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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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9. Heft
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Kohlrausch, Robert: München zur Neujahrszeit: Plauderei
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Busse-Palma, Georg: Zum Neujahr
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0260

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I IO

MODERNE KUNST.

prunkvollen Wohnungen von Schwabing. Aber hoch oben in den Dachstuben und
Ateliers dieser glänzend eingerichteten Häuser lebt eine andere, gegensätzliche Welt.
Hier hat auch die Künstlerboherae ihren Sitz gefunden. Hier wimmelt es von ver-
kannten Genies mit langen Haaren und von Malweibern in unglaublich bizarren
Trachten. Hier gibt es die zahllosen wilden Ehen, in denen gemeinsam gearbeitet und
gehungert wird, aber in denen die gute Laune so leicht nicht ausstirbt. Und wenn
die Weihnachtszeit eine unerwartete Bestellung mit klingendem Lohne gebracht hat,
heißt es erst recht: „Morgen wieder lustik!“ Die Fiille der Gegensätze, der künst-
lerische Beiklang, der hier in alles hineintönt, sie sind es, die das Münchner Leben
so bunt und interessant machen. Und wie sich das alles miteinander amüsiert, wie
das durcheinander tanzt und lacht! Ganzwelt und Haibwelt, alles egal! Man baut
hier keine strengen Schtanken auf, drückt fröhlicher Sünde gegenüber die Augen
willig und nachsichtig zu. Die Vergnügungslokale sogar haben dadurch ihren
eignen Charakter. Das neueste
München hat sich in seinem
Odeonskasino ein Symbol ge-
schaffen. Der Lebensgenuß
vereinigt hier alles, was Geld
hat, einerlei, woher es kommt.

Hier fauchen die Autos, hier
klingen die Geigen, hier be-
dienen feierlich Kellner mit
weißen Schürzen und wissen-
den Augen, hier begegnen sich
die ganzen und halben Damen,
die geschminkten itnd unge-
schminkten auf neutralem Bo-
den. Und wenn Sektpfropfen
in genügender Zahl in die Luft
gesprungen sind, umfassen sich
ein paar von den Mädeln und
wirbeln geschickt umher zwi-
schen den Stühlen. Unterdessen
fliegen unhörbare Liebesbot-
schaften von einem Tische zum
andern; denn auf jedem von
ihnen steht einTelephon als ver-
schwiegener Postillon d’amour.

Zu dem dicken Bankier dort
neben seiner nicht allzu schö-

nen Frau klingt es von einem Nachbartisch heritber:

„Du, Schatz, morgen trefferi wir uns. Ich muß das
Perlenkollier umtauschen, das du mir zu Weihnachten
geschenkt hast.“

Wer aber zur Winterszeit im Herzen zu frieren be-
ginnt, braucht nur zum „Grünen Teufel", in die „Hölle“
oder „ Bonbonniere“ herabzusteigen, wo hilfsbereite
Damen ihm das Weh aus dem Herzen tanzen und
singen und ihm von ihren Reizen so viel enthüllen,
wie er für das Eintrittsgeld nur verlangen kann. Und
wenn er sich derbere Kost wünscht, wenn er eine Weiß-
wurst einem Hummersalat vorzieht, auch dafür ist Rat
im großen Münchner Lustbarkeitsprogramm. Er braucht
nur in den heißen Bier- und Rauchdunst hineinzu-
tauchen, der die Säle der eigentlichen Volkssänger mit
bläulichem Gewölk erfüllt. Im „Frankfurter Hof", iin
„Apollo-Theater“, bei den Brüdern Albrecht gibt es
aus den Tagen des klassischen Papa Geis noch einen bescheidenen Nachklang. In
diesen Lokalen ist noch das ganz einfache Podium als Bühne Tradition, das man uns
anderswo künstlich wieder aufzuzwingen versucht. Hier wirkt eine Sängerin, die

sentimentale Weisen mit Niggersongs und Kabarettliedern abwechseln läßt. Ohne
Kulissen spielt man derb-komische Einakter, und vor allem entziickt ein Komiker das
vor Vergnügen wiehernde Publikum durch die Nachahmung der Miinchner Typen des
Luki, Schorschi und Kare.

So bereitet man sich in all diesen Lokalen würdig vor auf den allgemeinen tollen
Jubel des letzten Abends im Jahr. An ihm gibt es keine Grenzen mehr für ausge-
lassene Lustigkeit, und nicht einmal ein Schutzmann soll es dann „in übel nehmen",
wie man liier sagt, wenn ein hübsches Mädel auf dem Nachhausewege ihn keck
umarmt.

