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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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11. Heft
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Lienhard, Friedrich: Schwert und Bibel, [1]: Novelle
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0321

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Schwerf und Bibel.

Novelle von Friedrich Lienhard.

r straffe, kräftige Baron trat mit dcr ganzen dröhnenden Wucht
seines schadhaften, durch Holzsohle verdickten Fußes aus dem
Schlafzimmer in den Saion.

Er war, wie gewöhnlich, in Stiefeln und Lodenanzug. Das rosige
Gesicht mit dem weißgrauen Schnurrbart und kurzem Haupthaar drängte
sich in gesunder Fülle aus einem frischen Kragen. Vor kurzem war er
von der Frühjagd nach Hause gekommen, hatte sich gewaschen und um-
gezogen; aber es fehlte an seiner halboffenen Weste ein Knopf. Und
das genügte, mit seinem Diener ein Morgengefecht ins Werk zu setzen.

Draußen blühten Park und Garten. Der Salontisch war mit Gaben
besetzt uncl in einen Geburtstagstisch verwandelt. Aber der Alte mit
dem kühnen Löwenhaupt achtete nicht auf diese Zierlichkeiten. Er trat
an das offene Fenster und brüllte mit der Kraft des Donners: „Kümmel-
töter!“

Dann rasselte er wieder in das Schlafzimmer zurück, fauchend, schel-
tend, eine abfahrende Batterie.

Verwundert lauschte der friedliche Morgen. Die Schmetterlinge
steliten die Flügel; die Sonnenstrahlen flogen im Frühwind unter den
Bäumen hin und her, und naschende Bienen hoben die Rüssel und
lauschten. Es war wieder die alte, summende, feierlich lebendige Stille.

Abermals donnerte Baron von Tolling herein und rief mit vorgehal-
tenen Händen noch gewaltiger, ja trompetenartig zum Fcnster hinaus:
„Kümmeltöter! Johann Anton Kümmeltöter! Windbeutel! Nachtjacke! Wo
steckt denn das schwerhörigste Faultier von ganz Europa?!“

Jetzt war gemächlich durch die Salontür ein rasiertes Lakaiengesicht
aufgetaucht, lässig, ja schläfrig, das aber um die Mundwinkel herum einer
gewissen unverschämten Pfiffigkeit nicht entbehrte. In der Nähe des
freiherrlichen Majors a. D. reckte sich der Bursche unvermittelt in stramme
militärische Haltung auf und schrie mit nicht minder beachtenswerter
Lungenkraft: „Zu Befehl, Herr Major!“

Der ehemalige Batteriechef liebte eine vernehmliche, um nicht zu
sagen donnernde Sprache. Sein eignes Sprechen war auf Regiments-
musik mit großer Trommel und Pauke eingestellt. Doch fuhr er jetzt
herum und schnaubte seinen Getreuen an: „Brüll’ nicht wie ein Plaubitz-
bataillon! Dich sollt’ ich nicht Kümmeltöter nennen, sondern Menschen-
töter! Du bringst deinen alten Major um! Du jagst mir gebrechlichem
Mann eine galoppierende Schwindsucht an den Hals!“

„Befehlen Herr Baron den Arzt?“ erlaubte sich der Humorist sehr
ernsthaft, mit nur wenig zwinkernden Augen seinen Chef zu fragen.

„Schweig, dummes Luder!“ versetzte der ärgerliche Alte. „Da näh’
mir den Knopf an!“

Während Kümmelröder sein Werk vollzog, setzte der Baron seine
Zurechtweisung fort.

„Ich kann doch dem neuen Pfarrer nicht als Schubbejack und Besen-
binder vor die Augen treten! Wenn der Mann ein Jägerauge hat, was ja
bisweilen auch bei Theologen vorkommen kann, so entdeckt er sofort,
daß mir just über dem Magen ein Knopf fehlt. Daraus schließt ein ge-
übter Seelsorger, daß ich zuviel esse, oder in zu großen Mengen deutsches
Bier vertilge, Verstanden?! Und außerdem muß dieser Rock gebürstet
werden. Wenn mir der Pastor freundschaftlich auf die Schulter klopft,
fliegt ihm Staub in die Nase, und er muß niesen. Kennst du überbaupt
die Bedeutung dieses Tages, Kerl? Riechst du infamer Kümmelmörder
nicht schon wiecler in aller Frühe nach Schnaps?“

„Jawohl, Flerr Major“, bestätigte der Diener.

„Schockschwerenot!“ rief der ßaron. „Das brüllt er so fidel, als
wäre Säuferei der heilsamste Sport von der Welt! Hör’ mal, Anton,
gib du auf deine rosarote Nase acht! Ich hab’ einen Säufer gekannt ■—
wenn der nachts durch unser Dorf ging, ha, was meinst du wohl? Da
glühte seine Nase wie eine elektrische Glühbirne! Der Mann war Nacht-
wächter und sorgte für die Beleuchtung, indem er ganz einfach durchs
Dorf ging.“

„Ausgezeichnet, Herr Major!“ lächelte Kümmelröder.

