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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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26. Heft
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Pieper, Wilhelm: Die große Düsseldorfer Kunstausstellung 1913, 2: kritische Streifzüge
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Boerschel, Ernst: Leier und Schwert: die Dichtung der Befreiungskriege
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0797

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MODERNE KUNST.

339

Die Große Düsseldorfer Kunstausstellung 1913.

Kritische Streifzüge von Wilhelm Pieper, Düsseldorf.

II. [Nachdruck verboten.]

Bu den führenden Leuten im heimischen Lager zählen Hans Kohlschein
und Josef Kohlschein der Jüngere, ein Brüdergestirn am Düsseldorfer
Kunsthimmel. Ihre Kunst wandelt in soliden Bahnen, sie ist frei von
exzentrischen Seitensprüngen und doch modern. Das Stadtbild von Brügge von
Joseph Kohlschein überrascht durch eine neuartig reizvolle Perspektive, wie
seine Stilleben durch helle klare Farbentöne wirkungsvoil in Erscheinung treten.

Ailerdings neigt er in einzelnen allzu grellen, wenig schattierten Blumenstücken
zum Lager der Hypermodernen hin, die unter den Düsseldorfern Walter Ophey
repräsentiert, dessen frühere talentvolle Eigenart immer mehr in ufer- und
systemlose oder richtiger sinnlose Fragmente aufgeht. Hans Kohlschein bringt
ein großes, für das Kreishaus in Czarnikau bestimmtes Wandgemälde „Friedrich
der Große besichtigt neue Kulturarbeiten in den frisch erworbenen Landesteilen“
zur Ausstellung. Er hat dem dürftigen historischen Vorwurf die besten Seiten
abzugewinnen gesucht. Zeichnerich weist das Bild gefällige und teilweise her-
vorragende Momente auf, aber maßgebender für die Beurteilung dieses Künstlers
sind seine Gemälde „Fuhrwerk“ und „Im Garten“. Von gesunder Natürlichkeit
und künstlerischer Kraftfülle zeugen die Marinestücke Cornelius Wagners und
Erwin Günters und ferner die ganz ausgezeichnet auf die Leinwand gestellten
Motive aus Dordrecht und Amsterdam von Ileinrich Hermanns. Das Gemälde
„Märzschnee“ von Fritz von Wille, der grauverhangene und hier und dort sonnig
durchschossene Himmel über der winterklaren, mit blinkenden Schneereflexen
durchsetzten Berglandschaft, ist von hervorragender Qualität. Weniger kraftvoll
als A. Baurs „Fahnenjunker“, aber trotzdem von intimem Reiz ist das Bildnis
„Auf der Landstraße“ desselben Künstlers. Bestrickende sommerliche Poesie
liegt in den Landschaften von Wilhelm Fritzel. Von nicht minderer Qualität
sind die diversen Landschaften von Artur Wansleben und W. Hambüchen. Der
effektvoll abgetönte und doch leuchtende Farbenrausch der neuen Kunstepoche
spiegelt sich wieder in dem Interieur
von J. Müller-Maßdorf, und zumal in dem
auch zeichnerisch gut entworfenen Ge-
mälde „Der Liebesbrief“ von Alfred
Wiegmann. Als seltenes Interieurmotiv
überrascht das Bildnis „Mondzauber“ von
Hans Zimmermann durch stimmungs-
volle Schönheit. Rein figürlich sind die
„Mönche im Garten“ von Franz Kiederich
geschickt entworfen. Nicht mindere Ori-
ginalität bieten zwei kleine Bildnisse von
Hans Schüz, betitelt „Abendmahl“ und
„Passion“. Namentlich das erstere ver-
dient durch eine ganz abweichende Auf-
fassung unbedingt Beachtung. Etwas Ähn-
liches, in großem Maßstabe jedoch, ist
die Kreuzigungsgruppe von Alois Trieb.

