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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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26. Heft
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Im Bois de Boulogne
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0796

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MODERNE KUNST.

337

C. W. Wyllie: Heimkehr der siegreichen Flotte.

Aber zwischen 11 und 1 IJhr, das ist die Zeit, da der Bois in seiner ganzen
Schönheit prangt, und köstlich ist es, während dieser Stunden dort zu lust-
wandeln. Man könnte fast behaupten, daß der Bois allmorgendlich dann eine
bestimmte Klasse von Menschen zu seinem „Föte galante“ lädt, das man schöner,
zwangloser und reizvoller kaum denken kann.

Natürlich hat der Bois auch seine Zeichner, seine Maler, seine Dichter, die
ihm alle das Hohelied singen. Verlaine war unter den zeitgenössischen Dichtern
vielleicht der geistreichste und deshalb der berufenste, den Bois zu besingen.
Sein zarter Ton hätte die Stimmung wohl am besten wiedergeben können, und
manchmal will es scheinen, als träfe man während der „Besuchsstunden“ an
den Biegungen der Alleen Menschen mit versonnenen Gesichtern, deren Lippen
Verlainesche Verse rezitieren . . .

Der Bois de Bologne dehnt sich vor den Toren der Stadt als eine weite
schattige Promenade, die man liebt, weil sie ihre kleinen Oasen hat, wie etwa
das Meer. Am Meeresstrande sind es die mondänen Badeorte, in denen sich
die Gesellschaft trifft, hier im Bois nennen sich diese Sammelplätze Maillot,
Madrid, Bagatelle, Dauphine, la Muette u. a. Von ihren Lichtungen aus kann
man die durch die Alleen wandelnden Kavaliere glänzend beobachten. Dabei
schwatzt es sich so gut über dies und das, — alles unbedeutende Dinge. Aber die
Art, in der sich solche unbedeutenden Dinge in dieser freundlichen Umgebung sagen
lassen, besonders die souveräne Kunst des Auftretens, die den Pariser Frauen
dabei eigentümlich ist, lassen den Aufenthalt hier doppelt angenehm erscheinen.

Ein Frankfurter Volksdichter schrieb einmal: „Etwas ist es, was mir nicht in den
Kopf will, nämlich, daß man nicht aus Frankfurt stammen kann“. Es ist erstaun-
lich, daß bisher kein französischer Schriftsteller diesen Ausspruch variierte, indem
er etwa sagte: Eines ist mir unverständlich, nämlich, daß die Pariserin gefallen
konnte, ehe sie so gekleidet war, wie man sie heute sieht. Gewiß hat niemals
eine Mode in geistvollerer Art verstanden, die Verführungskünste der Frauen-
grazie so nachhaltig zu unterstützen und zu erhöhen wie die jetzige. Das Kleid
ist just so kurz, daß es dem Fuß, der in einer glänzenden Lederhülle steckt,
noch hinreichend Spielraum zu freier Bewegung gönnt. Die ganze Figur ist
von lieblichem Charme übergossen. Liliengleich gehen die schlanken Gestalten
einher. Die Linie der geschmeidigen Körper mit ihren grazilen Bewegungen
ergötzt selbst das Auge des ärgsten Frauenverächters. Und dann die Hüte:
Da herrscht allerdings jetzt eine gewisse geniale Unordnung, eine Art Anarchie,
aber diese Anarchie hat ihre güfistigen Wirkungen gezeitigt, weil sie einer jeden
der lieblichen Gestalten freie Wahl läßt, ihr Gesicht mit einem Hute zu um-
rahmen, der ihr trefflich steht. Man schaut einfach in den Spiegel und wählt
nach eigenem Geschmack, was man für richtig hält: Toque oder Bonett, Capeline

oder Turban, Florentiner oder Wippe; ganz gleich, sie aile sind charmant, wenn
sie ihrer Trägerin gut zu Gesicht stehen. Und dann der Gang dieser Schönen:
Bei der heutigen Generation, die von frühester Jugend an zum Sport erzogen
wird, hat das junge Mädchen eine andere Grazie als früher. Aufrecht geht sie
dahin, in ihrem Schritt ist etwas Leichtes, etwas Schwebendes und doch etwas
Bestimmtes zugleich. Man kann sich dem Eindruck nicht verschließen, daß diese
Persönchen wissen, was sie wollen.

Neben all diesen Damen der besten Gesellschaft, die durchweg up to date
gekleidet sind, hat der Bois aber auch noch eine ganze Anzahl anderer liebens-
würdiger Erscheinungen aufzuweisen; so den Rentier, der procul negotiis hier
seine Mußestunden verbringt. Dann die Miß, das Kinderfräulein aus besserem
Hause, die Erzieherin des Nachwuchses der oberen Zehntausend, den Hagestolz,
den Sportsmann, den Offizier auf seinem Dienstpferd, den waschechten Flaneur,
den Knaben aus reichem Hause auf dem Rücken seines Ponnys, die reife
Amazone und viele andere originelle Tjrpen.

Selbstverständlich sieht man auch in dieser exquisiten Besuchszeit Damen
aus den mittleren und unteren Klassen, deren Wesen etwas außerordentlich
Charakteristisches hat. Ihre Garderobe stammt natürlich nicht aus den erst-
klassigen Konfektionshäusern. In ihrem Unterbewußtsein schlummert wohl die
Erkenntnis, daß sie in ihrer Umgebung etwas deplaciert erscheinen. Mit um so
kritischeren Blicken mustern sie deshalb die vorübergehenden Damen der haute
aristocratie et societd. Sie scheinen genau zu wissen, aus welchen Häusern die
teuren Roben stammen, sie kennen die Erzeugnisse der erstklassigsten Mo-
distinnen sicherlich gut. Ihre Kritik ist scharf, und die Diskussion über das Ge-
schaute zuweilen stürmisch. Aber auch sie sind an ihrem Platze. Wo immer
die Kunst erscheint, darf die Kritik nicht fehlen.

Nicht vergessen dürfen wir endlich auch der vierbeinigen Spaziergänger,
die ihren Herrinnen treuliche Adjutantendienste tun. Meist sind es Zwerghunde,
diese Lieblinge der Schönen. Hin und wieder sieht man aber auch ein stolzes
Windspiel, einen Bernhardiner oder eine rasseechte Dogge. Man sieht ihnen
auf den ersten Blick an, daß sie aus gutem Hause stammen, wohlgepflegt und
gehütet, mit Blumen und Bändern geschmückt, trippeln sie einher, diese Hunde-
aristokraten. Und zuweilen geht es ihnen in der Tat besser als manchen Menschen.
Daß auch sie die Gunst ihrer Herrinnen einbüßen können, beweist nur, wie
mächtig die launische Mode ist, die sogar die Herzen der Schönen gegenüber
ihren vierbeinigen Lieblingen zu verhärten vermag.

So ist der Bois dem echten Pariser ein unentbehrlicher Tummelplatz ge-
worden, ohne den er sich die herrliche Stadt nicht zu denken vermag; es würde
ihr etwas fehlen, das durch nichts anderes zu ersetzen wäre.

XXVII. 85.
 
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