkstümlichen und Gerätübungen darstellte-
Daß auf beiden Gebieten vortreffliche Leistungen voll-
bracht wurden, ist im Hinblick auf die Riesenzahl der
Kämpfer sowie auf die Qualität des in Wettbewerb
tretenden Materials nahezu selbstverständlich. Neben
der Genugtuung über die erreichten Höchstleistungen
muß aber noch die Anerkennung darüber ausgesprochen
werden, daß in beiden Kampfkategorien eine außer-
ordentlich große Zahl von Turnern die zum Siege er-
forderliche Punktzahl erreichte, ein Zeichen für die
gleichmäßig gute Ausbildung der in Wettbewerb ge-
tretenen Mehrkämpfer. Die ersten Sieger waren: lrn
Sechskampf: 1. Artur Hoffmann-Harburg (Turnverein
Vom deutschen Turnfest in Leipzig.
Phot. R. Sennecke, Berlin.
Harburg-Wien) 105 Punkte. 2. Eugen Rieber - Stuttgart
(Turngesellschaft) 103 Punkte. 3. Arno Hermänn-Ham-
burg (Turnerschaft von 1816) 102 Punkte. Irn Zwölf-
kampf: 1. Ewald Keßler-Leipzig (Turnerschaft Südost)
134Vi> Punkte. 2. Hans Kersten - München (Turnverein
von 1860) 133 Punkte. 3. Ludwig Gratzmüller-München
(Münchener Männer-Turnverein) 129ya Punkte. Im Sechs-
kampf errangen 1268 Turner die zum Siege nötige Punkt-
zahl, im Zwölfkampf 271. Das sind Zahlen, die keines
weiteren Kommentars bedürfen.
Zu den erwähnenswerten Ergebnissen des Zwölften
Deutschen Turnfestes ist auch die Feststellung zu rechnen,
daß das Einvernehmen der Deutschen Turnerschaft mit
zwei andern großen nationalen Korporationen auf dem
Gebiete der Leibesübungen, dem Jungdeutschland-Bunde
und detn Deutschen Reichsausschuß für Olympische
Spiele, durchaus gut ist. Wohl bestehen zwischen der
Turnerschaft und dem Jungdeutschland-Bunde gewisse
Gegensätze, und Geheimrat Dr. Goetz wies hierauf in
einer seiner Ansprachen gelegentlich selbst hin, aber es
sind keine Gegensätze, die für die Zukunft die Ent-
stehung irgendwelcher Differenzen befürchten ließen.
Sehr angenehm berührte es, daß die Führer der beiden
genannten Verbände, Staatsminister a. D. von Podbielski
und Generalfeldmarschall Freiherr v. d. Goltz, dem Turn-
feste selbst beiwohnten.
Dem ganzen Feste war volles Gelingen beschieden;
kein Mißklang störte es. Es war ein Volksfest im
besten Sinne des Wortes. W. K. Elole.
Zu Theodor Körners 100. Todestage.
Die Helden- und Dichtergestalt Theodor Körners ist
dem deutschen Volke stets eine teure gewesen und
wird es immer bleiben. Ausgezeichnet durch
. glückliche Familienstellung und her-
ragende Talente, wurde aus dem
sinstigen Bergstudenten ein vielver-
sprechender Ivrischer und drama-
tischer Dichter, der aber freudig
bei König FriedrichWilhelmsIII.
„Aufruf an Mein Volk“ seiner
Wiener Iloftheaterdichter-
stelle entsagte, sein engeres
Vaterland, sein herrliches
Elternpaar und eineglück-
liche Braut verließ, in-
dem er am 19. März 1813
zunächst als einfacher
freiwilliger Jäger in das
berühmt gewordene von
Lützowsche Freikorps
eintrat und so die Leier
mit dein Schwerte ver-
tauschte. Seine auf dem
Marsche oder im stillen
Biwak verfaßten patriotischen
Kriegsgesänge begeisterten
seine Kampfgenossen und zün-
deten im ganzen deutschen Volke.
