MODER.NE KL'XS'l'.
„ßackschisoh! Backschisch!“ brülit, es um den Wagen, „Backschisch!“ in
allen Tönen. Männer, Weiber, Kinder, ein ganzer Schwarm begleitet ihn. Sie
brüllen, sie lachen, sie schlagen Purzelbäume. Wie, Schakale wird die Meute
und wächst — „Backschisch! Backschisch!“ kreischt es, brüllt es, heult es.
Ein weißer Sandberg schneidet den Weg ab — Wüstensand ! Links Beduinen-
zelte, um die es schwärmt, wie urn einen Bienenkorb. „Pvramide, Sir! up to
the grand! Toritbs, Mossiou! i ierr, serr schün! I, Abrahim, icli, Isaak Jakob!
göod lady, ich Muhammed!“
Flüche werden laut in allen Spradjen der zivilisierten Welt!
„Laßt uns doch wenigstens erst die' Pyraiuiden nur sehen!“
Die grofie Pyramide, die des Cheops, „Chufuyclmt“ ägyptisch. So starr, so
gewaltig — was die Menschlein aüch von ihr heruntergebröckelt haben — sie
steht und trotzt. Schatteniinien auf den Stufen und etwas Krabbelig-Beweg-
liches. Das Weiße, was sich da bcwegt, sind drei - Beduinen, die einen dunklen
Gegenstand zwischen zich zerren und schiebcn. Z.wei
sind- auf der höheren Stufe und ziehen, und der untere
hilft nach — uncl das Dunkle ist ein Pvramidenbcsteiger.
Und da ist noch eine gleiche Grilppe und noch eine; —
Frauen -auch darunter. Andere haben die Spitze, die
Plattform oben erreicht und blicken nun siegessicher
herab. Die zvveite Pyramide, die des Chefres, wird
„Ur“ vom \’olk genannt, die kleinere clritte ist clie- des
Menkara und heißt „Her“. —
Erstaunte Augen, wiclerstreitendste Gedanken! So
viele Bilder haben die Bekanntschaft init dcn Pyramiden
vermittelt, deri Wüstensand und die greile Sonne dar-
gestellt — und nun ist das alles docli so ganz anders
wirkend! Und v.or diesem Steinberg, um den die Jahr-
tausende den feinen, feinen Sand, der zwischen den
Zähnen knirscht, angehäuft haben, daß er halb darin
begraben ist, verliert man den Maßstab für Größen-
verhältnisse. Kann es denn sein, daß dieses Bauwerk
siebenmal mehr Grundfläche bedeckt als der Kölner
Dom? — und daß man bequem die Peterskirche mit
ihrer Ivuppel, die man von weither üher der Campagna
wie eine biaue Riesenglockenblume leuchten sieht, hin-
einschieben kann? Ist das Wahrheit hier in diesem
Märchenlande?
Und daran iießen sie ihr Volk und ihre Sklaven
unsagbar harte Eronen tun, dicse Könige, die darin
schlafen wollten, umgeben von ilirem Lieblingsgerät, bis
sie erwachten, und diese Grabkamtner ihre zweite „ewiae
Wohnung“ wurde. Hunderttausend Menschen bauten
zwanzig Jahrc lang! So gekleidet in farbige grad-
linige Kittel,
wie man heut
noch in Kairo
dieMaurer auf
den Gerüsten
sieht,angetrie-
ben von den
Aufsehernmit
den Bambus-
stäben! Und
auf den Kar-
ren und mit
den Büffeln
und Kamelen
und Hebein
und Baiken
schleppten sie
das Material aus den Steinbrüchen des drüben ragenden Mohatten-Gebirges lieran
— sie nilüberwärts schaffend.
Für zwei Dutzend Meirschen hal die Platte dort oben Platz, die ehemalige
Spitze ist abgebröckelt, aueh wohl zerstört, wie die äußere Bekleidung der ganzen
Pyramide. Und nun von da der Blick in das fruchtbare Niltal, auf Kairo mit
den Kuppeln und Minaretts, auf die heiße, gelbe Wüste, auf die Pyramideh von
Sakkära — und die Stelle, wo Memphis stand, und der Gedanke an die Ver-
gangenheit dieses großen, nutchtigen Kulturlandes — überwälligerrl, atemraubend.