Natürlich darf das nur am Sylvesterabend geschehen, sonst wird sie „auf-
g’schrieben". Dieser Abend ist Nachfeier und Vorfeier zugleich. Nachfeier für das
liebe Weihnachtsfest mit seinem Lichterbaume, seinen Geschenken, seinen umfang-
reichen Familienmahlzeiten; Vorfeier für den baldigst nahenden Karneval, den die
guten heiligen drei Könige am 0. Januar als angenehmste Gabe mit sich nach München
bringen. Darum hat man sie hier auch besonders lieb, und manches junge, freuden-
hungrige Herz wartet sehnsüchtig auf ihr Erscheinen, das bis vor kurzer Zeit noch
persönlich geschah. Da wanderten sie leibhaftig durch die Straßen mit ihrem Stern,
sangen ein wenig, wenn auch nicht eben schön, und sammelten Gaben ein. Jetzt
sieht man sie kaum noch einmal; vielleicht sind sie gleich Schäfflertanz und Metzger-
sprung von der Polizei verboten worden „im Interesse des Verkehrs". Dies dra-

konische „Ist verboten“ das
dem Ausländer in Deutschland
immerso merkwürdig ist, steht
Ieider auch mit großen Lettern
über dem offenen Tor, durch
das der nächste Karnevai her-
einkommen soll. Die Polizei
hat ihm einen seiner Haupt-
reize genommen, indem sie
das Werfen mit Konfetti ver-
boten hat. Ja, wenn es noch
die echten italienischen Kon-
fetti gewesen wären, die harten
Gipskügelchen, die Kleider be-
schmutzen und Beulen machen
können. Aber die harmlosen
bunten Papierschnitzel, — du
iieber Gott, gar so schümni
wird es nicht sein mit ihrer
behaupteten Gesundheitsschäd-
lichkeit! — Und jedem, der
die charakteristischen Züge liebt
im Straßenleben einer Stadt,
wird es leid sein, wenn er in
den letztenTagen des Faschings
nicht mehr knöcheltief in die-
sem bunten, lustigen Schnee
einherwaten kann. Doch die
Hauptsache bleibt ja; dafür
sorgen Jugend. und eingeborne,
bayrische Heiterkeit. Und weil
der Karneval diesmal so jam-
mervoll kurz ist wegen des
friihzeitigen Osterfestes, darum
werden die Wogen der Fröh-
lichkeit nur noch um so höher
branden. Einerlei, ob man im
Frack umherwirbelt in den Prunkräumen des Deutschen Theaters, oder ob die volks-
tümlichen Kurzhosler sich in einem der großen Bräus zusammentun zum Schuh-
plattler. All den lustigen Leuten ein glückseüger Karneval und ein frohes Neujahr!

München zur Neujahrszeit:
Der unerläßliche Schuhplattler.

<5ine Cör wird zugemacht,

Gine andre aufgemachi.

0.n die neue ‘Woßnung treten
&[(e vol[ Grwarten ein:

Öo(dig friscfi sind die dapeten,
5[as und CDiele bfanfc und rein!
‘Knd die (TMten wie die (Buben
cB[eiben vo[(er Mreude steßn:
CDurcß die friscßen, saubren Siuben
cIRuß das ßeben [eicßter geßn!

Zum ‘Ileujaßr.

SKte ‘Woßnung: aftes fjaßr.

‘Ileue Woßnung: neues fjaßr.

(JCöstßcß wirds von unsren Uräumen
(RusmöbHert mit cfcßmucß und Strauß.
SDocß dann sind wir ß[ug und räumen
Knsre atie Woßnung aus:

5Bett und Bücßer, eTcßranß und (Kasten,
(R[[es, was uns zugeßört,

(Rtien cftaub und atie ßasten
cfcß(eppen wir zum neuen (Jfcrd.

(Mties fjaßr: ‘Vergangenßeit.
Zußunft wird zur Wirßßcßßcif.
(Bber wotti ißr sonnig [eben,
cfei erst gründticß ausgestaubt.
fjedes JJücßfein müßt ißr ßeben
Knd vor attem (Jierz und (Jfaupt.
(Ktopft ißr eure cfeeten sauber
Vor dem neuen Zeitenßaus,

(ffäti der go[dne Ueujaßrszauber
Bis zum näcßsten Keujaßr aus!

ffeorg Q3usse • (Ealma.
 
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