Diese Heldenlieder, von Karl Maria
v. Weber, Himmei u. a. in musikalisch
erhebende Weisen gesetzt, atmen eine solche
Fülle von Begeisterung für die erstrebte Be-
freiung aus dem Joch Napoleons I., daß sie den Dichter
zum deutschen Tyrtäus. erhoben. Dabei aber liegt in
seinen Kriegsgesängen noch eine innige Frömmigkeit.
Sein „Einsegnungslied“, „Wir treten hin im Gotteshaus“,
das „Bundeslied vor der Schlacht“, sein „Abschied vom
Leben“, die Gebete: „Hör uns, Aümächtiger“ und be-
sonders sein: „Vater, ich rufe dich!“ bekunden den
frommen Dichter, während sein „Jägerlied“, „Lützows
wilde Jagd“, der Aufruf: „Das Volk steht auf, der Sturnt
bricht los“, das „Schwertlied“ den freudigen Kämpfer
schildern. Im Dresdner Körnermuseum ruhen außer
den dramatischen und lyrischen Dichtungen Körners,
als ein Schatz unserer Nation, auch die eignen Nieder-
schriften seiner Kriegslieder. Manche sind von ihm auf
dem Marsche zu Pferde gedichtet, andere zunächst mit
Bleistift flüchtig niedergeschrieben und alsdann im
ruhigen Quartier mit Tinte überzogen oder nochmals
darnit abgeschrieben. Das rührendste aber ist, daß diese
Lieder, die er oft mit dem voilen Pulsschlag seines
Herzens verfaßte, zum großen Teil mit diesetn seinent
eignen Herzblut durchtränkt wurden, als ihn die tödliche
Kugel vom Pferd sinken ließ. Besonders ist sein: „Vater,
ich rufe dich!“ dadurch scliwer lesbar
geworden. Die Nacht vor seinern Tode
verbrachte Körner mit seinen Kameraden
auf dem Rittergute Gottesgabe, westlich
von Schwerin. Den ganzen Abend unter-
hielt er die Mitstreiter durch Klavier-
spiel und Vortrag seiner Lieder. Im
Morgengrauen des 26. August brachen 150
Freiwillige, begleitet von einer gleichen
Anzahl Kosaken, unter Lützows Führung
auf, um von Hamburg konnnende Pro-
vianttransporte wegzunehmen. In einem
Wald, der auf der einen Seite aus hohen
Kiefern, auf der andern aus einer dichten
Schonung bestand, wurde haltgemacht.
Nach etwa zwei Stunden nahte von
Gadebusch her ein Wagenzug, geleitet
von Grenadieren des 150. französischer.
Linien-Infanterie-Regiments. Als die
ersten Schüsse fielen, suchten dieFeinde
Deckung in der Schonung und ver-
sandten von dort aus ruhig und sicher
ihre verderbenbringenden Geschosse.
Lützow befahl deshalb seinem Adjutan-
ten Körner, mit einem Zug Reiter die
Schonung zu säubern; allein im gleichen
Augenblick, in dem der junge Held vor-
brechen wollte, fiel ein Schuß; der edle
Sänger sank mit dem Rufe: „Mich haben
Theodor Körners Grab zu Wöbbelin.
Phot. Sanden, Berlin-Südende.