„Gefunden in Pyramid — eclrt“ — Skarabäen, klcine Figuren, Münzen,
Marmorbrocken — sie lassen auch hier nicht nach, die Wüstensöhne, mit ihrer
Eindringlichkeit. Die Schechs sind mit dem Bedungenen da unten nicht zu-
frieden, und die Fülirer nicht mit dem Backschiscl\. Immer melir Backschisch,
soviel sie auch bekommen, woüeu sie! Und da rasiert ein Beduine den and.ern,
dicht vor dem Aufgang — ein Blick nur nach dort. „Backschiscli!“ Denn die
beiden haben ja die'Empfmdung, daß sie ein Schauspiel gebeu. —
Nicht alle Reisenden unterziehen sicli der Mühe, in das Innere der Cheops-
pyramide zu kriechen und bei dem schwachen Lichtschein mitgebrachter Kerzen
über die schlüpfrigen Wege hin, während die Fledcrmäuse aufflattern, nach den
Grabkammern des Königs und der Königin zu pilgern. Die ganz Gewissenhaften,
die alles sehen müssen, finden den leeren Sarkophag des Cheops.
Die andern kleinen Pyramiden, in der einen vermutet man die Grabstätte
einer Tochter des Cheops, läßt man unbeachtet und rüstet sich, der Sphinx
seinen Besuch zu machen. Durch den Sand trabend, ein Kamel besteigend,
auf. dem sicli dann die eitlen Abendländer piiotographieren lassen, oder ein
Eselein — Geschrei, Angebot, Streit unter den Führern und Eseljungen. — Und
da liegt der Koloß — Sie? Er? Es sind an „Sie“ so viel schöne Verse gemacht
— „Sie“ ist vielfach mit der Sphinx des Oedipus verwecliselt, die Rätsel auf-
gibt, urid; an „Ihn“, den „Horus“, den klingenden Sonnengott wird so selten ge-
dacht. -
Wie mächtig dies Rätselgeschöpf hier an Ort und Stelle wirkt — wie er-
griffen, gepackt, überwältigt man aufschaut aus dem gelben Sande. in dem man
sitzt, zu diesen harten, festgeschlossenen Lippen!
tst es walir, was Carmcn Sylva gesungen:
„läinmal alle tausend Jahr
Wiid die Sphinx lebendig
Schwer ist’s, unentriitselbar.
Stein zu sein beständig —"
Und sie kommt zum Nil, der plätschernd, vom duftenden Südwind bewegt,
seine Wellen treibt, „wollüstig, heißblütig“, und sinkt ihm an die Brust. Leicht
wird ihnen beiden das Scheiden nicht —
vDöcIi sie streichelt ihm das Haa.r Aber iiber taüsend Jalir
Mit der Harid verständig: Werd ich dir lebendig!“
Die Sphiux schaut nach Osten, dem Sonnenaufgarig entgegen — zwischen
ihren Riesentatzen hält sie einen Tempel.
In der modernen Kultur befindet man sich später im Menahouse, das den
Pyramiden gegenuberliegt. Raifinierter Luxus und die trefflichste Verpflegung.
Es.ist in maurischem Stil erbaut und hat eine entzückende Terrasse und orien-
talische Ausstattung in allen Räumen. Menahouse hat seine „English Church“,
sein Schwimmbad, seinen Lawn-tennis-Platz, seine Rennbahn; farbige Diener und
Dienerinnen eilen hin und her, der Erbauer ist ein Deutscher.
Die Pyramiden und die Sphinx aber wundern sicli nicht über den Kontrast,
wie so mancher Reisende, der mit Erstaunen das Prachthotel liier am W rüsten-
saume antrifft —- die haben auf ganz andere Dinge herabgesehen in all den
Tausenden von Jahren, und s’o viele Menschlein sind gekommen und geg.angeii
— nein, die wundern sich nicht!
Paul Halke:
Ein Sonntag im Zoo: Dcr verlorene Sohn.
