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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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Copyright 1913 by Rich. Bong, Berlin.

Alle Rechte, auch das der Übersetzung in andere Sprachen, sind den Urhebern vorbehalten.

t)ie lelispiele in Inferlaken.

Von A. Nistler.

Es übt einen eigenen Reiz aus, in der Heimat Wilhelm
Tells durch die Enkel der in Schillers Drama verherr-
lichten Freiheitshelden dies unvergängliche Stück dar-
gestellt zu sehen, wie dies in Interlaken auf einer eigens
zu diesem Zwecke gebauten großen Naturbühne der Fall
ist. Schillers „Tell“ in der Schweiz im Freien aufzu-
führen, hat schon kurz nach der Vollendung des "Werkes
der ältere der Gebrüder Schlegel vorgeschlagen. Und
auch der Berner Schriftsteller Johann Georg Höpfner
legte schon im Jahre 1804, dem Vollendungsjahre des
„Tell“, der schweizerischen Bundesregierung nahe, das
dichterische Heiligtum in ihren Schutz zu nehmen und
die gesamte Eidgenossenschaft durch die Aufführung
des Stückes zu ehren. Dies ist dann auch geschehen,
und „Tell“ wurde zuerst in Luzern und dann in Bern
aufgeführt. Dann nahm das Schweizer Volk sich der
Sache selbst an, und aus der Enge der Bühnenkulissen
und aus dem Schein künstlichen Lichtes wurde der
helle lichte Tag und das offene freie Land. Wer ein solches
Tellspiel nicht nur vom Standpunkt des unbeteiligten
Zuschauers aus, sondern mit der Aufregung und der
Begeisterung der Mitwirkenden nacherleben will, für
den gibt es eine wundervolle Schilderung dieses Volks-
brauchs: Ein anderer großer Dichter, der die Schweiz
bis ins innerste Mark kannte und liebte, weil er dort
geboren war, Gottfried Keller, hat eine dieser Auf-
führungen von Schillers Drama durch das Schweizer
Volk selbst zum Gegenstand einer neuen wundervollen
Dichtung gemacht. In seinem Roman „Der grüne Hein-
rich“ schildert er die Aufführung des „Wilhelm Tell“,
bei der der grüne Heinrich, d. h. der junge Keller selbst,
die Rolle des Rudenz gibt, während das von ihm ge-
liebte Mädchen als Bertha von Bruneck mitwirkt. Wie
man sich wochenlang darauf vorbereitet, die Kostüme
selbst herstellt, wie man aus den Vorräten der Eltern
und Verwandten Stoffe und Kleider zusammensucht, aus
den Rathäusern und Arsenalen sich echte Waffen und
Rüstungen besorgt, wie man den Tag der Aufführung
mit fieberhafter Ungeduld erwartet und das Spiel erid-
lich für die Mitwirkenden noch mehr als für die Zu-
schauer ein wahres Volksfest wird, das alles hat Keller
mit den schönsten Farben in unvergänglicher Frische
dargestellt. Und es ist bezeichnend, daß der Dichter die
Liebe seines Helden zum Schweizer Boden und seinen
Zusammenhang mit der Geschichte und dem Volksleben
der Schweiz durch kein besseres Mittel darzustellen

wußte, als durch seine Aufführung von Schillers
„Wilhelm Tell“.

Der Weg von der freundlichen, in Gärten und
Anlagen eingebetteten Ortschaft Interlaken zur
Naturbühne führt durch freies, offenes Gelände
und bietet gar prächtige Ausblicke auf den Hoch-
gebirgskranz und auf die majestätische Pracht der
Jungfrau. Wie vermöchte man da einige müßige
Stunden in seinem Sommerleben in Interlaken
besser auszufüllen als durch den Besuch einer
Tellaufführung? Durch die tiefen Eindrücke der-
selben gewinnen wir die innigsten Beziehungen zu
dem Volke, bei dem wir einige glückliche Ferien-
wochen zu Gaste sind, und dem Schiller in
„W Tilhelm Tell“ ein unvergängliches literarisches
Denkmal gesetzt hat.

Das jahndenkmal in Troppau.

Schon zur Zeit von Deutschlands Schmach
waren Anzeichen unverkennbar, daß der neue
deutsche Nationalsinn im Anwachsen sei. Der
Nürnberger Buchhändler Palm verbreitete die
Broschüre „Deutschland in seiner tiefen Erniedri-
gung“, wofür er von Napoleon vor ein Kriegs-
gericht gestellt und erschossen wurde. 1807 hielt
Fichte in Berlin seine gewaltigen Reden an die
deutsche Nation, von den Horchern Napoleons als
harmloser Phantast verachtet. 1809 rief Erzherzog
Karl den österreichischen Truppen zu: „Unsere
Sache ist die Sache Deutschlands!“ Der preußische
Major Schill, der hessische Oberst Dörnberg, der
Herzog von Braunschweig-Öls unternahmen kühne
Züge gegen die Franzosen. Aber noch schien die
Zeit nicht gekommen. Es fehlte noch etwas an
der inneren Freiheit, an der großen Einigkeit,
der sich im günstigen Augenblick keiner entzog.
Gneisenau empfahl dem König von Preußen einen
großen Volkskrieg. Arndt wurde geächtet wegen
seines Buches „Geist der Zeit“. Heinrich von Kleist
schrieb „Die Hermannsschlacht“ und den „Prinzen
von Homburg“. Die Franzosen fingen an, die
Stimmen zu überhören, die sich überall erhoben.

