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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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14. Heft
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Staby, Ludwig: Tiere als Simulanten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0404

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MODERNE KUNST.

längerer Zeit plötzlich aufsprang und zum Erstaunen der ganzen Jagdgesellschaft
eilends im nahen Walde verschwand. Selbstverständlich wurde sofort von der
fabelhaften Verstellungskunst des Fuchses gesprochen, meiner Ansicht nach war
aber der Fuchs durch den Schuß nur betäubt worden, und er suchte sofort das
Weite, als er aus der tiefen Betäubung wieder erwachte. Anders verhält es
sich aber mit einem Fuchs, den der Forscher de Cherville jung gefangen und
aufgezogen hatte, der aber trotz aller liebreichen Fürsorge nie zahm wurde,
sondern nach jedem biß, der sich ihm näherte. „Als ich eines Tags“, so erzählt
der Forscher, „mich erhob und hinunterging, um meine Pflicht gegen ,Nikolas‘,
so hieß der Fuchs, zu erfüllen, fand ich ihn ausgestreckt mit geschlossenen
Sehern und ohne Bewegung liegen. Ich rief ihn, aber er rührte sich nicht.
Mehreremal strich ich ihm mit der Hand über den Kopf, und es war das erste-
mal, daß er nicht versuchte, mich zu beißen. Aus den Bewegungen seiner
Flanken ging deutlich hervor, daß er nicht tot war. Da er aber gänzlich seine
sonstigen Gewohnheiten verleugnete, so schloß ich, daß er sehr krank sein
müsse, und geriet in nicht geringen Schrecken. Ich hatte öfter befohlen, ihm
sein Halsband zu lockern, das etwas eng war, glaubte daher, daß der traurige

Jedoch sind solche Erzählungen mit Vorsicht aufzufassen; verbürgt ist aber die
Simulation eines Affen, der einem englischen Offizier in Ostindien gehörte. Der
Offizier hatte in seinem weiten Garten den Affen an eine in die Erde gerammte
Bambusstange mit einer Kette und einem sehr weiten, leicht auf- und abwärts-
gleitenden Ringe angeschlossen. Befand sich der Affe auf dem oben angebrachten
Ouerholz der Stange, dann kamen die Raben der Umgegend und fraßen sein in
einem Napf am Erdboden befindliches Futter. Das konnte nicht so weiter
gehen und der Affe brütete Rache. Zu diesem Zweck ersann er folgende List.
Auf der Spitze seiner Stange begann er ein Unwohlsein zu simulieren, er
schloß die Augen und ließ den Kopf auf die Brust sinken, dann kletterte er
langsam und wie von der Krankheit niedergedrückt auf den Boden hinab. Seine
Ankunft hatte den unmittelbaren Erfolg, daß die Raben verjagt wurden und in
die umstehenden Bäume flüchteten. Aber bald streckte sich der Affe auf dem
Boden aus und blieb unbeweglich, wie tot, liegen. Seine Verstellung gelang ihm
so vollkommen, daß die Raben ihn für tot hielten und sich bald wieder dem
Napfe näherten, um sich des Futters des Verstorbenen zu bemächtigen. Dem
Frechsten, welcher sich zuerst genähert, bekam dies aber sehr schlecht. Kaum

Carlos Grethe: Frische Brise.

Aus den Ivunstausstellungen Ed. Schulte, DüsseldorL

Zustand des Tiers von einer beginnenden Erdrosselung herrührte, und entschloß
mich, das Halsband abzunehmen. Kaum hatte ich aber den Schnallendorn gelöst
und das Halsband samt Kette fallen lassen, so stand der Spitzbube auch schon
auf seinen vier Läufen, und ehe ich eine Bewegung machen konnte, war er mir
zwischen den Beinen durchgerutscht und im nahen Wald in einer Gangart ver-
schwunden, die offenbar bewies, daß er sich sehr wohl Juhlte.“ Hier hätten wir
es also mit einer bewußten Simulation des Schlaumeiers zu tun, die man
übrigens manchmal auch an gefangenen Füchsen beobachten kann. Ein an der
Kette gehaltener Fuchs läßt keine Gelegenheit vorübergehen, die es ihm ermög-
licht, ein unvorsichtiges Haushuhn zu erwischen. Aber die gewitzten Hühner,
durch Schaden klug geworden, vermeiden es bald, in seine verderbliche Nähe
zu kommen, sie wissen meist ganz genau, wie weit seine Kette reicht. Ist der
Rote nun schlau, dann legt er sich wie tot vor seine Hütte in die Nähe des
gefüllten Futternapfes, mit geschlossenen Sehern liegt er lange Zeit be-
wegungslos da, ohne sich um die Hühner zu kümmern, selbst wenn sie ihm
ziemlich nahe kommen. Wagt es nun endlich eine unglückselige Ilenne, durch
das Futter angelockt, an den Napf heranzutreten, dann springt der Halunke
plötzlich auf, packt die Vorwitzige und schleppt sie zu leckerem Mahle in
seine Hütte.

Vom Wolf wird auch erzählt, daß er zuweilen sich tot stelle, und zwar,
wenn er in arge Bedrängnis geraten, etwa in eine Wolfsgrube gefallen sei.
Dann soll er sich manchmal anfassen lassen, ohne sich irgendwie zu rühren.

hatte er den Hals nach dem Futter ausgestreckt, als auch schon der Affe ihn
ergriffen hatte und festhielt. Nachdem er den Raben gepackt, machte er sich
daran, ihn bei lebendigem Leibe zu rupfen. Als nur noch wenig Federn übrig
waren, warf er ihn weg, die andern Raben fielen nun über den Gefährten her,
töteten ihn durch Schnabelhiebe und verschwanden bald, um sehr lange Zeit
nicht wiederzukommen.

Aus diesen Beispielen geht zur Genüge hervor, daß wir bei den höheren
Tieren tatsächlich von bewußter Simulation sprechen können, die, wie wir ge-
sehen haben, durchaus nicht immer lediglich zum Schutze des eignen Lebens
angewandt wird, sondern verschiedenen Zwecken dient. Es geht daraus hervor,
daß geistig hochstehende Tiere aus bestimmten Beobachtungen ihre Schlüsse
ziehen und danach ihre Flandlungsweise einrichten, wenngleich nicht geleugnet
werden soll, daß es gerade bei der Simulation der Tiere sehr sorgfältiger Beob-
achtungen bedarf, um nicht falsche Schlüsse aus dem Verhalten der Tiere her-
zuleiten.

Bei den niederen Tieren, besonders bei den Insekten, dient die Simu-
lation immer zum eignen Schutze und wir haben bei ihnen auch keine
bewußte und gewollte Tätigkeit mehr vor uns, sondern eine altererbte Gewohn-
heit, die aber im letzten Grunde bei den Vorfahren der jetzigen Generationen
auch aus bewußter Simulation entstanden und hervorgegangen sein muß, die
Ausüber dieser Künste müssen also auch zu den Simulanten des Tierreichs
gezählt werden.

—o-e—
 
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