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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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24. Heft
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Praeger, Hertha: Sonnentag und Sternennacht
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Unsere Bilder
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316

MODERNE KUNST.

was ein guter Mensch dem andern sein kann, hat gelernt, an mich zu glauben.
Seitdem kommt er sehr oft eine Abendstunde. IJnd ich giaube, er kommt gern!“

Elisabeth drückte der Tante still die Hand. „Und das ging so friedlich und
still? All die vielen Jahre, ohne Ivampf?“

Johanna Heyden lachte ein' helles, fröhliches Lachen. „So friedlich und
still? O nein, mein Kind, so ging das nicht! Da kamen muntere Kämpfe und
Konflikte. Aber das ist ja das Erleben! Das, was uns groß macht! Und die
Friedfertigen sind doch nicht die, die bange sind, ein ehrliches Wort zu sägen.
Wer immer nur an die Folgen denkt, kann sich gar nicht treu bleiben, wird
innerlich nie frei und groß. Sieh meine Bücher dort drüben, Elisabeth! Glaubst
du, daß sie Inhalt hätten ohne dies! Oder Stimmung? Leerer Klingklang wär’s!
Des Dichters Schule ist sein Herz! W rer den Menschen etwas sagen soll, der
muß den Kampf hinter sich haben. Hans Wied brachte mir das Material, aus
dem ich aufbauen konnte. Und wenn ich manchmal wieder ein wenig geblutet
habe, dann wurde es am besten. Das sind die Geschichten, über denen unsicht-
bar sein Name steht.“

Johanna schwieg, und Elisabeth war ruhig geworden. Ihr blonder Kopf
ruhte an Johannas Schulter, und ihre Augen blickten klar. Es war ihr, als würde es
wieder heller um sie her. Und die Nacht war doch herabgesunken, die Sternennacht.

Am Himmel flammten die Sterne auf, einer nach dem andern, und der Wind
wehte leise alle Düfte herein.

„Nun, Elisabeth, was ist wohl schöner, der helle Sonr.entag oder die freund-
liche Sternennacht?“

„Ich weiß es nicht, Tante Johanna!“

„Ich auch nicht, Kind! Aber ich bin zufrieden mit dem, was mir wurde. Jedes
kann schöri sein. Wenn man noch jung ist, ist einem der Tag lieber. Dann will man
nichts anders! Und das soll auch wohl so sein. Wie alt bistdujetzt, Lisbeth?“

„Zweiunddreißig, Tante!“

„Dann bist du alt genug, auch eine stille Sternennacht schön zu finden! Aber
komm, ich muß Licht machen, es ist Mittwoch!“

Elisabeth stand auf. „Ilerr Professor Wied kommt? Dann will ich heim,
Tante, ich will nicht stören!“

Johanna Iieyderi lachte hell auf. „Stören? Uns alte Leute? Nein, heut
bleibst du bei uns, mein Kind!“

