Moderne holländische Malerei. A n d r 6 Broedelet: Serenade.
oderne l>oiländisd)c
Von Georg Rhenanus.
alerci.
Syommer für Sommer zielien viele Deutsche in die holländischen Seebäder. Von
R dem kleinen Kijkduin und dem prächtigen Scheveningen bis hinauf nach Bergen
' und dem Helder ist die Nordsee mit Badenestern wunderhübsch garniert. Die
meisten Gäste werden von Meer, Strand und Dünen mit solcher Zaubergewalt gebannt,
daß ihnen das Gebiet landeinwärts fremd bleibt; höchstens daß sie einige bequem
erreichbare Großstädte, wie den Haag, Amsterdam und Rotterdam, aufsuchen. Hier
huldigen sie Rembrandt und den andern Malergrößen des 17. Jahrhunderts, während
sie die holländische Malerei der neueren und jüngsten Zeit riur flüchtig streifen oder,
wie der Ausdruck lautet, „sich schenken". Der Sohn eines großen Vaters ist eben
schwer gestraft — er wird stets etwas gleichgiiltig behandelt. Zum Teil sind die hol-
ländischen Maler der Gegenwart an dieser geringen Beachtung insofern selbst schuld,
als sie zuwenig unsere deutschen Kunstausstellungen und Salons beschicken, denn
außer Israels, Mesdag und Mauve haben sich die anderen selten oder gar nicht blicken
lassen. Erst im Mai 1911 bot sich im Salon des Berliner Künstlervereins eine größere
Kollektion holländischer Bilder dar, in der jedoch der Schwerpunkt in den Arbeiten
der bejahrteren Maler lag, während von denen der jüngeren Generation und insbesondere
der Sezession wenig oder nichts zu sehen war. So steht das deutsche Publikum auch
der modernen holländischen Kunst fremd gegeniiber — eine Tatsache, die um so auf-
fälliger in der Zeit des internationalen Verkehrs ist.
Oberhaupt herrscht in Deutschland von dem Holländertum der Jetztzeit eine un-
zutreffende Vorstellung: es wird verquickt mit Absonderlichkeiten, Philisterei, Raritäten-
sucht und konservativen Neigungen. Man denkt sich den Holländer ungefähr so,
wie ihn der selige Cats in seinen Dichtungen schildert: behaglich in den geblümten
Schlafrock gehüllt und mit der langen Goudaschen Tonpfeife hinter der Teekanne
sitzend, oder mit verliebten Blicken seine Sammlung chinesischer Porzellane musternd
und mit Andacht sich an der Blütenpracht teuerster Tulpenzwiebeln erbauend. Ja,
man wähnt in diesem Milieu noch alte Halskrausen, große Markensche Hüte, schwarze
Pumphosen, Wämser und Radmäntelchen in Gebrauch, glaubt, daß Treckschuten und
schläfrige Diligencen noch Hauptverkehrsmittel seien und die Bauern hinter den Deichen
und in den Poldern bei ihren fetten Kühen und wohlgenährten Pferden in völliger
Abgeschiedenheit leben. Nichts von alledem! Durch Holland streicht, wie durch das
übrige Europa, ein moderner Wind, der sogar zahlreiche „Genossen' 1 gezeugt hat.
Natürlicherweise weht der moderne Wind in den größeren Städten erst recht.
Gewiß, vieles Alte hat sich erhalten, aber die Holländer sind nicht mehr die alten.
Giebelhäuser, oben mit vorgekragtem Krahnbalken zum Aufziehen von Lasten, und
stattliche Monumentalbauten aus den Tagen der Hochrenaissance, Rat-, Wag-, Armen-,
Waisen-, Schlacht- und Gildehäuser, mit konstruktiven Gliedern in Haustein und
[Nachdruck verboten.]
mit Fiächen in Ziegeln oder ganz im säulenreichen Klassizismus Palladios gehalten,
fesseln noch in großer Menge das Auge, melodische Klänge der Glockenspiele dringen
von hochragenden Türmen alter Kirchen noch feierlich ans Ohr, Grachten mit
dunklem Gewässer, überspannt von originellen Kipp- und hochgewölbten Steinbrücken,
unter denen die Schiffe bequem einherfahren können, durchziehen noch in entzücken-
den Perspektiven das Stadtgebiet, malerisch anmutende Gäßchen, Winkel und Höfe
sind noch von Rembrandtschein Halbdunkel erfüllt, aber die Staffage ist verändert —
elektrische Straßenbahnen, sausende Automobile, Toiletten elegantester Art, glänzende
Waren hinter riesigen Spiegelscheiben: das sagt alles, auch in bezug auf die Menschen.