XXVII. 25. B.
Die gröBte, körperliche Übungen pflegende Ver-
einigung der Welt, die Deutsche Turnerschaft, hielt
Mitte Juli in Leipzig ihr zwölftes Turnfest ab. Es konnte
in unserer „von der Parteien Haß und Gunst verwirrten“
Zeit vielleicht keine bessere Demonstration des Begriffes
der deutschen Einigkeit geben als dieses Fest, das ein
herrliches Zeugnis für die unzerstörbare Kraft unserer
Turnerei war. Als der Geheime Sanitätsrat Dr. Goetz,
der greise, 37 jährige Führer der Deutschen Turner-
schaft, bei den Eröffnungsfeierlichkeiten am 12. Juli die
1 Ieerschau iiber seine Getreuen abhielt, da konnte er
mit Stolz auf die gewaltige Entwicklung hinweisen, die
das Turnen in den letzten fünfzig Jahren genommen
hat, und es war nicht zuviel gesagt, wenn er behauptete,
daß die Turnerei eine „heilige Volkssache“ geworden
sei. Und was das Turnen heute für unser Vater-
land bedeutet, das brachte Geheimrat Lewald,
der die Grüße des Reichskanzlers über-
mittelte, zu treffendem Ausdruck. Die
Deutsche Turnerschaft habe — so
führte er aus — das Deutsche Reich
mit erbauen helfen, indern sie in
einer Zeit der Ohnmacht und
Zerrissenheit den Gedanken
der Einheit und Zusammen-
gehörigkeit aufrecht erhal-
ten habe. Daß dieser Ge-
danke der Zusammenge-
hörigkeit die deutschen
Turner, wo auf der Erde
sie auch weilen, heute
immer noch erfüllt, das
ließ der große Festzug
erkennen, der am Tage
nach der Eröffnung des
Festes in Gegenwart des
Königs Friedrich August
von Sachsen, des Herzogs
Karl Eduard von Sachsen-
Koburg und Gotha, der Ver-
treter des Preußischen und Säch-
sischen Kultusministeriums sowie
bedeutender nationaler und sport-
licher Körperschaften stattfand. Unter
den nahezu 100000 Turnern, die hier mit
flatternden Fahnen und klingendem Spiel durch
die Straßen Leipzigs nach dem Festplatz hinaus-
marschierten, befanden sich nämlich auch deutsche
'i’urner aus Rußland, Österreich, Belgien, Holland,
Afrika und sogar aus Nordamerika, ferner zahlreiche
'i'urnervereine des Auslandes, alle mit ihren National-
fahneri — ein farbeaprächtiges Bild, dem die allenthalben
herrschende, immer wieder aufs neue auflodernde Be-
geisterung ein besonderes Relief verlieh.
Den gewaltigsten Eindruck an diesem Tage rief aber
die Vorführung von Freiübungen durch 17000 Turner
hervor, die nach Beendigung des Festzuges auf dem
riesigen Kampfplatze stattfand. In 25 Längskolonnen
in einer Breite von je vier Mann hatten sich die vielen
Tausende von Turnern aufgestellt, und es mag dem, der
die unübertreffliche Organisation unserer Turnerei und
ihren mit so außeroraentlicher Genauigkeit arbeitenden
Mechanismus nicht kennt, wie eine Offenbarung er-
schienen sein, zu sehen, mit welcher Präzision diese
Massen, gleichsam von einem Gedanken beseelt, ihre
Übungen nach dem Takte der Musik durchführten. Eine
vielfach erprobte, fein durchdachte Regie, ein praktisches
System des Signalisierens, bei dem nicht weniger als
400 Fahnenträger die Übungen des auf
dem Dache des Königspavillons postierten
Oberturnwarts an die Reihen der Frei-
turner weitergaben, sind das Geheimnis
dieser effektvollen Vorführung, die brau-
senden Beifall auslöste. Mit dem Ab-
singen des Liedes „Deutschland, Deutsch-
land über alles“ — die Stimmen von fast
einer Viertelmillion Menschen vereinten
sich hier — schloß dieser Tag ab.