Unsere

<T\

vujlie Plastik auf der Großen Berliner Kunstausstellung. Gleich der
Malerei der Jubiläumsausstellung erschließt auch die Plastik einen kurzen
Rückblick über die Kunst der letzten fünfundzwanzig Jahre. Ilier ist zunächst
Reinhold Begas liervorzuheben, dessen „Raub der Sabinerin“ in der Tat
einen plastischen Stil verkörpert, der sich von dem heutigen stark unterscheidet.
In dieser wildbewegten realistischen Gruppe des Mannes, der sein Gesicht im
Schmerze des Kampfes verzerrt, und des aufschreienden geraubten Weibes liegt
etwas Romanisch-Pathetisches und vorwiegend Mälerisches. Es. ist charakteri-
stisch, daß die Gruppe keinen Ruhepunkt in sich selbst hat, -sondern daß unter
den Unterkörper des Mannes eine Art Baumstumpf geschoben ist. Im Gegensatz
hierzu erstrebt die heutige Plastik, besönders die Monumentalkunst, plastisches
Gleichgewicht in sich selbst, und Ruhe; sie sucht eher Anlehnung an die
Architektur als an die. Malerei. AIs Beweis braucht nur Franz Metzners
„Rüdiger“ vom Nibelungenbrunnen genannt zu werden. Wie stark ist in dieser
mächtigen Gestalt eines eisenge.schienten Kämpfers, der sein Schwert auf beiden
Armen hält und darüber betet, die Horizontale und die Vertikale betont. Dennoch
bleibt die Figur nicht steif; wenn Metzners Plastiken bisher etwas zu stark
Stilistisch-Gewolltes, ja Manieriertes hatten, so wußte er hier die Form ir.it
Leben zu erfüllen. In ähnlichem, freilich nicht so massigem Stile ist die
„Justitia“ von Hermann Hosaeus gehalten, eine Frauengestalt von edelster,
herber Schö.nheit. In dem ernsten Antlitz rinnen die Züge männlichen und
weiblichen Wesens zu der Höheneinheit eines Idealwesens zusammen. Der
Parallelismus der Kleiderfalten betont dann wieder das Prinzip der Ruhe. Einen
monumentalen Stil anderer Art erstrebt Hugo Lederer, indem er das Leben
zu erhöhen sucht, aber seine Wärme und .Nähe festhalten will. Hier bedeuten
die schöne Figur des Breslauer Fechters und der Athlet, der zum Ringen vor-
tritt, bereits zwei Phasen, da das zweite, später entstandene Werk schon stärker
stilisiert. Der letzte Ausgleich zwischen Größe und Realismus ist Lederer trotz
der hohen Bedeutung des Erreichten noch nicht gelungen. Bedeutungsvoll treten
sonst die bekannten Plastiker: Walter Schott und Adolf Brütt, Reinhold
Felderhoff uhd Lewin-Funcke, Edmund Moeller u. a. hervor. Die an-
mutige Wachsbüste der Kaisertochter rührt von Martin Schauß. Auch der
Humor kommt in der Plastik zu seinem Rechte; so hat Joachim Pagels den
hübschen Brunnen eines Hühnerdiebes und Ot'to Pilz die Piastik eines. „Faun-
ungen“ geschaffen, der zwei junge Bären zugleich aufeinander hetzt und von-

einander fernhält. .,. O. A.

.. •

Draußen §pielt die Sonne auf den spitzen Giebeln und Dächern, auf den
Brunnen und holprigen Straßen der mittelalterlichen burgundischen Stadt. Selbst
in die Kathedrale wirft sie durch die bunten Fenster ihren Schein auf die Stein-
fliesen, die vom Schritt der Eintretenden und dem Rascheln der Knienden leise

AIs es acht Uhr schlug, kam Professor Wied» Auf der lauschigen Veranda
unter den blauen Glycinen war der Tisch gedeckt.

Elisabeth saß still und hörte auf das ernste und fröhliche Plaudern. Und
wohltuend empfand sie die feine Höflichkeit, die freundliche Achtung, die Pro-
fessor Wied und Johanna Heyden einander zeigten. Und sie kannten sich doch
so viele Jahre schon!

Vor wenig Tagen hatte sie bei einem Ehepaar einen Abend verbracht, das
nicht einrnal imstande gewesen war, vor dem Gast die schuldige Rücksicht ein-
ander' zu bewahren. Sie hatten sich doch einst aus Liebe geheiratet! Hatte der
Staub des Alltags denn hier alle Poesie verdeckt?

Professor Wied fragte nach Johanna Heydens letzter Arbeit und bat sie,
daraus vorzulesen. Johanna tat es fröhlich mit einem leisen Stolz, und der
Professor nickte oft beifällig. Vielleicht war es wieder eine von den Geschichten,
über denen unsichtbar „Hans Wied“ stand. Lange saßen sie noch schweigend
und schauten in die schöne Sommernacht. Die Windlichter waren herunter-
gebrannt uncl verlöschten sacht. Millionen Sterne funkelten am unendlichen
Firmament. Der Nachtwind bewegte leise die Ranken der duftenden Glycinen
Aus irgendeinem offenen Fenster kam Gesang. Eine schöne Männerstimme sang
ein weiches Abendlied:

Das Vöglein sueht sein heimlich Nest.

Die Sterne kommen nach und nach.

Der heiße Tag versank im West,

Nun ist die Nacht aflein noch wach!

