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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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3. Heft
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Wohlbrück, Olga: Der eiserne Ring, [3]
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Vincent, Fred: Der Hirschruf: eine lustige Jagdgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0082

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MODERNE KUNST.

35

er neben ihr! Ganz lächerlich. Und überhaupt war es unstatthaft, daß
sich die Angeklagte mit dem Zeugen unterhielt. Gänzlich unstatthaft.

Er räusperte sich und warf einen verweisenden Blick auf den jungen
Russen. Der schrack zusammen und tänzelte elegant zu seinem Platze
zurück. . . .

Die Sonne schien hell und warm durch die hohen Fensterscheiben.

Delfert atmete schwer auf.

Jetzt hinausgehen. Durch den Tiergarten gehen, langsam, in der
weichen Märzfrische . . . und die tiefe Stimme hören, die wie eine
Glocke klang . . . und den wunderbaren Duft einatmen . . . ganz nah . . .
und noch einmal das reizende Lächeln sehen, das die kurzen, festen
Zähne freilegte und den Mund so eigen nach oben schürzte. Aber noch
fünf Minuten, noch zehn bestenfalls — dann ging sie.

Und die Sonne würde verschwinden, und auf der Bank dort drüben
einer jener vielen Bauschieber sitzen, mit dicker Goldkette und kurzen,
fetten Händen.

Die Tür vom Beratungszimmer öffnete sich.

Schon! dachte Delfert.

Es fiel ihm nicht auf, daß die Herren heute länger noch als sonst ihre
Frühstückspause ausgedehnt hatten. Der Vorsitzende war diesmal für
„exemplarische“ Strenge. Dreißig Mark hatte Delfert beantragt. Es war
geradezu ein Hohn! Diese Liebenswürdigkeit Ausländern gegenüber
müßte endlich mal ein Ende nehmen. In Anbetracht des Bildungsgrads
der Angeklagten, in Anbetracht auch, daß dreißig Mark für die offenbar
in glänzenden Verhältnissen lebende Russin keine Strafe bedeuteten —
müßte auf eine Verdreifachung der beantragten Strafe erkannt werden.

Als der Vorsitzende das Urteil verkündete, zuckte Delfert unmerk-
lich die Achseln. Die Angeklagte aber hielt ihren großen Muff, auf dem
ein großer Veilchenstrauß angebracht war, vor den Mund und machte
sehr ernste Augen. Auf die entlassende Gebärde des Vorsitzenden neigte
sie ungemein graziös ihren hübschen Kopf und ging aus der Tür, die ihr
junger Landsmänn mit galanter Geste vor ihr aufbielt.

Eine Stunde später konnte Delfert seinen Talar ablegen.

Unruhe war in ihm und eine leise Trauer. Dabei schien es ihm, als
schwebe in dem nüchternen Gange noch imttier der feine, irritierende
Duft von vorhin. [Fortsetzung foigt.]

Der Hirschmf.

Eine lustige Jagdgeschichte von Fred Vincent.

Fmd ii” Deutschen sind zweifellos ein musikliebendes und musikalisches Volk,
und es wird kaum einen Vorgang in unserm Volksleben gegeben haben
oder geben, der nicht seinen Ausdruck in Liedern und Melodien gefunden hat. Das
gilt in vollstem Maße natürlich auch von der Jagd, der Lieblingsbeschäftigung
■cler alten Germanen, denn das erste Musikinstrument, das bei ihnen in Gebrauch
kam, war das Horn, dessen Ruf entweder zur Jagd oder zum Karnpf aufforderte.
Dabei wäre es vollkommen verfehlt, wenn man sich durch die Tatsache, daß
diese Hörner vom Wildochsen herstammten, zu ungerechtfertigten Schlußfolge-
rungen verleiten lassen wollte, denn der Auerochs •— der urige Stier •— stand
bei unsern Altvorderen in der hohen Jagd an erster Stelle. Der Lieferant dieser
-urhistorischen Musikinstrumente war
demnach über allen Zweifel erhaben,
gewissermaßen „hoffähig“, und ihre
Wirkung jedesmal eine ganz hervor-
ragende, wie das Varus und andere
Musikverständige aus den römischen
Legionen zu ihrem Leidwesen erfah-
ren haben.

