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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Schmitz, Eugen: Richard Wagner und Bayreuth
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Rasmussen, Erich W.: Richard Wagners Wohnstätten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0580

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MODERNE KUNST.'

fortbestehen bleibt, ist aus
künstlerischen Gründen drin-
gend zu wünschen. Denn
kann man auch ruhig zu-
geben, daß Bayreuth die
Hauptseite seiner Mission:
Wagners Kunst ein Rückhalt
zu sein, bis die Welt an
seinem Vorbild geschult zu
deren selbständiger Pflege
heranreifte, erfüllt hat, so ist
es damit doch keineswegs
„überflüssig“ geworden. Es
hat vielmehr auch weiterhin
noch die Aufgabe, in Wah-
rung der errungenen Ideale
voranzugehen. Das istkeines-

wegs unnötig. Denn wie glänzend äußerlich das Bild auch sein mag, das ein Blick
auf die Entwicklung von Wagners Lebenswerk in den letzten Dezennien und auf den
gegenwärtigen Stand der Wagnerpflege bietet: gar zu optimistisch darf man die
Sachlage trotzdem nicht auffassen. Keineswegs sind bereits alle Seiten von Wagners
Erscheinung voll zur Wirkung gekommen, und unter den neueren Festspiel-
veranstaltungen gibt es neben zweifellos sehr idealen auch solche, bei denen
das geschäftliche Interesse ein größeres Gewicht behauptet als sich mit dem
Wesen der Sache verträgt. Ja, Unternehmungen wie etwa die „Operetten-
festspiele“ des Münchener Künstlertheaters zeigen den Bayreuther Gedanken
sogar auf Abwegen, die wie eine groteske Parodie anmuten. Gerade im Hinblick
auf derartige Entgleisungen erscheint es höchst notwendig, daß Bayreuth auch
fürderhin als vorbildlicher Hort reinster Kunstpflege in Wagnerschem Sinne be-
stehen bleibe. Für diese seine nunmehrige Mission ist der Verlust des Parsifal-
monopols eher von Vorteil als von Nachteil; denn er wirkt erzieherisch insofern,
als Bayreuth nunmehr, wo es vor andern Festspielbühnen gar nichts mehr
voraus hat, urn so mehr bestrebt sein wird, durch innere Vertiefung in der Auf-
fassung seiner Aufgabe seine Führerstellung nach wie vor zu behaupten.

j)id)ard Waqners WoljnsfäMen.

Wagners Geburtshaus.
Phot. Alice Matzdorff, Berlin.

c4|[n demCharakterRichard
Wagners lag von frü-
hester Jugend an etwas Re-
volutionäres. Eigenwillig
lehnt er sich auf gegen jeden
Zwang, der von außen an
ihn herantritt; um eine rieue
IJpoche der Kunst heraufzuführen, mußte er die alten Tempel zerbrechen. Immer
und überall gärt es in ihm, und die Unstetigkeit seines Wesens, die sich meist mit
gewältiger Leidenschaft paart, treibt ihn beständig von Ort zu Ort. Not und Sorge
sind seine Begleiter. Nur der Glaube an seine Mission vermag ihn wieder und
wieder zu erheben, nur die Hoffnung und das „Vertrauen auf das deutsche Volk“
bewahren ihn vor Verzweiflung. Melir als fünfundzwanzig Jahre trieb er sich wie
ein Heimatloser in der Welt umher. Bei ali dieser Rastlosigkeit. verzehrte ihn
eine tiefe Sehnsucht nach Ruhe und Frieden, die dem Suchenden erst an der
Schwelle des Greisenalters zuteil werden sollte.

Richard Wagner wurde am 22. Mai 1813 zu Leipzig geboren. Seine Wiege
stand im Hause „Zum roten und weißen Löwen“ am Brühl. Bald nach seiner
Geburt starb der Vater. In trostloser Lage blieb die Mutter mit acht unver-
sorgten Kindern zurück. Doch der Hofschauspieler Ludwig Geyer, ein treuer
Freund der Familie, nahm sich der Witwe an und führte sie später als seine
Gattin heim. Der Ilausstand am Brühl wurde aufgelöst und nach Dresden ver-
legt, wo Geyer am Königlichen Hoftheater eine Stellung innehatte. Hier, in
der Moritzstraße und am Jüdenhof verlebte Richard goldene Jugendtage. Mit
inniger Liebe hing er an seinem Stiefvater, der ihn auch seinerseits in sein
Herz geschlossen hatte und gern „etwas aus ihm machen wollte“. Der kleine
Richard war ein aufgeweckter, munterer und wilder Bursche, der sich schon
damals mit fast dämonischer Gewalt zu der bunten Welt des Theaters, in dessen
Umgebung er aufwuchs, hingezogen fühlte. Wahrscheinlich um dem Knaben
diesem Einflusse zu entziehen, schickte ihn Geyer aufs Land zum Pfarrer von
Possendorf. Als er nach Jahresfrist heimkehrte, fand er den treuen Vater auf
dem Sterbebett; in rastloser Arbeit und Aufopferung für seine
Familie hatte er seine Kräfte frühzeitig erschöpft
Zum zweiten Male war Richard des Führers
beraubt. Vorübergehend kam er nun zu
einem Onkel nach Eisleben. Der alten,
an Erinnerungen reichen Lutherstadt
hat er später noch oft gedacht.