„ßackschisoh! Backschisch!“ brülit, es um den Wagen, „Backschisch!“ in
allen Tönen. Männer, Weiber, Kinder, ein ganzer Schwarm begleitet ihn. Sie
brüllen, sie lachen, sie schlagen Purzelbäume. Wie, Schakale wird die Meute
und wächst — „Backschisch! Backschisch!“ kreischt es, brüllt es, heult es.
Ein weißer Sandberg schneidet den Weg ab — Wüstensand ! Links Beduinen-
zelte, um die es schwärmt, wie urn einen Bienenkorb. „Pvramide, Sir! up to
the grand! Toritbs, Mossiou! i ierr, serr schün! I, Abrahim, icli, Isaak Jakob!
göod lady, ich Muhammed!“
Flüche werden laut in allen Spradjen der zivilisierten Welt!
„Laßt uns doch wenigstens erst die' Pyraiuiden nur sehen!“
Die grofie Pyramide, die des Cheops, „Chufuyclmt“ ägyptisch. So starr, so
gewaltig — was die Menschlein aüch von ihr heruntergebröckelt haben — sie
steht und trotzt. Schatteniinien auf den Stufen und etwas Krabbelig-Beweg-
liches. Das Weiße, was sich da bcwegt, sind drei - Beduinen, die einen dunklen
Gegenstand zwischen zich zerren und schiebcn. Z.wei
sind- auf der höheren Stufe und ziehen, und der untere
hilft nach — uncl das Dunkle ist ein Pvramidenbcsteiger.
Und da ist noch eine gleiche Grilppe und noch eine; —
Frauen -auch darunter. Andere haben die Spitze, die
Plattform oben erreicht und blicken nun siegessicher
herab. Die zvveite Pyramide, die des Chefres, wird
„Ur“ vom \’olk genannt, die kleinere clritte ist clie- des
Menkara und heißt „Her“. —
Erstaunte Augen, wiclerstreitendste Gedanken! So
viele Bilder haben die Bekanntschaft init dcn Pyramiden
vermittelt, deri Wüstensand und die greile Sonne dar-
gestellt — und nun ist das alles docli so ganz anders
wirkend! Und v.or diesem Steinberg, um den die Jahr-
tausende den feinen, feinen Sand, der zwischen den
Zähnen knirscht, angehäuft haben, daß er halb darin
begraben ist, verliert man den Maßstab für Größen-
verhältnisse. Kann es denn sein, daß dieses Bauwerk
siebenmal mehr Grundfläche bedeckt als der Kölner
Dom? — und daß man bequem die Peterskirche mit
ihrer Ivuppel, die man von weither üher der Campagna
wie eine biaue Riesenglockenblume leuchten sieht, hin-
einschieben kann? Ist das Wahrheit hier in diesem
Märchenlande?
Und daran iießen sie ihr Volk und ihre Sklaven
unsagbar harte Eronen tun, dicse Könige, die darin
schlafen wollten, umgeben von ilirem Lieblingsgerät, bis
sie erwachten, und diese Grabkamtner ihre zweite „ewiae
Wohnung“ wurde. Hunderttausend Menschen bauten
zwanzig Jahrc lang! So gekleidet in farbige grad-
linige Kittel,
wie man heut
noch in Kairo
dieMaurer auf
den Gerüsten
sieht,angetrie-
ben von den
Aufsehernmit
den Bambus-
stäben! Und
auf den Kar-
ren und mit
den Büffeln
und Kamelen
und Hebein
und Baiken
schleppten sie
das Material aus den Steinbrüchen des drüben ragenden Mohatten-Gebirges lieran
— sie nilüberwärts schaffend.
Für zwei Dutzend Meirschen hal die Platte dort oben Platz, die ehemalige
Spitze ist abgebröckelt, aueh wohl zerstört, wie die äußere Bekleidung der ganzen
Pyramide. Und nun von da der Blick in das fruchtbare Niltal, auf Kairo mit
den Kuppeln und Minaretts, auf die heiße, gelbe Wüste, auf die Pyramideh von
Sakkära — und die Stelle, wo Memphis stand, und der Gedanke an die Ver-
gangenheit dieses großen, nutchtigen Kulturlandes — überwälligerrl, atemraubend.