Sieht man von der unwahrscheinlichen
Muskulatur der Gestalten dieses Passions-
motivs ab, so ist eine monumentale Größe
unverkennbar. Überhaupt tun sich in
der Wiedergabe biblischer Begebenheiten
ständig neue Perspektiven auf. „Josef
und seine Brüder“ von Fr. Schüz sind
ein beredtes Beispiel dafür. Unter den
Porträtisten der Düsseldorfer Schule sind
Walter Petersen und Fritz Reusing von
überragender Bedeutung. Unter ihrer
kunstgeübten Hand werden Eleganz und
Schönheit zum Triumph. Hauptsächlich
die Frauenbildnisse Walter Petersens sind
in der delikaten Zartheit des Kolorits
von überaus vornehmer Wirkung. Stär-
keren Nachdruck auf farbige Leucht-
kraft legt A. Rüdiger-Wintzen in seinen
Porträtstudien.

Unter den Dresdnern finden wir
Ilans Unger mit. einem weiblichen Bild-
nis in seiner streng persönlichen Manier.

Ferdinand Dorsch bringt ein Karnevals-
motiv in hüscher reflexreicher Beleuch-
tung, und mit reifen Proben seines Schaf-
fens ist ebenfalls Hans Nadler vertreten.

Äußerst vorteilhaft wirkt auch Gotthard
Kuehl mit einer reichhaltigen Kollektiv-
ausstellung. Sie zeigt den geborenen

Maler großer Architekturstücke, der seine Großzügigkeit bis in die komplizier-
testen Details hinein wahrt. Stuttgart und Weimar lassen keine abschließende
Beurteilung zu. Die „Post“ von Robert Haug wirkt in der Raumteilung unfertig,
wenngleich das Bild technisch lobenswert ist. Groß angelegt ist die „Marine“
von Carlos Grethe, die allerdings eine sorgfältige Durcharbeitung vermissen
läßt. „Simson und Delila“ von Amandus Faure weist gefällige dekorative
Momente auf. Unter den Weimarer Künstlern fällt Ludwig von Hofmann durch
seine Eigenart in Farbe und Behandlung auf. Aus den zur Schau gestellten
Werken von Fritz Mackensen und Otto Fröhlig spricht Gestaltungskraft und
koloristischer Geschmack. Eine reichere Auswahl bietet Kassel mit guten und
teilweise sehr guten Bildnissen von Josef von Brakel, Meyerkassel, H. W. Roh-
meyer, Rudolf Sigmund und Otto Höger. In der Königsberger Künstlergruppe
dominiert Ludwig Dettmann mit zwei großen Landschaften, die in der schlichten
Wahrheit der Beobachtung überzeugen. Vor allen Dingen ist sein „Abend im Park“
von inniger Tiefe und malerischer Schönheit. Auch Elsaß-Lothringen hat in
der lichtdurchfluteten „Wintersonne“ Georg Daubners und weiter in den Beiträgen
von A. Camissar, Blumer und Brischle Merksteine rüstigen Vorwärtsstrebens
aufgestellt.

Würdig vertreten ist diesmal die Münchener Künstlerschaft. Leo Putz gibt
in einer Kollektivausstellung einen Überblick über seine vornehme Akt- und
Porträtkunst. Auch Erich Erler ist mit einer größeren Sammlung seiner natur-
kräftigen Bildnismalerei anwesend. Eine derbe Volkstümlichkeit lebt in seinen
Gestalten, die frei von jeder akademischen Pose sind, und in der landschaftlichen
Staffage seiner Gemälde. Erstaunlich ist, auf welch einfache Mittel in Linie
und Farbe sich seine Kunst aufbaut. Unter den Münchener Aktmalern ist man
versucht, Theodor Bohnenberger die Prämie zuzuerkennen. Seine Studie „Blondine“
von beinahe idealer Formenweichheit steht wie eine Marmorplastik auf dunkel-

