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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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7. Heft
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Anwand, Oskar: Der Triumph der Lüfte: Weihnachtsnovelle aus dem Künstlerleben
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Buss, Georg: Ochs und Esel bei der Krippe
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0192

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MODERNE KUNST.

der maßgebenden Kreise hatte er mit
einem Schlage gewonnen, sondern
auch zahlreiche kleinere Arbeiten
verkauft. Und jetzt in diesem Augen-
blicke war ihm durch den Kunst-
händler die Mitteilung geworden, der
Staat beabsichtige den „Triumph der
Lüfte“ zu erwerben. Man werde an
Rometti mit dem Auftrage herantre-
ten, seine Gruppe in Marmor auszu-
füh ren.

Ihm schwindelte, sich am Ziele
seiner Wünsche zu sehen. Diese
Nachricht durfte er Lucie erst am
Hochzeitstage, den sie auf den zwei-
ten Weihnachtsfeiertag festgesetzt
hatten, zum Geschenk machen. Seine
Freude wäre noch größer gewesen,
wenn er auch die Mutter zu diesem
Fest hätte in Paris sehen können. Er
fürchtete fast, daß sie lcrank sein
müßte, da sie ihm ausweichend ge-
antwortet hatte. Oder die alte Frau
scheute sich vor der Großstadt.

AlsRometti am Weihnachtsabend
auf Lucies Ruf sein Atelier betrat,
bot sich ihm ein völlig ungewohnter.

Anblick. Ein grünes Tannenbäum-
chen, dessen Zvveige brennende Ker-
zen und goldenen Flimmer trugen,
stand auf dem Tisch. Die Lichter
umsäumte ein heller Schein, und die
Zweigeknistertenleise. Danebenstand
Lucie und lächelte ihm entgegen.

„Ei!“ rief er erfreut und ver-
wundert.

„Ist es nicht schön?“ meinte
Lucie glücklich, „drüben die deut-
schen Künstler sagten, daß sie einen
Christbaum zu Weihnachten schmück-
ten und sich gegenseitig beschenkten.

Da hab’ ich es ihnen nachgemacht.“

Er scbaute abwechselnd in die
Kerzen und in I.ucies Augen, die
den Lichterschein zurückgaben.

„Ich habe auch ein Geschenk für
dich“, lächelte sie wieder geheim-
niswoll und deutcte seitlich von dem Tannenbaume. Dort saß die Gestalt
einer alten Frau mit energischen Zügen und dunkelleuchtenden Augen,
die vor Glück lachten . . .

„Mutter“, rief Rometti in wilder Freude und stürzte sich vor der
alten Frau nieder und küßte ihre Hände und das liebe Gesicht, lachend
und weinend, und legte seinen Ivopf in ihren Schoß, daß ihn ihre Hände,
die leise zitterten, streichelten.

Als er wieder aufstand, rief Lucie fröhlich, indem sie die Mutter des

Geliebten ansab: „Jetzt weiß ich auch, von wem clu den Zug, den ich
mir nicht erklären konnte, in mein Abbild auf dem „rriumph der Lüfte“
getragen hast. Aber ich bin auf deine Mutter nicht böse, ich teile mit
ihr so gern.“

„Ja,“ rief Rometti, „ihr beiden, die ihr mir das Liebste seid, habt
mir bei meinem Werke ständig vorgeschwebt; nur mit eurer Hilfe habe
ich gesiegt.“ Und er erzählte den Frauen von dem Staatsauftrage, den
er jetzt endgültig erhalten hatte.

Ochs und Esel

ie christliche Kunst hat seit Jahrhunderten die Geburt Christi mit allen
möglichen Darstellungsmitteln zu verherrlichen gesucht. Aber es hat
lange gedauert, ehe sie soweit erstarkt war, urn feierlich in das Gloria
in excelsis Deo einstimmen zu können. Und auch dann noch mußte lange Zeit
vergehen, bevor gewisse t^rpisch gewordene Vorstellungen und Gewohnheiten
bei der Darstellung des biblischen Bilderkreises erblaßten, und die Ivünstler sich
erlauben konnten, mehr ihrer individuellen, freieren Auffassung zu folgen.

