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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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14. Heft
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Staby, Ludwig: Tiere als Simulanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0403

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Tiere als Simulanten.

Von Dr. Ludwig Staby.

Hekanntlich hat die Frage nach der Erkenntnis einer Simulation einen be-
sonderen Zweig der medizinischen Wissenschaft ins Leben gerufen,
denn wenn Menschen simulieren, dann suchen sie gewöhnlich irgendein
Gebrechen oder eine Krankheit vorzutäuschen; am bekanntesten ist der alte Trick
abgefeimter Verbrecher, plötzlich den „wilden Mann“ zu spielen, mit andern
Worten: Irrsinn zu simulieren. Im Tierreiche geht die Simulation aber noch
viel weiter; denn die Tiere, welche sich dieses merkwürdigen Mittels bedienen,
täuschen nur selten ein Gebrechen, sondern meistens unmittelbar den Tod vor,
und es gelingt ihnen dadurch sehr oft, dem Tode selbst zu entrinnen. Jeder
Insektensammler kennt diese Fähigkeit, die in dem großen Reiche der Insekten,
besonders unter den Spinnen und Käfern, außerordentlich verbreitet ist, zur
Genüge. Sobald man z. B. eine Spinne greifen will, zieht sie die Gliedmaßen
ein und stellt sich tot. Wie leblos, ohne jede Bewegung, liegt sie da und läßt
alies mit sich geschehen, ohne sich irgendwie zu rühren, und ebenso machen es
viele Käfer, mit Vorliebe solche, die auf den Blättern und Zweigen der Pflanzen
leben. Berührt man einen solchen Käfer, so zieht er sofort Fühler und Beine
ein, läßt sich wie leblos herabfallen und liegt nun unbeweglich da, wodurch sein
Auffinden sehr erschwert, meistens sogar unmöglich gemacht wird. Nach einiger
Zeit, die aber bei gewissen Käfern stundenlang dauern kann, bewegen sie sich
wieder, wenn die Gefahr vorüber ist, um sofort bei dem nächsten drohenden
Angriffe wieder zu erstarreni Jeder kann sich leicht davon überzeugen, wenn
er eins der hübschen, vielfach punktierten Marienkäferchen ergreift. Selbst-
verständlich handeln die Tiere instinktiv, d. h. sie folgen einer altererbten Ge-
wohnheit, und das ist auch bei vielen höheren Tieren der Fall. Aber nicht
überall können wir bei diesen von Vererbung sprechen, besonders nicht bei
denen, die sich gelegentlich der Simulation bedienen, um einer Gefahr zu
entgehen oder einen andern Vorteil davon zu haben, wie es gar nicht
so selten vorkommt.

Zu den besten Simulanten gehören unstreitig die Vögel, vor allem die auf
dem Erdboden lebenden, die vielen Verfolgungen ausgesetzt sind, und hier
treffen wir auch die merkwürdige Tatsache, daß die Vögel nicht zu ihrem eignen
Schutze, sondern aus Fürsorge für ihre Jungen simulieren. Wenn eine Rebhuhn-
familie, deren Junge noch klein und flugunfähig sind, plötzlich von einein Feinde,

[Nachdruck verboten ]

sei dieser nun Mensch oder Tier, überrascht wird, dann erhebt sich sofort die
alte Henne, aber nicht, um fortzufliegen, sondern um den Störenfried von ihrer
Brut abzulenken. In geradezu vollendeter Weise simuiiert sie Flugunfähigkeit;
den einen Flügel läßt sie herabhängen und flattert nun hilflos umher, um nach
wenigen Schritten auf den Boden zu fallen. Der Fuchs, der Hund oder die wii-
dernde Katze, selbst der Mensch, der diesen Trick nicht kennt, läßt sich wohl
immer täuschen. Das anscheinend schwer kranke oder ermattete Huhn ist ja
leicht zu fangen, und deshalb strebt der Feind eiligst dorthin, wo es hingefallen
ist. Ist er dicht herangekommen, erhebt sich das flügellahme Huhn wieder,
dasselbe Spiel wiederholt sich, und auf diese Weise lockt die treue Mutter den
Feind immer weiter von ihren Kleinen ab, um endlich frohlockend sausenden
Flugs zu ihnen zurückzukehren. Wie oft habe ich beobachtet, daß Spazier-
gänger, die zufällig in die Nähe einer Rebhuhnfamilie gekommen waren, die an-
scheinend flügellahme Henne immer weiter verfolgten, bis sie dann mit ganz
verblüfftem Gesicht der plötzlich Davonfliegenden nachsahen. Nun verstehen
durchaus nicht alle Rebhuhnmütter diese Verstellung in gleicher Weise; junge
Mütter, die zum ersten Male Junge führen, üben sie manchmal gar nicht oder
höchst ungeschickt aus, während alte erfahrene Meister in dieser Kunst sind.
Ahnlich wie die Rebhühner machen es die Wildenten, wenn auch nicht in so
ausgesprochenem Maße.

Manche Vögel verhalten sich bei plötzlicher Überraschung völlig bewegungs-
ios, aber man kann da doch wohl nicht von Simulation des Todes sprechen,
vielmehr vertraut der Vogel, z. B. die fest liegenbleibende Waldschnepfe, darauf,
daß sie ihrer Schutzfarbe wegen nicht gesehen wird. Dagegen stellen sich
andere wirklich tot, wie der frisch gefangene Königsmilan. So wurde einst ein
Königsmilan von einem Herrn an einen zoologischen Garten geschickt, kam
aber mit der Bemerkung zurück, daß der Vogel in sterbendem Zustand ein-
getroffen sei; dabei war er kerngesund und nahm in seinem alten Käfige
sofort das Futter an.

Unter den Säugetieren wird die größte Kunst, zu simulieren, Meister
Reineke, dem schlauen Fuchs, zugeschrieben, und viele Geschichten werden über
diese Gabe des Roten erzählt, manche sicherlich zu Unrecht. So habe ich selbst
mal gesehen, daß ein geschossener Fuchs, der zur Strecke gelegt wurde, nach

Carlos Grethe: Krevettenfischer.

Aus den Ivunstausstellungen Ed. Schulte, Düsseldort.
 
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