roter Folie. Frei von allem vielfach beliebten allzu menschlichen oder vielmehr
unmenschlichen Beigeschmack in der Aktkunst ist das Werk „Badende Mädchen“
von Georg Papperitz. Das Bild atmet einen wohltuenden sittlichen und künstle-
rischen Ernst, und steht weit über den wüsten Nuditäten, denen die entschieden
zu weitherzige Ausstellungsleitung Einlaß gewährte. Wahre Perlen meisterlicher
Porträtkunst hat Raphael Schuster-Woldau zur Schau gestellt. Bemerkenswert in
ihrer leuchtenden Intensität und feschen Zeichnung ist die „Tanzende Spanierin“
von Georg Schmutzler, ebenso wie die „Obsternte“ von Julius Exter gesättigte
Farbenharmönien aufweist. Nicht übersehen werden darf „Die Flucht nach
Ägypten“ von Fritz Kunz. Als Tiermaler verdient A. Lüdecke-Cleve vor-
nehmliche Anerkennung. Ausgezeichnete Arbeiten sind ferner „Bittgang in der
Bretagne“ von Hans Bartels und das „Englische Fischerdorf“ von Claus Bergen
und Oskar Graß’ Gemälde „Heranziehendes Gewitter“. „Waldbach“ und „März-
tag“ von Karl Küstner sind bei allem nuancenreichen Kolorit von herber, ein-
drucksvoller Schönheit. Erwähnt seien noch die hübschen Studienblätter bay-
rischer Jäger und Bauern von Hans Best, die manches Charakteristikum jener
Biederleute in Physiognomie und Habit mit prägnanter Treffsicherheit festhalten.

Österreich hat sich um die Beschickung der Ausstellung redlich bemüht.
Gut gezeichnet, nur sehr monoton und flach in der Farbe ist „In der Dorfkirche“
von Wladislaw Jarocki. Die Landschaften von Adolf Graf „Sonniger Winter-
tag“ und Otto Barth „Sonnenaufgang“ zeigen beachtenswerte Qualitäten. Indes
sind die Landschaften von Otto Nejedly aus Ceylon, so die allzu rundlich
stilisierten Palmenhaine bei aller künstlerischer Eigenart zu exotisch, um unserem
Geschmack mundgerecht zu sein.

Unter den Franzosen tritt Andrö Sureda als der treffliche Schilderer des
südlichen Milieus recht augenfällig in Erscheinung. Seine Kunst bevorzugt die
schimmerndsten Töne der Farbenskala, ganz dem blendenden Farbenprunk des
Südens angepaßt. In der Handhabung der Palette ist Henry Morisset sein Antipode.
Die Bildnisse dieses Künstlers „Die Ruhe“ und „Bei der Lektüre“ sind von be-
stechend duftiger Zartheit. Eine vollwertige Leistung darf man auch in dem dunstig
gestimmten „Fischereihafen in der Bretagne“ von Louis Desire Lucas erblicken.

England bietet auf der diesjährigen Kunstschau wenig Neues und zumal
Maßgebliches.

Einen großen Raum auf der großen Düsseldorfer Kunstausstellung bean-
sprucht die Plastik. Als Meister der modernen Monumentalplastik steht Franz
Metzner mit einer Sonderausstellung an führender Stelle. Marnix D'IIaveloose-
Brüssel hat ein vollzähliges Ballett lebensprühender Tänzerinnen modelliert.
Überaus prächtig in ihrer sympathischen Gestaltungskunst ist die Bronze „Es
zogen drei Burschen wohl über den Rhein“ von Clemerts Buscher. Ebenso kommen
Josef Faßnacht, Hugo Lederer, Job Hammerschmidt, vor allen Dingen auch Gregor
von Bochmann d. J. und August Bauer, Heinz Müller und Walter Scheufen höchst
vorteilhaft zur Geltung. Neben der geschmackvollen modernen Raumkunst ver-
dient die Abteilung für Architektur unbedingte Beachtung. Die deutsche Baukunst
ringt sich ständig mehr endgültigen klaren Zielen zu und nähert sich auffallend
der eigentlichen urdeutschen malerischen Giebelarchitektur, die himmelhoch über
allen architektonischen Experimenten steht, an denen unsere Zeit so reich ist.
Die hier ausgelegten Zeichnungen und Entwürfe sind Fackelzeichen für deutsche
Baukünstler, die eindringlich den Weg zur alten deutschen Schönheit weisen.