Die Kunst bleibt von solchen Wandlungen nicht unberührt — für die geistige
Atmosphäre einer Zeit ist sie feinfühligster Barometer. Und das Barometer zeigt
auf Paris. Die Neigung zur schönen Lutetia ist nicht von gestern gekommen: sie
gewann ihre Stärke schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts unter König
Wilhelm III. und seiner ersten Gemahlin Sophie, einer Tochter des damaligen Königs
von Württemberg, deren politische und gesellschaftliche Aspirationen zum Hofe des
dritten Napoleon neigten. Nach Frankreich richteten sich die Blicke, nicht nach dem
stammverwandten Deutschland. So wurde Paris Mode. Die holländischeMalerei der letzten
fünfzig oder sechzig Jahre läßt diese Tatsache verspüren — sie ist von den mächtigen
Wirkungen eines Daubigny, Corot, Millet nicht unbeeinflußt geblieben, wie denn
sogar Israels sich ihnen nicht ganz entziehen konnte.
Doch weit mehr suchen die Modernsten ihre Inspirationen in Paris. Als boden-
ständig können sie nicht mehr gelten, denn ihre Technik und ihre Gegenstände weisen
kaum noch Spuren holländischer Art auf. Impressionisten voin reinsten Wasser, wandeln
sie, kraft der Berechtigung der Subjektivität, die Wirklichkeit für ihre künstlerischen
Zwecke um, wie es ihnen beliebt. Die Welt so, wie sie von ihnen in Momenten der
Inspiration geschaut und empfunden wird, wäre ein lichterfülltes Paradies mit Ieuchten-
den hellen Farben. Zu solchem Garten Eden läßt sich höchstens der Süden wandeln,
aber nicht Holland; es sei denn, daß es seines Chararakters verlustig ginge. So ist
fremde Stimmung, weil Mangel an Charakteristik, den lichtdurchströmten Landschaften
mancher Impressionisten eigentümlich. Das ist nicht mehr Holland, wie es in Wirk-
lichkeit existiert! Die saftstrotzenden Weiden, der schwere Boden, die ganze fette
Physiognomie des Landes, die dunstige, feuchte Atmosphäre und die geradezu monu-
mental wirkenden grandiosen Wolkengebilde sind unter dem intensiven Sonnenlichte
um ihre packende Wirkung gebracht. Auch geben sich gewisse Bilder aus dem Milieu
des Moulin rouge nicht holländisch, sondern spezifisch französisch. Es ist erstaunlich,
wie viele Künstler sich die Poesie des Lichtes und der Farben gerade durch Varietes
und Demimondainen suggerieren Iassen. Ein glänzendes Können ist erforderlich, um
XXVII. 33.
oderne l>oiländisd)c
Von Georg Rhenanus.
alerci.
Syommer für Sommer zielien viele Deutsche in die holländischen Seebäder. Von
R dem kleinen Kijkduin und dem prächtigen Scheveningen bis hinauf nach Bergen
' und dem Helder ist die Nordsee mit Badenestern wunderhübsch garniert. Die
meisten Gäste werden von Meer, Strand und Dünen mit solcher Zaubergewalt gebannt,
daß ihnen das Gebiet landeinwärts fremd bleibt; höchstens daß sie einige bequem
erreichbare Großstädte, wie den Haag, Amsterdam und Rotterdam, aufsuchen. Hier
huldigen sie Rembrandt und den andern Malergrößen des 17. Jahrhunderts, während
sie die holländische Malerei der neueren und jüngsten Zeit riur flüchtig streifen oder,
wie der Ausdruck lautet, „sich schenken". Der Sohn eines großen Vaters ist eben
schwer gestraft — er wird stets etwas gleichgiiltig behandelt. Zum Teil sind die hol-
ländischen Maler der Gegenwart an dieser geringen Beachtung insofern selbst schuld,
als sie zuwenig unsere deutschen Kunstausstellungen und Salons beschicken, denn
außer Israels, Mesdag und Mauve haben sich die anderen selten oder gar nicht blicken
lassen. Erst im Mai 1911 bot sich im Salon des Berliner Künstlervereins eine größere
Kollektion holländischer Bilder dar, in der jedoch der Schwerpunkt in den Arbeiten
der bejahrteren Maler lag, während von denen der jüngeren Generation und insbesondere
der Sezession wenig oder nichts zu sehen war. So steht das deutsche Publikum auch
der modernen holländischen Kunst fremd gegeniiber — eine Tatsache, die um so auf-
fälliger in der Zeit des internationalen Verkehrs ist.