„Gefunden in Pyramid — eclrt“ — Skarabäen, klcine Figuren, Münzen,
Marmorbrocken — sie lassen auch hier nicht nach, die Wüstensöhne, mit ihrer
Eindringlichkeit. Die Schechs sind mit dem Bedungenen da unten nicht zu-
frieden, und die Fülirer nicht mit dem Backschiscl\. Immer melir Backschisch,
soviel sie auch bekommen, woüeu sie! Und da rasiert ein Beduine den and.ern,
dicht vor dem Aufgang — ein Blick nur nach dort. „Backschiscli!“ Denn die
beiden haben ja die'Empfmdung, daß sie ein Schauspiel gebeu. —
Nicht alle Reisenden unterziehen sicli der Mühe, in das Innere der Cheops-
pyramide zu kriechen und bei dem schwachen Lichtschein mitgebrachter Kerzen
über die schlüpfrigen Wege hin, während die Fledcrmäuse aufflattern, nach den
Grabkammern des Königs und der Königin zu pilgern. Die ganz Gewissenhaften,
die alles sehen müssen, finden den leeren Sarkophag des Cheops.
Die andern kleinen Pyramiden, in der einen vermutet man die Grabstätte
einer Tochter des Cheops, läßt man unbeachtet und rüstet sich, der Sphinx
seinen Besuch zu machen. Durch den Sand trabend, ein Kamel besteigend,
auf. dem sicli dann die eitlen Abendländer piiotographieren lassen, oder ein
Eselein — Geschrei, Angebot, Streit unter den Führern und Eseljungen. — Und
da liegt der Koloß — Sie? Er? Es sind an „Sie“ so viel schöne Verse gemacht
— „Sie“ ist vielfach mit der Sphinx des Oedipus verwecliselt, die Rätsel auf-
gibt, urid; an „Ihn“, den „Horus“, den klingenden Sonnengott wird so selten ge-
dacht. -
Wie mächtig dies Rätselgeschöpf hier an Ort und Stelle wirkt — wie er-
griffen, gepackt, überwältigt man aufschaut aus dem gelben Sande. in dem man
sitzt, zu diesen harten, festgeschlossenen Lippen!
tst es walir, was Carmcn Sylva gesungen:
„läinmal alle tausend Jahr
Wiid die Sphinx lebendig
Schwer ist’s, unentriitselbar.
Stein zu sein beständig —"
Und sie kommt zum Nil, der plätschernd, vom duftenden Südwind bewegt,
seine Wellen treibt, „wollüstig, heißblütig“, und sinkt ihm an die Brust. Leicht
wird ihnen beiden das Scheiden nicht —
vDöcIi sie streichelt ihm das Haa.r Aber iiber taüsend Jalir
Mit der Harid verständig: Werd ich dir lebendig!“
Die Sphiux schaut nach Osten, dem Sonnenaufgarig entgegen — zwischen
ihren Riesentatzen hält sie einen Tempel.
In der modernen Kultur befindet man sich später im Menahouse, das den
Pyramiden gegenuberliegt. Raifinierter Luxus und die trefflichste Verpflegung.
Es.ist in maurischem Stil erbaut und hat eine entzückende Terrasse und orien-
talische Ausstattung in allen Räumen. Menahouse hat seine „English Church“,
sein Schwimmbad, seinen Lawn-tennis-Platz, seine Rennbahn; farbige Diener und
Dienerinnen eilen hin und her, der Erbauer ist ein Deutscher.
Die Pyramiden und die Sphinx aber wundern sicli nicht über den Kontrast,
wie so mancher Reisende, der mit Erstaunen das Prachthotel liier am W rüsten-
saume antrifft —- die haben auf ganz andere Dinge herabgesehen in all den
Tausenden von Jahren, und s’o viele Menschlein sind gekommen und geg.angeii
— nein, die wundern sich nicht!
Paul Halke:
Ein Sonntag im Zoo: Dcr verlorene Sohn.