Am 14. Juli nahmen dann die Wett-
kämpfe ihren Anfang. Es ist bezeichnend
für die Entwicklung, die die Deutsche
Turnerschaft vornehmlich im letzten Jahr-
zehnt genommen hat, daß das Programm
dieser Wettkämpfe dasjenige eines jeden
Sportfestes an Vielseitigkeit weit über-
traf. Neben den rein turnerischen Übun-
gen, neben dem Sechs- und Zwölfkampf
gab es noch Wettbewerbe im Fechten,
im Schwimmen, im Wasserballspiel, im
Faustballspiel und in allerlei Ieichtathle-
tischen Übungen. Im Mittelpunkt des
Interesses standen aber naturgemäß der
Sechskampf und der Zwölfkampf, da
die möglichst vielseitige Ausbildung des
Jünglings einer der Grundgedanken des
deutschen Turnens ist. Den Sechskampf
bilden: Hochspringen, Stabweitspringen,
Kugelstoßen, Schnellaufen, Schleuderballwerfen und
Schnellhangeln, während der Zwölfkampf eine Kombi-
nation von volkstümlichen und Gerätübungen darstellte-
Daß auf beiden Gebieten vortreffliche Leistungen voll-
bracht wurden, ist im Hinblick auf die Riesenzahl der
Kämpfer sowie auf die Qualität des in Wettbewerb
tretenden Materials nahezu selbstverständlich. Neben
der Genugtuung über die erreichten Höchstleistungen
muß aber noch die Anerkennung darüber ausgesprochen
werden, daß in beiden Kampfkategorien eine außer-
ordentlich große Zahl von Turnern die zum Siege er-
forderliche Punktzahl erreichte, ein Zeichen für die
gleichmäßig gute Ausbildung der in Wettbewerb ge-
tretenen Mehrkämpfer. Die ersten Sieger waren: lrn
Sechskampf: 1. Artur Hoffmann-Harburg (Turnverein
Vom deutschen Turnfest in Leipzig.
Phot. R. Sennecke, Berlin.
Harburg-Wien) 105 Punkte. 2. Eugen Rieber - Stuttgart
(Turngesellschaft) 103 Punkte. 3. Arno Hermänn-Ham-
burg (Turnerschaft von 1816) 102 Punkte. Irn Zwölf-
kampf: 1. Ewald Keßler-Leipzig (Turnerschaft Südost)
134Vi> Punkte. 2. Hans Kersten - München (Turnverein
von 1860) 133 Punkte. 3. Ludwig Gratzmüller-München
(Münchener Männer-Turnverein) 129ya Punkte. Im Sechs-
kampf errangen 1268 Turner die zum Siege nötige Punkt-
zahl, im Zwölfkampf 271. Das sind Zahlen, die keines
weiteren Kommentars bedürfen.
Zu den erwähnenswerten Ergebnissen des Zwölften
Deutschen Turnfestes ist auch die Feststellung zu rechnen,
daß das Einvernehmen der Deutschen Turnerschaft mit
zwei andern großen nationalen Korporationen auf dem
Gebiete der Leibesübungen, dem Jungdeutschland-Bunde
und detn Deutschen Reichsausschuß für Olympische
Spiele, durchaus gut ist. Wohl bestehen zwischen der
Turnerschaft und dem Jungdeutschland-Bunde gewisse
Gegensätze, und Geheimrat Dr. Goetz wies hierauf in
einer seiner Ansprachen gelegentlich selbst hin, aber es
sind keine Gegensätze, die für die Zukunft die Ent-
stehung irgendwelcher Differenzen befürchten ließen.
Sehr angenehm berührte es, daß die Führer der beiden
genannten Verbände, Staatsminister a. D. von Podbielski
und Generalfeldmarschall Freiherr v. d. Goltz, dem Turn-
feste selbst beiwohnten.
Dem ganzen Feste war volles Gelingen beschieden;
kein Mißklang störte es. Es war ein Volksfest im
besten Sinne des Wortes. W. K. Elole.
Zu Theodor Körners 100. Todestage.
Die Helden- und Dichtergestalt Theodor Körners ist
dem deutschen Volke stets eine teure gewesen und
wird es immer bleiben. Ausgezeichnet durch
. glückliche Familienstellung und her-
ragende Talente, wurde aus dem
sinstigen Bergstudenten ein vielver-
sprechender Ivrischer und drama-
tischer Dichter, der aber freudig
bei König FriedrichWilhelmsIII.