Oberhaupt herrscht in Deutschland von dem Holländertum der Jetztzeit eine un-
zutreffende Vorstellung: es wird verquickt mit Absonderlichkeiten, Philisterei, Raritäten-
sucht und konservativen Neigungen. Man denkt sich den Holländer ungefähr so,
wie ihn der selige Cats in seinen Dichtungen schildert: behaglich in den geblümten
Schlafrock gehüllt und mit der langen Goudaschen Tonpfeife hinter der Teekanne
sitzend, oder mit verliebten Blicken seine Sammlung chinesischer Porzellane musternd
und mit Andacht sich an der Blütenpracht teuerster Tulpenzwiebeln erbauend. Ja,
man wähnt in diesem Milieu noch alte Halskrausen, große Markensche Hüte, schwarze
Pumphosen, Wämser und Radmäntelchen in Gebrauch, glaubt, daß Treckschuten und
schläfrige Diligencen noch Hauptverkehrsmittel seien und die Bauern hinter den Deichen
und in den Poldern bei ihren fetten Kühen und wohlgenährten Pferden in völliger
Abgeschiedenheit leben. Nichts von alledem! Durch Holland streicht, wie durch das
übrige Europa, ein moderner Wind, der sogar zahlreiche „Genossen' 1 gezeugt hat.
Natürlicherweise weht der moderne Wind in den größeren Städten erst recht.
Gewiß, vieles Alte hat sich erhalten, aber die Holländer sind nicht mehr die alten.
Giebelhäuser, oben mit vorgekragtem Krahnbalken zum Aufziehen von Lasten, und
stattliche Monumentalbauten aus den Tagen der Hochrenaissance, Rat-, Wag-, Armen-,
Waisen-, Schlacht- und Gildehäuser, mit konstruktiven Gliedern in Haustein und
[Nachdruck verboten.]
mit Fiächen in Ziegeln oder ganz im säulenreichen Klassizismus Palladios gehalten,
fesseln noch in großer Menge das Auge, melodische Klänge der Glockenspiele dringen
von hochragenden Türmen alter Kirchen noch feierlich ans Ohr, Grachten mit
dunklem Gewässer, überspannt von originellen Kipp- und hochgewölbten Steinbrücken,
unter denen die Schiffe bequem einherfahren können, durchziehen noch in entzücken-
den Perspektiven das Stadtgebiet, malerisch anmutende Gäßchen, Winkel und Höfe
sind noch von Rembrandtschein Halbdunkel erfüllt, aber die Staffage ist verändert —
elektrische Straßenbahnen, sausende Automobile, Toiletten elegantester Art, glänzende
Waren hinter riesigen Spiegelscheiben: das sagt alles, auch in bezug auf die Menschen.
Die Kunst bleibt von solchen Wandlungen nicht unberührt — für die geistige
Atmosphäre einer Zeit ist sie feinfühligster Barometer. Und das Barometer zeigt
auf Paris. Die Neigung zur schönen Lutetia ist nicht von gestern gekommen: sie
gewann ihre Stärke schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts unter König
Wilhelm III. und seiner ersten Gemahlin Sophie, einer Tochter des damaligen Königs
von Württemberg, deren politische und gesellschaftliche Aspirationen zum Hofe des
dritten Napoleon neigten. Nach Frankreich richteten sich die Blicke, nicht nach dem
stammverwandten Deutschland. So wurde Paris Mode. Die holländischeMalerei der letzten
fünfzig oder sechzig Jahre läßt diese Tatsache verspüren — sie ist von den mächtigen
Wirkungen eines Daubigny, Corot, Millet nicht unbeeinflußt geblieben, wie denn
sogar Israels sich ihnen nicht ganz entziehen konnte.
Doch weit mehr suchen die Modernsten ihre Inspirationen in Paris. Als boden-
ständig können sie nicht mehr gelten, denn ihre Technik und ihre Gegenstände weisen
kaum noch Spuren holländischer Art auf. Impressionisten voin reinsten Wasser, wandeln
sie, kraft der Berechtigung der Subjektivität, die Wirklichkeit für ihre künstlerischen
Zwecke um, wie es ihnen beliebt. Die Welt so, wie sie von ihnen in Momenten der
Inspiration geschaut und empfunden wird, wäre ein lichterfülltes Paradies mit Ieuchten-
den hellen Farben. Zu solchem Garten Eden läßt sich höchstens der Süden wandeln,
aber nicht Holland; es sei denn, daß es seines Chararakters verlustig ginge. So ist
fremde Stimmung, weil Mangel an Charakteristik, den lichtdurchströmten Landschaften
mancher Impressionisten eigentümlich. Das ist nicht mehr Holland, wie es in Wirk-
lichkeit existiert! Die saftstrotzenden Weiden, der schwere Boden, die ganze fette
Physiognomie des Landes, die dunstige, feuchte Atmosphäre und die geradezu monu-
mental wirkenden grandiosen Wolkengebilde sind unter dem intensiven Sonnenlichte
um ihre packende Wirkung gebracht. Auch geben sich gewisse Bilder aus dem Milieu
des Moulin rouge nicht holländisch, sondern spezifisch französisch. Es ist erstaunlich,
wie viele Künstler sich die Poesie des Lichtes und der Farben gerade durch Varietes
und Demimondainen suggerieren Iassen. Ein glänzendes Können ist erforderlich, um
XXVII. 33.