Frühzeitig bezog dann Wagner
als „Student der Musik“ die
Universität, da ihn das freie
Leben der Musensöhne gar
mächtig anzog. Nach man-
chen tollen Irrfahrten findet
er endlich in dem hervor-
ragenden Musikpädagogen
Theodor Weinling den Mann,
der den ungestümen Drang
des Jünglings in richtigeBahnen
zu lenken weiß. Rasch entfaltet
sich sein kompositorisches Talent
und schon 1833 erlangt er, wenn
auch nur vorübergehend, eine An
stellung als Chordirigent in Würzburg.

Von hier führte ihn sein Weg nach Magdeburg,
wo er die Schauspielerin Minna Planer kennen
lernte, mit der er am 24. November 1836 in Königsberg

[ Nacl'druck verboten.J

den Bund der Ehe schloß, der ihm eine dauernde Quelle harter Prüfungen
werden sollte. Bald nachher erhielt er die heißersehnte Kapellmeisterstelle,
aber schon kurze Zeit später waren die Geldmittel. seines Direktors erschöpft.
Jetzt wandte er sich nach Riga und fand am dortigen Stadttheater einen
neuen Wirkungskreis, der ihm zunächst ein bescheidenes Einkommen sicherte.

Das seichte Ko-
mödiantentum
sagte ihm jedoch
niclit zu,und auch
in Riga war er
innerlich sehr
zerrissen. Den-
noch hatte er
Muße, den „Rien-
zi“ in Angriff zu
nehmen. Augen-
blicke der Er-
liolung fand er
in seinem Iieim,
und er liebte es,

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Relief am Palazzo Vendramin.
Phot. Leipziger Pressebureau, Leipzig.

wenn ihm Minna
mit ihrer Schwe-
ster traute hei-
matliche Weisen
sang. Dann wurde
es ihm warm
ums Herz, so
daß er wohl eine
Zeitlang Sorgen
und Mühen des
schweren Berufs
vergaß. Widrige
Verhältnissealler
Art brachten ihn
schließiich um

seine Stellung. Dazu wurde er von Gläubigern hart bedrängt, und so mußte
er fast fluchtartig die alte Hansastadt verlassen. Aber seine Energie war
nicht gebrochen. Längst schon war Paris das Ziel seiner Sehnsucht, und
mit neuer Zuversicht tritt er die Reise dorthin an. Als er in der Frühe
des 16. September 1839 mit der Postkutsche die Stadt seiner Erwartungen
erreichte, beschlich ihn angesichts der engen und düsteren Straßen ein leises
Gefühl der Enttäuschung. In der Rue de la Tonnellerie, einer kleinen, stickigen,
von Käse- und Gemüsegeruch erfüllten Straße in der Nähe der Markthallen,
bezog er im Geburtshause Molieres ein billiges Stübchen, das er im nächsten
Frühjahre mit einer bequemeren Wohnung vertauschte. Seine geringen Mittel
gingen bald auf die Neige, und Minna mußte die entbehrlichen Zimmer ver-
mieten. Die großen Erwartungen, die er an Paris geknüpft
hatte, sollten sich nicht erfüllen. Mit jedem Tage
wurde seine Lage trostloser, und selbst eine
längere ITaft im Schuldturm blieb ihm nicht
erspart. So wurde die Vollendung des
„Rienzi“ verzögert, und erst am 19 No-
vember 1840 konnte er dte Kom-
position zum Abschluß bringen.
Nun kamen wieder böse und
düstere Tage. Das franzö-
sische Publikum verhielt sich
seinen Schöpfungen gegen-
über ablehnend, und alle
seine Bemühungen, bei der
Großen Oper anzukommen,
waren vergeblich. Mitten in
den Tagen des Elends und
der Verlassenheit wurde ihm
die trostreiche Nachricht, daß
die Dresdener Hofoper seinen
„Rienzi“ angenommen habe, und
ein neues Morgenrot der Hoffnung
stieg am Horizonte seines Lebens auf.
Damals war er gerade mit der Komposition
des „FliegendenHolländer“ beschäftigt. Nun drängte
es ilm mit allerMacht hinaus aus den Mauern der Stadt,

Der Palazzo Vendramin in Venedig. Richard Wagners Sterbehaus.
Phot. Leipziger Pressebureau, Leipzig.
 
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