J^cier und J)d|n)erf.

Die Dichtung der Befreiungskriege. Von Ernst Boerschel.

[Nachdruck verboten.]

l£Jefreiungskämpfe der Völker sind in der neueren Geschichte von Jahrhundert
zu Jahrhundert gewesen. Nichts hält uns ab, die Freiheitskämpfe der Schweizer
oder die Befreiung der Niederländer vom spanischen Joche weniger zu bewundern

als die preußische Volkserhebung vom Jahre 1813. Aber es mischt sich in die Be-
freiungskriege des preußischen Volkes vor hundert Jahren noch ein anderes Element
als nur das Aufbegehren gegen den Druck oder das gebietende Muß der Selbsterhaltung.

Es ist die sittliche Kraft, die nicht bloß die
Muskeln, sondern auch die Herzen erhob,
die das Persönliche als kleinlich mißachtete
und den Begriffen Vaterland und Freiheit
eine ethische Tiefe gab, daß sie wie ein
Schwur allen in der Seele brannten. Diese
heilige inbrunst wirkte darum so unerhört
schöpferisch. Es hat zu keiner Zeit der Ge-
schichte eines Volkes eine so unabsehbare
Reihe großartiger, im Tatensturm genial
schaffender Persönlichkeiten gegeben wie in
denjahren des Befreiungsringens in Preußen.

Wir haben 1870 doch auch in der
Erschütterung altgeschichtlicher Ereignisse
gestanden, aber es schien, als ob die be-
deutenden Worte versiegt wären, die jedem
Deutschen das Bewußtsein von der Macht
der Stunde auf die Lippen legten. 1813
dagegen floß der Mund über, weß’ das
Herz voll war. Es lag daran, daß 1870 die
Güter materieller waren, die man erringen
wollte; 1813 aber wollte man seinen Seelen-
frieden wiederhaben, wollte man sich frei-
waschen von Schmach und Reue, wollte
man sein reines Gewissen wiederfinden und
seine Ehre. Das war es, was die Glut ent-
fesselte. „Nichtswürdig ist die Nation, die
nicht ihr alles freudig setzt an ihre Ehre."
Schon hatte Schiller in der „Jungfrau von
Orleans" den Glauben an die eigene Kraft
gegen verblendete Schwäche ausgespielt,
schon hatte er in der „Glocke" das ideale
Sittenbild des deutschen Bürgerlebens dem
verwilderten französischen gegenübergestellt,
schon hatte er im „Tell" die erste Fanfare
gegen die Zwingherrschaft erhoben. Was
er in eherner Kunstform zurückbehielt, das
entlud Heinrich von Kleist, der märkische
junker, dem eine leuchtendere historische
Tradition die Sinne bewegte als dem Würt-
temberger Schiller. Von ihm empfing die
Dichtung ilire bewußten nationalen Töne,
und es ist das Schöne bei diesem edelsten
Ausdruck der preußischen Volksbewegung,
daß die Poesie jener Jahre nicht zum barba-
rischen Schlacntgesang herabgewuchert ist,

Hans Kohlschein: Friedrich der Große besichtigt neue Kulturarbeiten in den frisch erworbenen Landesstrichen. Wandgemälde des Kreishauses Czarnikau, Posen. Große Kunstausstellung Düsseldorf 1913.
 
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