Auch an scliönen Jagdfanfaren und
Jägerliedern hat es uns niemals gefehlt,
weder an alten noch an neuen. Es
wäre daher sicherlich eine dankbare
Aufgabe, Betrachtungen anzustellen
über die melodischen Klänge des Wald-
hornes bei den Rufen: „Aufbruch zur
Jagd“, „Plirschtot“, „Fürstengruß“ u. a.
oder über unsere Jägerlieder vom „Mit
dem Pfeil, dem Bogen“ bis zu dem bei
jungen Weidgesellen im vorgeschritte-
nen Zärtlichkeitsstadium so beliebten
„harten Mann, der die Liebe auch ge-
spürt“ usw.

Leider muß ich befürchten, daß
mir zu einer gründlichen Behandlung
dieses Gegenstandes die nötige Fach-
kenntnis fehlt. Ichwill mich daherlieber
darauf beschränken über mancherlei
„musikalische“ Leistungen zu plaudern,
wie sie bei der praktischen Ausübung
der Jagd oder des Wildschutzes in mehr
oder weniger vollkommener Weise ge-
boten werden, und ich hoffe, daß nie-
mand über das schmückende Beiwort
die Achseln zucken wird. Denn un-
zweifelhaft ist es eine Art von Musik,
wenn auch nur Naturmusik, die draußen
in Wald und Feld mit ganz eigenartigen
Instrumenten zu Gehör gebracht wird
und zwar einem Publikum, das ebenso
empfindlich ist, wie der gewiegteste

[Nachdruck verboten.]

Musikkritiker, denn bei der geringsten falschen Note erscheint es entweder gar
nicht oder zieht sich recht plötzlich zurück. Es bedarf daher wirklich einigen
Studiums und beträchtlicher Uebung — und auch das musikalische Gehör darf
nicht fehlen — um diese Instrumente, in der Weidmannsprache „Wildlocken“
genannt, mit Erfolg anwenden zu können.

Die Jagd auf Rothirsche ist ein so kostspieliges Vergnügen, das eine solche
Menge braune Lappen verlangt, daß sehr viele und zwar recht tüchtige Jäger es
sich nicht leisten können. Die große Mehrzahl derselben ist daher meist zufrieden,
wenn ihnen Gelegenheit geboten ist, ab und zu mal einen braven oder gar einen
kapitalen Rehbock nach Hause zu bringen. Für einen gerechten Weidmann, dem

ein Revier mit gutem Rehstande zur
Verfügung steht und der darin Bescheid
weiß, ist das im allgemeinen gerade
kein allzu großes Kunststück.

Unter Umständen hat aber die Sache
trotzdem ihre Schwierigkeiten, nament-
lich in Gegenden mit ausgedehnten,
mit Körnerfrüchten bestandenen Feld-
breiten. Denn sobald die Halme hoch
genug sind, um Deckung zu gewähren,
und das ist meist schon sehr bald nach
der Eröffnung der Jagd auf den Reh-
bock, dem 16. Mai der Fall, da steckt
alles Rehwild im Korn und mit Pirsch
und Ansitz ist es gewöhnlich vorbei.
Es bleibt dann nicht viel anderes übrig,
als geduldig auf die Blattzeit zu warten,
welche um die Mitte des Juli beginnt
und bis in den August hineinwährt.

Dann sucht sich nämlich der stolze
Bock eine Lebensgefährtin und ist bei
dieser Suche meist so hitzig, daß er
auch dem nachgeahmten Liebeslaut des
weiblichen Rehes folgt und dem in
guter Deckung sitzenden Jäger am hell-
lichten Tage zu Schuß komrnt. In der
Weidmannsprache nennt man das:
„Der Bock springt auf’s Blatt!“ denn in
früheren Zeiten benutzte der Jäger ein
junges Buchenblatt, urn die Locktöne
hervorzubringen.

Doch diese Kunst ist ziemlich in
Vergessenheit geraten, denn das primi-
tive Instrument, das seinen Zweck ganz
vorzüglich erfüllte, ist recht schwierig
zu handhaben, und die Kultur, die alle
Welt beleckt, hat darum den Reh-
blatter rasch entdeckt. Solcher Dinger
gibt es denn auch eine ganze Menge,
von dem einfachen aus Weidenholz

Hanns Bastanier: Exlibris Maximilian Koch. Nach einer Radierung.
 
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