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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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25. Heft
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Staby, Ludwig: Die Musik der Kleinen
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Aus Richard Wagners Leidenszeit
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0772

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328

Qie (Pusil^

'AfimSy'enn wir uns von der Musik der Insekten ein richtiges Bild machen wollen,
V V dann wandern wir an einern sonnigen Tage zu einer blumigen Wiese, dort
haben wir das ganze Orchester zusammen: Auf dem Boden, an den Ilalmen und
Blüten, in der Luft fiedelt, zirpt, schnarrt und brummt es in alien Tonarten und
die Hauptmusikanten in diesem Naturkonzert sind die Grillen und Ileuschrecken.
Die Heuschrecken, unter denen das braune und das grüne Ileupferdchen die
bekanntesten sind, tragen an der Innenseite der Oberschenkel der Hinterbeine
eine hervorragende Leiste, die unter dem Mikroskop eine Reihe von ungefähr
90 äußerst zierlichen, lanzettförmigen Zähnchen aufweist, die wie feine Lanzen-
spitzen aus der Haut hervorragen. Mit dieser sogenannten Schrill-Leiste streichen
nun die Heuschrecken an den Längsadern der Flügeidecke hin; durch die rasche
Reibung werden die dünnen Flügel in schwirrende Bewegung gesetzt und
erzeugen den schriilenden Ton, genau in derselben Weise, wie eine durch
Streichen in Schwingungen versetzte Violinseite. Die Heuschrecken sind also
in dem Feldkonzert die Violinspieler, sie haben aber vor ihren menschlichen
Kollegen viel voraus, denn sie können zwei Instrumente zugleicli spielen, sie
geigen mit den Hinterbeinen an jeder Seite des Körpers. Es sieht sehr drollig
aus, wenn man beobachtet, wie die kleinen Künstler abwechselnd das rechte
und das linke Hinterbein mit erstaunlicher Schnelligkeit herauf- und herunter-
ziehen. Die Töne sind nicht von derselben Höhe und Stärke, sie geigen alle ver-
schieden, und zwar haben die größeren Musikanten einen tieferenTon als die kleinen.

In etwas anderer Weise als die Ileuschrecken geigen die Grillen, deren
Musik ja ähnlich klingt. Die Feldgrille trägt auf der unteren Seite der Flügel-
decke eine Acjer, die mit ungefähr 130 feinen erhabenen Querleisten oder
Zähnchen besetzt ist. Diese gezähnte Ader, Schrillader genannt, wird nun mit
großer Schnelligkeit über eine vorspringende, glatte Ader auf der Oberseite des
entgegengesetzten Flügels gerieben und erzeugt auf diese Weise den schrillenden
Ton; dabei werden zur Verstärkung des Tones beide Flügel etwas in die Höhe
gehoben. Mit breitgestellten Beinen, nach unten gebeugtem Vorderkörper und
gehobenen Flügeln steht die Feldgrilie vor dem Eingang ihrer kleinen Erd-
wohnung und fiedelt die lustigsten Weisen, um das Weibchen zu rufen, das
stumm ist. Ihre nahe Verwandte, das Ileimchen oder die Hausgrille, spielt
dasselbe Instrument, und das Konzert, das wir in aiten Iläusern an ruhigen
Abenden oft an der warmen Herdwand ertönen hören, beweist uns die Fertig-
keit der kleinen Künstler.

Im Süden unseres Erdteii.s sowie in den Tropenländern tritt ein anderes
Insekt als Hauptsolist in den Naturkonzerten auf, es ist dies die Cikade, auch
Singcikade genannt. Sie geigt aber nicht, sondern sie bedient sich kleiner
Pauken. Die Tiere, etwa von der Größe eines Maikäfers, haben nämlich am
Anfang des Hinterleibes eine kleine kugelige Höhlung, über die eine zarte Haut,
ein Trommelfell gespannt ist, das durch einen Muskel in Bewegung gesetzt
wird und wie eine kleine Kesselpauke klingt, allerdings wegen der Winzigkeit
des Instrumentes in sehr liohem Tone, der aber ziemlich laut und sehr weit
zu hören ist. Wie heute noch bei den Chinesen, so wurden früher bei den
alten Griechen die Cikaden ihres Gesanges wegen häufig in Käfigen gehalten,
und sie standen in so hohem Ansehen, daß sie vielfach in Gedichten verherrlicht
wurden. Heute müssen wir wohl empfindlicher geworden sein, denn uns ist
der schriile Ton bei längerer Dauer unangenehm, ja, wenn mehrere Cikaden zu-

dep f^leinen.

