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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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19. Heft
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Ertel, Jean Paul: Zum Richard Wagner-Jubiläum
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0567

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. L. Arndt: Richard Was

Copyright 1906 by Rich. Bong, Berlin W.

,0111 Jyicbard \\ agncr- Jubi 1 äuni.

Von Dr. Paul Ertel.

‘jilvichard Wagner! Wenn jemals das lateinische Sprichwort „Nomen et
omen“ auf einen Namen paßt, dann ist es hier der Fall. Der populärste Komponist
am Ende des neunzehnten Jahrhunderts war ein kühner herrlicher „Wagner“
in der musikalischen Kunst, ein Mann, den die Welt ersehnte und der kam, um
mit aer üblichen „traditionellen Schlamperei“ gründlich aufzuräumen, dessen
Genie so gewaltig war, daß es nicht nur die Musik, sondern auch die Dichtkunst
umspannte, beide in gleich hoher Vollendung. Der Kampf urn ihn als Künstler
hat ausgetobt, der Kampf um den Menschen noch nicht. Als Künstler mußte
er den Philistern, Neidern und Haßerfüllten sozusagen abgetrotzt werden, ehe
er unser wurde. Ich erinnere mich noch sehr gut jener merkwürdigen Zeiten,
in denen der merkwürdige Mann fast allseitig verlacht, verhöhnt und ver-
gewaltigt wurde. In meiner Geburtsstadt herrschte damals nur ein einstimmiges
vernichtendes Urteil über ihn. Die Oberflächlichen fanden seine Musik fast
immer zu „geräuschvoll“. Ailerdings waren seine Offenbarungen nichts für die
zarten Haydn- und Mozartschwärmer. Vor allem aber warf man ihm eklatanten
Mangel an Melodie v.or. Diese Guten (Dilettanten, würde Robert Schumann
sagen) wußten offenbar ganz genau, wie so eine richtig gehende „Melodie“ aus-

[N’achdruck verboten ]

sehen rnüsse. Alle diese antiwagnerianischen Einflüsse schlugen in meiner
frühen Jugend ein, und ich war erst 14 Jahre alt, als ich zum ersten Male im
Stadttheater einer Lohengrin-Aufführung beiwohnen durfte. Tags darauf gab es
gewaltigen Streit in der Familie und bei einigen Bekannten, die gerade zugegen
waren. Denn ich vertrat instinktiv mit aller mir zu Gebote stehenden Energie
die Meinung, daß ich nichts Melodischeres bis jetzt gehört hätte. (In der Tat
hatte ich vor Erregung fast die ganze Nacht nicht schlafen können). Der Streit
endete übrigens bald damit, daß ich von Seiten des Familienoberhauptes mit
einer schallenden Ohrfeige, und dem zugehörigen Attribut eines „dummen Jungen“,
bedacht und schleunigst ins Bett geschickt wurde. Ich hätte nun eigentlich dem
unschuldigen Urheber dieser Scene gram sein können; aber ich wurde dadurch
nur ein überzeugterer Anhänger. So waren noch damals (1879) die Zeiten!
Engherzigkeit und Unverständnis führten das Scepter über eine geheiligte Kunst.
Wie man und mit welchen Mitteln man damals gegen Wagner kämpfte, das hat
am besten Wilhelm Tappert in seinem „Wagner-Schimpflexikön“ (der eigent-
liche Titel ist länger) dargetan. Daß Wagner ein Ignorant schlimmster Sorte,
ein krasser Dilettant, ein Kunstverderber, ja ein Wahnsinniger und ausgemachter

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