Johanna Heydens weiche Hand lag auf der ihres Freundes, als sie dem
Gesang lauschte.

„Wie schön doch das Leben sein kann, Hans Wied!“ sagte sie leise.
Elisabeth sah, wie er mit dem feinen, grauhaarigen Kopf nickte, und die kleine
Frauenhand, die auf der seinen lag, streichelte. Wundersam!

Es war schon spät, als. Elisabeth heimging. Sie war sehr müde, aber sie
ging noch nicht schlafen. Sie schrieb noch an Horst Bodemer. Von der Sternen-
nacht und dem Sonnentag, von der Poesie der Freundschaft und vom Staube des
Alltags und der Gewohnhe.it. Und wie gut und tapfer es von ihm sei, daß er
ihr seine Freundschaft geschenkt. Sie wolle sich ihrer wert zeigen, und sie
erwarte ihn nächsten Sonntag.

Öilder.

hallen. Aber die beiden Frauen, die den Lobgesang zu Ehren Marias aus dem
riesigen Choralbuche anstimmen, sehen nichts davon; ihre Sinne sind gänzlich
von den Freuden und Leiden draußen abgekehrt und einzig in das „Buch des
Friedens“ versenkt. Diese Stimmung hat Edgar Maxence weihevoll fest-
zuhalten verstanden. ...

Einer noch früheren Zeit ist das Motiv zu Georges Clairins Bilde
„Barbaren erobern eine ägyptische Stadt“ entnommen, dessen Linien-
führung und Farbe etwas von.einer schmetternden Fanfare an sich hat. Nach
verzweifeltem Kampfe ist auch der hochgelegene Teil der Stadt, die trotzige
Felsenburg, erobert worden; schon trägt der lodernde Brand die Kunde vorri
Siege der Osmanen über das in Angst aufhorchende Land.

;j: %

#

In einen Farbenzauber, der fast an den Orient erinnert, ist Venedig an
schöneri, klaren Tagen zur Zeit des Sonnenuntergangs gehüllt. Wenn romantische
Dichter diese Stadt, ihre Iläfen und Lagunen gern im Mondschein schildern, der
die.ses Märchen noch märchenhafter erscheinen läßt, so verleiht ihm auch die
sinkende Sonne einen ex.otischen Schimmer. Über den Türrnen und Kuppeln
sinkt ihr Ball in tiefem Purpurglanz, rund, klar und tiefrot, eine lange Bahn
auf den Kanal werfend, bis die Glptscheibe verschwunden ist. Dann aber steht
die helle Abenddämmerung noch am Himmel, ruhig und weihevoll, den Tag
in einer Feierstunde ausklingen lassend, wie dies J. Iwills Bild „Abend-
dämmerung in Venedig“ wiedergibt.

* *

Eine heitere, freie Landschaft deutschen Charakters, den Ausblick auf den
„Habichtswald bei Kassel“, der sich als Grenzscheide zwischen Fulda,
Eder und Diemel ausdehnt, hat Karl Oenike geschildert. Im Sonnenglanz
breitet sich dieses schöne Stückchen Erde, das im „hohen Gras“ seine höchste
Erhebung, freilich mit nur ca. 600 Meter, erreicht. An seiner Ostseite liegt die
Wilhelmshöhe, die einst dem kriegsgefangenen Napoleon III. als Aufenthalt
angewiesen wurde. — Gleichfalls ein sommerliches Bild bietet H. Laissement,
der einen Bauern und sein Weib nach getaner schwerer Arbeit bei ihrer „Rück-
kehr vom Felde“ zeigt.

■\- * .

*

Aus den gesellschaftlichen Kreisen hat John Collier das Motiv seines
Gemäldes geschöpft. Die starr ins Weite gerichteten Augen des Mannes, die
wie an einem Gespenst haften bleiben, und die zusammengebrochene Haltung
der Frau zeigen zur Genüge an, welchen Fehltritt sie ihm gebeichtet hat. Mehr
als an sich selbst hat er an seine Frau geglaubt, und sein „Verlorenes Ideal“
vermag er nicht zu verwinden. Wie eine sinnlose Fratze, drohend, zum Lachen
kraus und verächtlich grinst ihm das Leben entgegen.
 
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