[Nachdruck verboten.]

sammen musizieren, ist ihr Lärm unausstehlich, wie ich selbst oft genug mit
Ingrimm konstatiert habe.

Außer diesen Paukern weist das große Reich der Insekten auch Trommler
auf, ein solcher ist z. B. der Trotzkopf oder Klopfkäfer. Gewiß hat mancher
Leser schon abends oder in der Stille der Nacht plötzlich im Zimmer ein regel-
mäßiges Klopfen, etwa wie das Ticken einer Uhr, gehört. Dieses Geräusch
rührt von dem Klopfkäfer her, dem abergläübische Leute den Namen „Totenuhr“
gegeben haben, da sie in dem Wahne sind, er zeige durch sein Klopfen die
letzte Stunde eines Menschen in dein betreffenden Ilause an. Der Käfer klopft
aber nur, wie vielfache Versuche erwiesen haben, um andere Genossen, vor
alletn sein Weibchen herbeizulocken. Wenn man mit einer Nadel, die man
gegen den Tisch stößt, den Ton nachahmt, dann antwortet der Käfer häufig
durch wiederholtes Klopfen, das er dadurch hervorbringt, daß er Fühler und
Vorderbeine etwas anzieht und mit dem Kopf und dem vorderen Teil des
Halsschildes gegen den Boden schlägt

An dem großen Musikfeste, das im Sommer auf jedem Hang, jeder Wiese
gefeiert wird, nehmen außer den zuerst genannten nocli andere Künstler teil.
Außer den Grillen und Heuschrecken eilen die Hummeln, Bienen, Wespen,
Hornissen, Fliegen und Mücken herbei, um die Musikkapelle vollzählig zu raachen-
Wer hätte nicht das Brummen der Ilummeln und Wespen, das Summen der
Fliegen und Mücken in allen Tonarten oft beobachtet! Wohl jeder ist schon
gestört worden durch das Gesurr einer zum offenen Fenster hereingeflogenen
Wespe, die sich eine Fliege oder etwas Zucker holen wollte und nicht gleich
wieder herausfindet; und wohl jeder hat auch schon die feine, in sehr hohen
Tönen gehaltene Musik eines Mückenschwarmes vernommen.

Alle diese verschiedenen Stimmen werden zum größten Te.il durch die
heftig schwingende Bewegung der Flügel hervorgebracht, die ähnlich den Zinken
einer Stimmgabel tönen. Die Fliegen und Mücken haben außerdem hinter den
Flügeln noch kleine Anhängsel, die sogenannten Schwingkolben, kleine gestielte
Köpfchen, die durch die Bewegung der Flügel'mitschwingen und den Ton er-
zeugen oder verstärken.. Wahrscheinlich werden die ganz hohen Töne der
Mücken durch die Schwingkölbchen allein hervorgebracht. Bei den Hummeln,
Bienen, Fliegen und ihren Verwandten kommen bei den musikalischen Leistungen
außer der Flügelbewegung noch einige in der Brust liegende Luftröhren in
Betracht, an deren Ausgang kleine, blattförmige Chitinplättchen hängen, die
durch die ausströmende Luft in tönende Bewegung gesetzt werden.

All das Gesumme, das Brummen und Surren dient auch bei diesen Insekten
offenbar nur dazu, sich bemerklich zu machen, sich gegenseitig zu rufen und
zu locken. Ilaben z. B. mehrere Fliegen einen guten Futterplatz gefunden, so
rufen sie durch ihr Gesumme inirner mehr Kameraden herbei. An einem
warmen Maiabend sah ich einst unzählige Maikäfer von allen Seiten sämtlich
in gerader Richtung einem tiefer gelegenen Wäldchen zufliegen, das sie sicher
nicht sehen konnten, dessen Vorhandensein aber trotz ziemlicher Entfernung
durch das Gesumme einer ungeheuren Menge von Maikäfern verraten wurde,
die in großen Massen alle Bäume bedeckten. Durch das Summen herbei-
gerufen, finden sich auch die Mückenschwärme zusammen, die durch den steten
Zuzug oft zu einem Umfang anwaclisen können, der ihre Züge als Wolken-
sclileier erscheinen läßt. . Dr. Liidwig Staby.

