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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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3. Heft
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Koehler, Otto: Bei Leoncavallo am Lago Maggiore
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0087

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MODERNE KUNST.

Leoncavallo

as weiße Flimmern der Luft spinnt einen feinen
Seidenmantel über den blauen italienischen
Himmel, der über dem Lago Maggiore steht.

Aus Oliven und Granaten glühen Häuser und Kirchen
im Goldhauch der Sonne, Rebenblätter lachen grün
im Grau der Feigen. Etwas abseits von dem aus-
getretenen Wege nach Süden liegt Brissago, der
letzte Ort auf schweizerischem Boden. Ilier im
Städtchen, wo fleißige Hände virginiaähnliche „Si-
gari“ drehen, lebt der Schöpfer der „Bajazzi“, der
gefeierte Maestro Ruggiero Leoncavallo.

„Myrthe“ heißt sein Tuskulum, das der Maestro
bescheiden eine Villa nennt. InWahrheit ist es ein
Palazzo, der im maurischen Stil mit seinen Marmor-
säulchen und schweifenden Fenstern sich im See
spiegelt. Erstaunt stand ich an der Halle des ver-
wunschenen Schlosses. Wie das Bett eines Riesen
dehnte sich der Rasen vor mir, und der Duft der
Marschallnielrosen schwängerte die Luft. Unten ruhte

die Fläche des
Lago, ermüdet von
den Strahlen der
Sonne. — Klösterliches
Schweigen lief um das
Haus. Da, einLaut. Leis’
erst, aus weiter Ferne verhallend,
stärker dann zitternd im Schwingen
derSonne. Die Glocken von „Madonna
del Sasso“ erbeben: „Ave Maria!“ —
Und mit dem letzten Ton verschwin-
det hinter den Bergen langsam er-
sterbend das Ges.tirn des Tages.

Mit einem Schlag auf die Schulter
erweckt mich der Meister. * Und ehe
noch „Woher? Wohin?“, die not-
wendigen Fragen der Alltäglichkeit,
beendet sind, steht die Signora neben
mir, sind wir umgeben vom Kreise
seiner Freunde. Fremd bin ich, Deut-
scher unter Italienern, und doch hei-
misch. Dann erzählen wir, erzählen
von dem letzten Abend in Berlin,
wirken Bilder der Stadt, die der
Meister liebt.

Träumerisch ist Leoncavallo und
still, aber in den Linien seines Ge-
sichts spielt liebreiche Freundlichkeit.
Anders die Signora. Bei ihr brodelt
das Blut langsam im Feuer des Südens, sie loht auf, und eifrig laufen ihre Lippen
unter begeisternden Worten zum Ruhm ihres Mannes. Eine Französin ist sie,
die mit ihm am Pariser Konservatorium lernte und alle Sorgen, alle Freuden teilte
an seiner Seite. Begründeten doch erst die „Bajazzi“ den Ruhm des Meisters.

Als kleiner Knabe weilte Leoncavallo während der Ferien in einem kalabri-
schen Städtchen. Eine Komödiantenschar, eine der vielen
wandernden Truppen, hatte dort ihre Zelte gebaut
Das Bild des Elends, der armselige Tand fahren-
den Yolkes das höhni-che Lachen der Dorf
bewohner, der erschütternde Aufschrei
eines unglücklichen Liebhabers, der
mit blutendem llerzen als „Bajazzo“
vor ungebildeten rohen Bauern
seine Späße machen mußte —
diese grausame Ironie des Le-
bens war der Kinderseele
unvergeßlich geblieben. Die
Erinnerung an dieses wahre
Erlebnis gab Leoncavallo den
Stoff zu seiner Meistertat. Sei-
nem vergötterten Vorbilde Richard
Wagner gleich schuf er Text und
Musik. Mit der Seele schrieb er, und
formte menschliches l.eid in wunder-
klingenden Tönen. Wie allabendlich, ging
auch heute Leoncavallo zum benachbarten Dorf.