'•"* CopyrigHt 1913 by Rich. Bong.

„Das will ich meinen,“ schloß der Alte, knöpfte seine Joppe zu und
sah sich um. „Was ist denn das für ein lächerlicher Tisch?“

Verwundert ergriff er seinen Krückstock, den er fast immer in der
Hand hatte, und schritt in sehr hörbarem Dreivierteltakt um den Ge-
burtstagstisch herum. Er hatte die Unart angenommen, mit dem hinken-
den Fuß ganz besonders schwer und kraftvoll aufzutreten, da ihm der
dröhnende Ton Freude machte. Stock, donnernder rechter und ge-
dämpfter linker Fuß bildeten dabei einen eigentümlichen Dreildang. „Die
Batterie kommt!“ hieß es dann bei der Dienerschar, und man stob aus-
einander oder nahm sich höllisch zusammen. Denn die Batterie war
meist geladen.

Während der Schloßherr verdutzt vor den Flaschen, Blumen, Briefen
und andern Liebenswürdigkeiten des geschmückten Tisches stand, war
seine Tochter Juliane leise ins Zimmer getreten. Die hohe junge Dame
hatte vielleicht dreißig Sommcr erlebt; sie hielt sich kerzengerade; doch
etwas Hausmütterliches lag über ihrem gehaltenen, schlichten und gütigen
Wesen. Sie legte ihrem Vater plötzlich von hinten her die schlanken
Hände über die Augen und neigte ihr längliches Gesicht mit den ange-
scheitelten Haarcn und dem schweren Haarschopf, um ihn auf die Wange
zu küssen.

„Kümmel — was“ — —

„Guten Morgen, Papa!“ lachte Julianens tiefe Altstimme. „Glaubst
wohl gar, dein Kümmelröder würde zärtlich?“

„Dem Subjekt traue derKuckuck!“ knurrte der Alte. „Mach’, daß du
rauskommst, Scnnapsgorilla!“ fulir er den grinsenden Lakaien an, der
sich würdig entfernte.

„Also, herzlichen Glückwunsch, lieber alter Kamerad Papa!“ rief Ju-
liane. „Schämst du dich nicht, grauer Kriegstnann, an deinem Geburtstag
ein so brummiges Gesicht aufzusetzen?“

„Wahrhaftig, Kind, ich hatte die Sache total vergessen! Aber famos!
So haben wir wieder ’mal einen Vorwand, ein Fest zu feiern auf diesem
sauertöpfischen Planeten! Offen gestanden, Juliane, ich hab’ heute so
’ne Art Examenfieber in den Knochen — ganz verfluchte Sache! Ich
erwarte unsern neuen Pfarrer, und dem trau’ ich ganz uncl gar nicht,
denn der Mann soll ja ein höchst peinlicher Abstinenzler sein, ein \ ege-
tarier, ein Bodenreformer — und weiß der Teufel, was noch alles! iVm
Ende will dieser Heilsarmeekapitän mit mir einfachem Landedelmann
und ehemaligem Soldaten ein gebildetes Gespräch anfangen — hol’s der
Geier, und das ist etwas, was ich nun ’mal nicht vertrage!“

Der Alte stieß derb den Stock auf und marschierte unruhig durch das
Zimmer. Aber er kehrte sofort zu Juliane zurück und schloß sie ans Herz.

„Na also, Mädel, gib mir ’n Kuß, alte Walküre! Kopf hoch! Ich
hätte dir wahrlich ein besseres Los gewünscht, als hier in meinern Biwak
Wirtschafterin zu sein. Aber seit der verdammten Geschichte mit dem
Windhund, dem Leutnant — na ja, ich sage ja nichts! Verlobe dich
künftig, mit wem du Lust hast, nur mich laß aus dem Spiel!“

„Natürlich!“ erwiderte Juliane, und ein Schatten von Wehmut oder
Bitterkeit flog durch ihre klangvolle Stimme. „Nur dich nicht be-
helligen, mein guter alter Egoist, was? Mit Herzweh oder dergleichen
Komplikationen!“

Die Worte sollten scherzend klingen. Aber es lag mehr dahinter.
Juliane hatte einst eine heftige Liebe niedergekämpft, weil der Geliebte
ihrer unwürdig war. Keine Mutter hatte ihr zur Seite gestanden; sie
hatte diesen Herzenskampf allein durchgefochten. Auch der Vater hatte
versagt; statt klärenden Rates hatte er nur ärgerliches Scbelten im
Vorrat. Wo er das Leben nicht unmittelbar anpacken konnte, wo man
erst noch des Umweges über Theorie oder Nachdenken bedurlte: da ging
der temperamentvolle Soldat nicht mit.

Er legte jetzt den Arm utn seiner Tochter Schulter, zwirbelte den
Schnurrbart und betrachtete den Geburtstagstisch mit einiger Verlegenheit.

„Na ja! Lassen wir die alten Geschichten! In Flerzensdingen bih ich
ein plumper Dachs, das weißt du. Mit Problemen laßt micli in Ruhe!
 
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