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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
23. Heft
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Saltzwedel, Hans von: Frau Mytala, [6]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0709

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292


Frau Myfala.

Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Hans von Saltzwedel.

[Fortsetzung.] _

um zweiten Male gab ich mit den heiligsten Versicherungen ein
Versprechen, ohne zu wissen, ob und wie ich es würde halten
können. Das schlimmste bei diesem verwerflichen Leichtsinn
aber war, daß ich auch nicht die geringsten
Gewissensbisse über ihn verspürte, sondern
nur Befriedigung über die vertrauensvollen
Dankesblicke, die ich dafür von beiden emp
fing, sowie über die wohltätige Wirkung, die
meine Versicherungen auf den Fiebernden
ausübten, der sehr bald mit einem zufrie-
denen Lächeln einschlummerte.

Nun war ich so gut wie allein mit Frau
Mytala in der dumpfen Stube, in die nur das
schwache Dämmerlicht der schwülen Som-
mernacht fiel. Wie untilgbar deutlich sich
die bangen Stunden dieser Sommernacht in
mein Gedächtnis geprägt haben! — Wir
sprachen kein Wort miteinander — Frau
Mytala und ich — nur ab und zu begegneten
sich unsere Augen, um gleich darauf wieder
gemeinsam auf dem Leidensgesichte des
Schlummernden zu ruhen. So fühlten wir
uns eng verbunden in derselben Sorge und
dem gleichen Hoffen. — Nach und nach be-
schlich mich eine bleierne Müdigkeit. Der
für mich so lange Tag mit seinen aufregen-
den Erlebnissen machte sich fühlbar. Immer
wieder mußte ich gewaltsam die Augen auf-
reißen, um mich gegen den Schlaf zu wehren.

Dabei schien es mir immer heißer und
schwüler irn Zimmer
zu werden.

Mir war, als müßte
ich ersticken, wenn
ich nicht frische Luft
bekäme. Ich erhob
mich also vorsichtig,
schlich zur Tür des
Balkonzimmers hinaus
und trat auf den Bal-
kon. Schwer und reg-
los lastete die heiße
Sommernacht auf dem
lautlosen Städtchen zu
meinen Füßen. Die
Sterne leuchteten matt
an dem nur halbdunk-
len Sommerhimmel,
über den ganz niedrig
von Westen her dun-
kele Wolkenfetzen wie
schwarze Unglücks-
vögel herangezogen
kamen, gefolgt von
einer schweren, tief
dunkelblauen Wolken-
wand, in der es ab und zu unheimlich aufleuchtete. Ich atmete die Nacht-
luft ein, so tief ich konnte, ohne die erhoffte Erleichterung zu finden. Ein
leises Prickeln ging durch meine gequälten Nerven, das sich mit jedem nach
und nach lauter werdenden, drohenden Grollen noch vermehrte. Meine
Glieder waren mir so schwer, als flösse Blei durch ihre Adern, und nur
mühsam vermochte ich in das Kränkenzimmer zurückzuschleichen.

-- Copyright 1013 by Rich. Bong.

Frau Mytalas Augen schienen ihre beruhigende Macht über den
Kranken verloren zu haben: er zuckte mit dem zerschossenen Arm und
stöhnte laut; dabei warf er unruhig den Kopf auf den Kissen hin

und her, inclem er unverständliche Worte
murmelte.

Immer häufiger und greller durch-
leuchteten Blitze das Zimmer, gefolgt von
immer lauteren Donnerschlägen. Plötzlich
stand das ganze Zimmer wie im Feuer und
unmittelbar darauf krachte es, daß das ganze
Haus bebte und die Fenster klirrten.

Der Kranke schrie laut auf und fuhr
mit dem Oberkörper empor. Es schien, als
wolle er die Decke von sich werfen und
von dem Lager springen, indem er wütend
rief: „So geht das nicht! — Er muß dran
glauben!“

Frau Mytala und ich griffen gleich-
zeitig zu, um ihn im Bette zu halten; er
aber sträubte sich und schlug wild mit
beiden Armen um sich. Schnell packte ich
den verwundeten Arm, um ein Unglück zu
verhindern; da sah ich auch schon zu meinem
Entsetzen auf dem weißen Verbandzeuge
einen roten Fleck, der sich schnell ver-
größerte, und gleich darauf, während ich den
sich immer noch windenden Arm mit aller
meiner Kraft in eine ruhige Lage zu zwingen
versuchte, sickerten bereits helle Blutstropfen
durch die Binden. Als die junge Frau das
sah, ließ sie mit lautem
Schreckensruf den
gesunden Arm des
Fiebernden los, so
daß dieser mich damit
von sich zu stoßen
vermochte. Dabei
lockerte sich der Ver-
band vollends, und
ungehindert floß das
Blut nun aus der
geöffneten Wunde.

Glücklicherweise
schien dessen Anblick
den Tobenden zu be-
ruhigen. Er sank er-
schöpft in die Kissen
zurück und duldete
widerstandslos die Er-
neuerung des Ver-
bandes. Dann lag er
mit wachsbleichem
Antlitz regungslos da
wie ein Toter. Und
fast ebenso bleich wie
er war meine arme
Frau Mytala, als sie sich nun zitternd über ihn beugte, um angstvoll nach
seinem Atem zu forschen. Der ging so leise — beängstigend leise, daß sie
hoffnungslos zu mir aufsah und mit bebenden Lippen flüsterte: „Stirbt er?“
Ich beeiferte mich, sie damit zu beruhigen, daß die augenblickliche
große Schwäche nur die natürlicbe Folge des starken Blutverlustes sei
und nicht allzuviel zu bedeuten habe.

C. Krafft: Dorfstraße in der Schwalm in Hessen.

C. Krafft: Am Kanal in Erfurt.
 
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