Es waren ihrer zu viele. Und wie man Fichte
gewähren ließ, so konnte jetzt auch, 1811, Turn-
vater Jahn die Berliner Jugend auf dem Turnplatz
für die deutsche Befreiung erziehen. In Zeiten der
Unterdrückung wie in Zeiten des nationalen Sieges und
höchsten Fortschritts eines Volkes kommt es darauf an,
daß Geist und Körper gleich gesund sind.

Das hat der alte Jahn wie
keiner erkannt. Und die Ord-
nung und gemeinsame Übung
seiner Turner schuf eine
geistige Disziplin, ohne die es
später keine Aufopferung und
keine Landwehrregimenter,
keine Lützowsche Freischar
gegeben hätte. Die vier F im
Wappen der Turner haben bis
heute ihre Bedeutung behalten.
Die Million deutscher Turner,
die erst vor kurzem ihre Ver-
treter nach Leipzig gesandt
haben, sind eine Macht, eine
Bürgschaft für die Gesundheit
des deutschen Volkes. Und
schon Jahn hatte erkannt, daß
einem gutenTurner am besten
die Bedeutung des deutschen
Liedes eingeht. Mit der Übung
der Kehle im Marsch erhebt
sich der Geist zu den ge-
meinsamen Idealen eines star-
ken und verteidigungsmutigen
Volkes.

Unter allenFreiheitshelden
ist deshalb heute der Mann
mit dem deutschen Riesenbart
und den hellen, funkelnden
Augen, der Mann mit den seh-
nigen Muskeln und der hohen
Stirn vielleicht der populärste.
Der Gedanke einer deutschen
Einheit ist von keinem so deut-
lich wie von ihm gefaßt wor-
den, und die Turner von 1913
können sich mit Stolz sagen,
daß ihre stattliche Zahl eine
Erfüllung der Wünsche ist, die
in der Zeit der Unterdrückung
in deutschen Köpfen entstand,
die vor allem der Turnvater
Jahn wie ein neues Land be-
grüßt hat, das sich seinem
klaren, weitsichtigen Blick
zeigte. Und er war kein Mann
der Schmeichelei, sondern
wollte die Freiheit, nicht nur

Phot. A. Nistler.

Die Tellspiele in Interlaken: Tell und sein Sohn.

Phot. Carl Pietzner,

Das Jahndenkmal m Troppau. Troppau.

die Befreiung des deutschen Volkes. In den schwierigen
Zeitläuften der Gegenwart sich seiner erinnern, heißt
eine Aufgabe übernehmen, nicht nur sich des Erworbenen
freuen. Und wie sein Kopf etwas von einem Zeuskopf
hat, so soll das Göttliche seiner Ideen fortwirken in
unsern Turnern.

Das Denkmal, das ihm die Turnerschaft von Troppau
gesetzt hat, stammt von der Hand des Bildhauers Hans
Schwate und ist ein schönes Sinnbild dieser Idee. Der
Jüngling, auf das Haupt des Alten gestützt, in den
deutschen Wald hineinschauend, aus dern ihm das Echo
von tausend deutschen Heldentaten zurückkommt. Schön-
heit ist das Sinnbild auch geistigen Ebenmaßes, und die
Schönheit, die sich Jahn gedacht hat, zu erfüilen, muß
das Höchste der deutschen Turnerschaft bleiben. Wenn
allenthalben durch deutschen Wald dieses überschattete
Auge Jahns den deutschen Wanderer anblickt, wenn er
auf seine Führerschaft stolz ist, und jeder freie Mann
sollte das sein, dann kann es unserni Volke an nichts
fehlen, dann sind wir gegen jeden Feind gewappnet. M.

Französische Zeitungen in Berlin.

Der moderne Spreeathener ist mit deutschen Blättern
reich bedacht, gleichwohl sind ihm ausländische nicht
minder willkommen: sein stark auf Export und inter-
nationale Unternehmen zugespitztes Geschäft zwingt ihn,
die Presse des Auslandes scharf im Auge zu behalten
und ihre Nachrichten zu nutzen. Ebenso wird das Halten
möglichst vieler auswärtiger Blätter bedingt durch den
gewaltigen, von Jahr zu Jahr wachsenden Fremdenver-
kehr. Die großen Cafös, wahre Hochstätten des jour-
nalistischen Kosmopolitismus, bieten denn auch an her-
vorragenden Zeitungen und Zeitschriften der gesamten
Kulturwelt das menschenmöglichste. In dieser Beziehung
unterscheiden sie sich vorteilhaft von den Pariser Cafes,
wo mit wenigen Ausnahmen die Presse des Auslandes
und besonders Deutschlands nur äußerst spärlich ver-
treten ist.

Arn mächtigen Baume der Berliner Presse wachsen
sogar Blätter in fremden Sprachen. Es fehlt nicht an
spanischen, französischen, englischen und russischen
Korrespondenzen. Eine polnische Tageszeitung und ein
polnisches Wochenblatt suchen ihr Lesepublikum unter
den zur ortsanwesenden Bevölkerung zählenden fünf-
undzwanzig- bis dreißigtausend Polen. Was an franzö-
sischen Blättern gedruckt wird, dient, gleich der deutschen
Wochenzeitung in Paris, dem Fremdenverkehr und der
Mode oder gewissen wissenschaftlichen Fachinteressen,
vornehmlich juristischen und wirtschaftlichen, die eines
internationalen Leserkreises sicher sind.

Bemerkenswert ist, daß französische Zeitungen und
Zeitschriften schon im alten Berlin unter dem letzten

XXVII. 26. B.
 
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