Nordisch mutete es an, wenn er erzählte, daß ihn die

Stammtischbrüder“ zum „Tresette“, einem in Oberitalien
beliebten Kartenspiel, erwartetcn. ich betrachtete iu-
dessen das Haus. In seiner Seele, dem Arbeitszimmer
Leoncavallo-., steht ciu „Bechstein“, ein Geschenk
der Stadt Berlin. Die Augcn Kaiser Wilhelms des
Zweiten ruhen auf dem Raume; unter Glas und
Rahmen hängt an der Wand sein Bild mit eigen-
händiger Widmung. Bekannte Gesichter grüßen
von Spind undTafei, italienische Größen der Musik,
Größen des Geistes. Verdi, Mascagni, Perosi,
Franchetti, Sgambati, Puccini, Carducci, Gabriele
d’Annunzio, Graf Leopardi stehen dort. Fast alle
haben sie sich auf ihren Photographien mit Unter-
schriften verewigt.

Hier am Fuß der Alpen, wo Ghibelline und Guelfe
blutige Zwiesprache hielten, ragt im Garten eine selt-
same Gestalt in schimmernder Wehr. Roland, der
Riese, hält Wacht im welschen Süden. Aber fremd
schauen die Augen des Ritters, fremd, wie er dem Maestro
blieb, der sich vergeblich bemühte, in den ihm nicht
liegenden Stoff altbrandenburgisch-preußischer Geschichte ein-
zudringen, trotz rastlosen Schaffens.

Im Verlaufe des Abends setzte sich Leoncavallo an den Flügel.
Während unter seinen Händen die ersten Akkorde klangen und
draußen die Dämmerung herabsank, begann ein Sänger der Mai-
länder „Skala“ den Prolog aus den „Bajazzi“ zu singen, die Lieblingsworte des
gleich Leoncavallo in Neapel geborenen weltberühmten Sängers Caruso.

Spät war es, als ich mich auf den Heimweg begab. Hoch über mir in

seinem Heim.

Der Roland von Berlin in der Villa Leon-
cavallos am Lago Maggiore.

Phot. Otto Koehler, Berlin.

Leonc'avallos Villa in Brissago am Lago Maggiore.

Phot. Otto Koehler,
Berlin.

Weltenferne thronte mit versteinertem Sphinxlächeln die goldene Riesenscheibe
des Vollmonds, während große silberne Glühwürmehen gleich zitternden Fackeln
schwärmten und Nachtigallen mit ihrem sehnsüchtig klagenden schluchzenden
Flöten die Nacht erfüllten. Vom Lago herauf raunten die Wellen. Lieder sangen
sie und woben mir Heimatsklänge in die Töne des Südens, und im Ohr klangen
mir Leoncavallos Worte „Evviva Germania! Evviva Italia!“

Weit über die Grenzen seiner italienischen Heimat hinaus ist der Ruhm
des Meisters in alle Lande gedrungen. In der alten und neuen
Welt sind seine Kompositionen gleichermaßen beliebt.
Seinem musikalischen Genie verdankt die Welt
auch außer den Bajazzis manche Schöpfung.
Es sei hier besonders an die neueren
Werke „Mai'a“, „Malbruk“, „Camicia
Rossa“ und „Prometheus“ erinnert,
die in den letzten Jahren ent-
standen sind. Unter den jüngeren
Schöpfungen iiegt dem Meister
„Malbruk“ ganz besonders am
Herzen, er selbst nennt es
„eine komische, mittelalterliche
Phantasie“. Seine musikalische
Ausbildung erhielt Leoncavallo,
der jetzt im 54. Lebensjahre steht,
in Neapel bei Peri, Simonetti und
kuta. In der ersten Zeit seines Schaf-
fens blieb cr trotz mehrfacher \'ersuche
in der Bühncnkompii-ilion unbekannt, bis
dann im Jahre 1892 sein Einakter „Bajazzi“ ihm
roßen Erfolg brachte. Olto Koehler.

Bei Leoncavallo

am Lago Maggiore.

XXVII. 3. Z.-Z.

Panorama von Brissago am Lago Maggiore.
Phot. Otto Koehler, Berlin.
 
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