Typisch war die Vorstellung geworden, daß den Vorgängen im Stalle zu
Bethlehem Ochs und Esel beigewohnt hätten. In den alten Holzschnitten,

bei der Krippe.

[Nachdruck verboten.]

Kupferstichen und Malereien nehmen beide an dem in der Krippe liegenden
Kinde solchen Anteil, als ob sie für die Heiligkeit des Neugeborenen das feinste
Verständnis besäßen. Manche schauen sehr ernst und würdig auf das Kind,
manche sehr vergnügt, je nachdem der Maler diese oder jene Stimmung f ür
passend gehalten hat. Auf dem Bilde des Carlo Crivelli im Straßburger Museum
blickt das behaglich gelagerte Öchslein geradezu andächtig-verzückt auf den am
Boden ruhenden göttlichen Knaben, und auch der langohrige Esel neigt gleich
Maria und Joseph demutsvoll vor ihm sein Haupt. Ebenso teilnahmvoll betragen
sich beide auf Ghirlandajos „Anbetung der heiligen drei Könige“ im Spedale

MODERNE KUNST.

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svant: Berlin zur Weihnachtszeit.
Der Belle-Alliance-Platz.

degli Innocenti zu Florenz. Und im Marmorrelief des Alfonso Lombardi am
Sockel der Arca des heiligen Dominicus zu S. Petronio in Bologna schickt sich
der Esel sogar an, in Gegenwart der heiligen Sippen und der anbetenden Könige
erschütternde Jubelrufe auszustoßen.

Trotzdem ist in der schlichten, treuherzigen Erzählung des Evangelisten Lukas,
an welche sich die Künstler bei der Darstellung der Geburt Christi gehalten
haben, von beiden Tieren mit keinem Worte die Rede. Maria wickelte, so be-
richtet er, das Kind in Windeln und legte es, weil die Herberge keinen Raum
bot, in eine Krippe. Als die Hirten des Feldes, denen der Engel des Herrn,
begleitet von den himmlischen Heerscharen, des Nachts die frohe Kunde von
der Geburt des Ileilandes überbracht hatte, neugierig gen Bethlehem eilten, um
sich von dem Geschehenen zu überzeugen, fanden sie dort Maria und Joseph,
dazu das Kind in einer Krippe liegend. Auch in des Matthäus Erzählung von
den Waisen aus dem Morgenlande, die gen Bethlehem zogen und das Kind an-
beteten, ist von Ochs und Esel nicht die Rede, ebensowenig von Krippe undStall,
wohl aber von einem Haus, in dem sie das Kindlein mit Maria, seiner Mutter,
fanden.

Aber verwunderlich ist es nicht, daß Ochs und Esel der Geburt und Anbetung
beiwohnten, denn zur Krippe und zum Stalle gehören Tiere. Mag der Evan-
gelist auch nur von der Krippe geredet haben, so hielten es doch die schlichten
Künstler, die sich zuerst mit diesen Darstellungen befaßten, für notwendig, das
Unscheinbare und Ärmliche der Geburtsstätte des Kindes noch dadurch zu kenn-
zeichnen, daß sie Ochs und Esel hinzufügten. Gerade dieses naive Ausmalen
hat die volkstümliche Wirkung der Szene erheblich gesteigert.

Die frühesten Darstellungen dieser
Art kommen in den Reliefs einiger
römisch - christlicher Sarkophage vor.
Eins der besten Beispiele bietet der
Deckel eines Sarkophags in Sant’ Ain-
brosio in Mailand, einer ehrwürdigen
Basilika, die schon im Jahre 380 von
dem heiligen Ambrosius begonnen und
nach ihrer Vollendung im Laufe der
Zeit mehrfach erneuert wurde. Andere
finden sich an einigen geschnittenen
Steinen, an einerMetallampula imSchatze
des 550 von der Königin Theodolinda,
Gemahlin des lombardischen Königs An-
tharich, gestifteten Doms zu Monza und
in einem Elfenbeinrelief an einer Hostien-
büchse der vom heiligen Ludger be-
gründeten Kirche der ehemaligen Bene-
diktinerabtei zu Werden an der Ruhr.
In allen diesen Darstellungen, deren
Ausführung noch ziemlich unbeholfen
ist, sind die Köpfe von Ochs und Esel
über. Krippe und Kind deutlich sichtbar,
während Maria daneben auf ihrem Lager
ruht und Joseph dabei sitzt, das Haupt
in die Hand gestützt. Ein geschnittener
Stein zeigt auch bereits zwei anbetende
Ilirten.