„Aufruf an Mein Volk“ seiner
Wiener Iloftheaterdichter-
stelle entsagte, sein engeres
Vaterland, sein herrliches
Elternpaar und eineglück-
liche Braut verließ, in-
dem er am 19. März 1813
zunächst als einfacher
freiwilliger Jäger in das
berühmt gewordene von
Lützowsche Freikorps
eintrat und so die Leier
mit dein Schwerte ver-
tauschte. Seine auf dem
Marsche oder im stillen
Biwak verfaßten patriotischen
Kriegsgesänge begeisterten
seine Kampfgenossen und zün-
deten im ganzen deutschen Volke.
Diese Heldenlieder, von Karl Maria
v. Weber, Himmei u. a. in musikalisch
erhebende Weisen gesetzt, atmen eine solche
Fülle von Begeisterung für die erstrebte Be-
freiung aus dem Joch Napoleons I., daß sie den Dichter
zum deutschen Tyrtäus. erhoben. Dabei aber liegt in
seinen Kriegsgesängen noch eine innige Frömmigkeit.
Sein „Einsegnungslied“, „Wir treten hin im Gotteshaus“,
das „Bundeslied vor der Schlacht“, sein „Abschied vom
Leben“, die Gebete: „Hör uns, Aümächtiger“ und be-
sonders sein: „Vater, ich rufe dich!“ bekunden den
frommen Dichter, während sein „Jägerlied“, „Lützows
wilde Jagd“, der Aufruf: „Das Volk steht auf, der Sturnt
bricht los“, das „Schwertlied“ den freudigen Kämpfer
schildern. Im Dresdner Körnermuseum ruhen außer
den dramatischen und lyrischen Dichtungen Körners,
als ein Schatz unserer Nation, auch die eignen Nieder-
schriften seiner Kriegslieder. Manche sind von ihm auf
dem Marsche zu Pferde gedichtet, andere zunächst mit
Bleistift flüchtig niedergeschrieben und alsdann im
ruhigen Quartier mit Tinte überzogen oder nochmals
darnit abgeschrieben. Das rührendste aber ist, daß diese
Lieder, die er oft mit dem voilen Pulsschlag seines
Herzens verfaßte, zum großen Teil mit diesetn seinent
eignen Herzblut durchtränkt wurden, als ihn die tödliche
Kugel vom Pferd sinken ließ. Besonders ist sein: „Vater,
ich rufe dich!“ dadurch scliwer lesbar
geworden. Die Nacht vor seinern Tode
verbrachte Körner mit seinen Kameraden
auf dem Rittergute Gottesgabe, westlich
von Schwerin. Den ganzen Abend unter-
hielt er die Mitstreiter durch Klavier-
spiel und Vortrag seiner Lieder. Im
Morgengrauen des 26. August brachen 150
Freiwillige, begleitet von einer gleichen
Anzahl Kosaken, unter Lützows Führung
auf, um von Hamburg konnnende Pro-
vianttransporte wegzunehmen. In einem
Wald, der auf der einen Seite aus hohen
Kiefern, auf der andern aus einer dichten
Schonung bestand, wurde haltgemacht.
Nach etwa zwei Stunden nahte von
Gadebusch her ein Wagenzug, geleitet
von Grenadieren des 150. französischer.
Linien-Infanterie-Regiments. Als die
ersten Schüsse fielen, suchten dieFeinde
Deckung in der Schonung und ver-
sandten von dort aus ruhig und sicher
ihre verderbenbringenden Geschosse.
Lützow befahl deshalb seinem Adjutan-
ten Körner, mit einem Zug Reiter die
Schonung zu säubern; allein im gleichen
Augenblick, in dem der junge Held vor-
brechen wollte, fiel ein Schuß; der edle
Sänger sank mit dem Rufe: „Mich haben
Theodor Körners Grab zu Wöbbelin.
Phot. Sanden, Berlin-Südende.
XXVII. 25. B.