Aus Richard Wagners Leidenszeit.

agners heftige Ivämpfe mit seinen Gegnern sind allgemein bekannt. Die
feindseiige Kritik, der er in seinen „Meistersingern“ die Worte entgegen-
hält: „Wollt ihr nach Regeln messen, was nicht nach eurer Regeln Lauf, der
eignen Spur vergessen, sucht davon erst die Regeln auf!“ steigerte sich oft bis
zur persönlichen Feindschaft, und selbst ernstere Zeitgenossen, unter ihnen be-
sonders Hanslick, wandten sich immer wieder mit bösen Schmähschriften gegen den
Meister, sodaß er zuweilen einer regelrechten Preßhetze gegenüberstand. So
lesen wir in einer Berliner Zeitung von Jahre 1870 u. a. folgende Notiz eines
„Musikfreundes“: „Eine hochwohüöbliche Generalintendanz wird höflichst er-
sucht, die neue Gesangsposse „Die Meistersinger“ doch an das Wailner-Theatcr
abgeben zu woll.en, für welches sich diese Farce brillant eignet.“

In seiner Geschichte des Dramas nennt J. L. Klein die Wagnersche Musik
„wüstes Korybantengetöse, Blechschilder- und Kesselgerumpel, Chinesen- oder
Karaibengeklapper mit Hölzern und Skalpier-, Ohrenskalpiermessern“. So und
ähnlich zog man dauernd gegen den Mann zu Felde, dessen tiefstes Sehnen
danach ging, dem deutschen Volke das Beste und Edelste zu geben, was in
ihm war.

Wie beschimpfte und schmähte man ihn, als ihn die Huld des kunstsinnigen
Bäyernkönigs aus aller materiellen Not befreite! Seine Widersacher begnügten
sich nicht mehr damit, die Schale ihres Hohns über seine Kunst auszugießen;
ihre W Tut richtete sich jetzt auch gegen den „Privatmaiin“ W'agner, dessen
intimste Angelegenheiten öffentlich bekrittelt wurden. Als der König in hoch-

herziger Gesinnung dem Künstler ein Darlehen von 40 000 Gulden gewährt
hatte, damit er alle seine Schulden tilgen könne, benutzte die Hofbureaukratie
diese Gelegenheit in häßlichster Weise zu einer öffentiichen Demonstration gegen
Wagner. Man ließ die 40000 Gulden in Silbermünzen auf einem großen Last-
wagen langsam durch die Hauptstraßen der Residenz bis zu Wagners Wohnung
fahren, um das Volk gegen diesen „Aussauger des Landes“ aufzustachein und
zu erbittern. In Paris, der Stadt seiner Sehnsucht, ging es ihtrt noch schlimtner.
Napoleon III. hatte Wagner rufen lassen, damit er seinen „Tannhäuser“ für
die Große .Oper inszeniere. A.Is die Aufführung nach vielen Mühen zustande
kam, ereignete sich. der berüchtigte, große..Theaterskandal. Da sich Wagner
nicht entschließen konnte, im Mittelakt ein Ballett einzuschieben, pfiffen die Mit-
glieder des Jockeyklubs — fast sämtlich Angehörige der hohen Aristokratie —
auf mitgebracliten Jagdpfeifen die Oper regelrecht aus und beleidigten außerdem
das Künstlerehepaar aufs gröbste und zynischste. Selbst der stürmische Applaus
des Kaisers vermochte die überaus peinliche Situation nicht zli retten. —

Wenn er so bei den Menschen lange Zeit selten das erhoffte Verständnis
fand und in den seelischen Qualen aller Art nicht ein noch aus wußte, dann
rettete er sich gewöhnlich in die Natur, wie er es einmal in einem Briefe an
seine Mutter bekennt: . . . „Fühle ich mich so bald gedrängt, bald gehalten,
irnrner strebend, selten des vollen Gelingens mich erfreuend, so kann mich
einzig nur der Genuß der Natur erfreuen. Wenn ich mich ihr oft mit bitterer
Ivlage in die Arrne werfe, hat sie mich immer getröstet und erhoben. . . .“ G.
 
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