Weiter setzen sich die Darstellungen
der Geburt und der Anbetung in den
Miniaturen der Ivarolingerzeit fort. Ochs
und Esel fehlen niemals in ihnen. Be-
sonders originell ist eine, in der die
Krippe große Ähnlichkeit mit einer
modernen Bettstatt besitzt. Sie befindet
sich in einem Sakramentarium, das
gegen Mitte des 9. Jahrhunderts im Auf-
trage des Abtcs Raginold von St. Martin
in Mauresmünster geschrieben und zwei
Jahrhunderte später nach Autun über-
geführt wurde, wo es seit geraumer Zeit
in der Seminarbibliothck aufbewahrt
wird. Das ganze Mittelalter hindurch
und noch bis tief ins 16. Jahrhundert hinein wurde an Ochs und Esel festgehalten.
Gentile da Fabriano, Bernardino Luini, Antonio Correggio, Hugo van der Goes,
Rogier van der Weyden, Albrecht Dürer, Frans Floris und viele andere Meister
Italiens, Deutschlands und der Niederlande sind der Tradition treu geblieben.
Sie haben beide Tiere den Kompositionen so geschickt eingefügt, daß sie nicht
im geringsten stören, wohl aber den Reiz der sich im offenen Stalle der Her-
berge zu Bethlehem abspielenden Handlung erhöhen. Insbesondere hat es Dürer
meisterlich verstanden, die ganze Szene mit bestrickendem Zauber zu erfüllen
und in das Licht echter Poesie zu tauchen. Überhaupt sind die deutschen und
auch die niederländischen Meister, vor allen Hugo van der Goes, mit erheblich
tieferer Empfindung an diese Vorwürfe herangetreten als die italienischen. Vor
Hugo van der Goes’ „Anbetung der Hirten“ in Sta. Maria nuova zu Florenz
scheinen die himmlischen Heerscharen ihr „Ehre sei Gott in der Höhe“ an-
gestimmt zu haben. Selbst das Öchslein fühlt sich durch die Jubelklänge ver-
anlaßt, andächtig nach oben zu schauen.

Erst die Kunst des 17. Jahrhunderts streift die Naivität ab, und erst recht
die Kunst des 18. Jahrhunderts, des Zeitalters der Skepsis. Nun ist es um Ochs
und Esel getan — sie werden nur noch selten bei der malerischen Schilderung
der in der heiligen Nacht geschehenen Ereignisse berücksichtigt. In unsern Tagen
hat noch am glücklichsten Uhde das Thema von Bethlehem behandelt — das
Einfache, Innige, Herzerfreuende ist in seiner Schöpfung zum rührendsten Aus-
druck gebracht. Gerade eine Szene wie die in der heiligen Nacht will ja,
wenn sie wirken soll, ohne theatralischen Aufputz möglichst schlicht und treu-
herzig dargestellt sein, just so einfach und phrasenlos, wie sie Lukas erzählt.
Ebenso verhält es sich mit der Anbetung der heiligen drei Könige oder, wie
Matthäus sagt, denWeisen aus dem Morgenlande —• der Pornp, den sich viele
italienische Meister dabei geleistet haben, indem sie mit Prunkgewändern, Scharen
von Dienern, Kamelen, Pferden und sogar mit Papageien und Affen aufwarten,
will zur simplen Erzählung des Evangelisten nicht recht passen. Der eigentliche
Kern des Vorwurfs wird dadurch verhüllt und gar zur Nebensache gemacht.
Es ist am besten, wenn die Einfalt, die sich im Hinzutun von Ochs und Esel
zu Krippe und Kind kundgibt, nicht durch glänzende Äußerlichkeiten gestört
wird, denn das rührende Element geht von ihr aus. Darum auch die zum Herzen
sprechende Wirkung, welche Krippe, Kind, Ochs und Esel unter dem Weinachts-
baum ausüben. Man gedenkt in Freude und Wehmut der Jugendzeit, da keine
Reflexion in das Licht von Bethlehem ihren Schatten warf. Georg Buss.
 
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