Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
5. Heft
DOI Artikel:
Eine Künatlerfahrt nach Schweden
DOI Artikel:
Malten, L.: Die Geheimnisse des Souffleurkastens
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0141

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

63

und wilden Rosenbüschen mit zarten Blüten stehen einige alte, abgestorbene
Eichen, die ihre graugrünen, verwitterten Äste wie Arme hilfesuchend in den
Himmel recken. Am Boden liegen halbverfaulte, von Flechten überzogene
Baumstämme, dazwischen erheben sich überall moosbewachsene Granitblöcke.
Die gesunden Bäume, die einzeln oder in Gruppen beeinander stehen, hat der
scharfe Nordostwind in ihrem Wachstume behindert, sie machen einen ge-
drückten Eindruck und gleichen in ihrer Form alten, breitausladenden Kiefern.
Tiefe Einsamkeit spinnt ihren Zauber um diese weltabgeschiedene Stätte; nichts
regt sich weit und breit, nur hin und wieder fliegt ein Seevogel kreischend vor-
bei oder eine Kreuzotter, die hier ziemlich häufig vorkommt, schlängelt sich
raschelnd durchs: Laubwerk. Für die Iiasen ist Hallands-Väderö das reine
Paradies, da der König von Schweden nur in Zwischenräumen von drei bis fünf

Jahren sein Jagdrecht auf der abgelegenen Insel ausübt. Die übrige Zeit kann
Meister Lampe ohne Furcht sein Leben genießen und sich ungestört mit der

ihm eignen Geschwindigkeit fortpflanzen.-— — Wie im Binnenlande, so

findet man auch an der Küste von Hallands-Väderö interessante, reizvolle
Szenerien, die im Charakter an Torekov erinnern.

Kühles, regnerisches Wetter machte unserer Robinsonade auf Haliands-
Väderö ein vorzeitiges Ende. Es war inzwischen schon recht herbstlich ge-
worden, und die Tage wurden immer kürzer. So packten wir denn unsere
Sachen zusammen, verstauten sie in dem Lotsenkutter und nahmen betrübt Ab-
schied von dem zauberhaften Eiland. In Torekov schlossen sich einige zurück-
gebliebene Kollegen an, und nun gings über Malmö—Trelleborg—Stralsund in.
die Heimat zurück. E. E. R.

Die Geheimnisse des Souffleurkastens. -

Theaterplauderei von L. Malten.

£><

nter den vielen Dingen, die in der Welt des bunten Scheins geheimnisvoll
'g und seltsam auf den unbefangenen Laien wirken •— ist der Souffleurkasten
ganz gewiß ein ganz besonders zaubervolles Etwas, über das er sich oft genug

geschürzt und gewoben, sich um das mühsam aufgebaute Bühnenbild schlingen
und es zu zerreißen, zu stürzen, zu erdrosseln suchen. Es gäbe keine Zug-
stücke, wenn es keinen Souffleur gäbe! Diese Behauptung könnte gemeinhin

F. Spenlove-Spenlove: In qualvoller Erwartung.

den Kopf zerbrochen hat. Wer in einer Kindervorstellung weniger von den
Vorgängen auf der Bühne als von denen im Auditorium mit nach Hause ge-
nommen hat, weiß davon zu erzählen . . . Und ist’s denn nicht wirklich
schnurrig! Da wird mitten auf der Bühne ein Hüttchen hingesetzt und daraus
klingt etwas . . . Neben dem lustigen König da oben, der Rosinen und
Mandeln an sein Volk verteilt, steht das wunderliebe Prinzeßchen, und beide
äugeln bedeutungsvoll in die kleine Hütte hinunter, wo es spricht, flüstert,
wo ab und an eine Hand hervorschaut, ein Stab, eine Glocke, Iauter Dinge, die zu

dem lustigen Königstück da oben in keinem Verhältnis zu stehen scheinen-

und, die doch mittun, als gehören sie in erster Reihe dazu. Der Souffleur . . .
Wer ist das . . . Was tut er . . . Er sagt den Schauspielern die Rollen vor . . .
Sonderbar. Ein Schauspieler muß doch seine Rollen können. Das muß er.
Und mit ein paar Ausnahmen hier und dort, die zu den ergötzlichsten Vor-
kommnissen Veranlassung gaben, von denen auch die Rede sein soll, können
die Bühnenleute ihre Rollen wohl auswendig. Aber wer vom Publikum, das in
solcher Ruhe auf seinen Piätzen ausharrt, hat eine kleine Vorstellung von all
den tausend unerwarteten, unerlaubten, nie gewünschten Tücken, mit denen das
Schicksal den ahnungslosen Mimen aus dem Gleichgewicht zu reißen droht —,
von den tausend Fäden, die unsichtbar einem Spinngewebe gleich, tückisch

als Norm aufgestellt werden. Denn was diese kleine, zarte Stimme aus dem
unteren Reiche der Bretterwelt für eine Macht hat, das kann in seiner, die
Situation herausreißenden Urgewalt, nur der begreifen, der einmal, nein, der
hunderte Male hinter der Rampe Blut anstatt perlenden Schweiß geschwitzt hat . ..
Diesen Retter in der Not „verstehen“, das ist für den Darsteller mit dem kurzen
Gedächtnis ein Teil seiner Kunst. Und man sage nicht, daß nur die schlechten
Schauspieler nicht lernen. Es gab — ob es noch der Fall ist, weiß ich freilich
nicht — aber es gab allererste Künstler, die ihre oftgespielten Rollen immer
erst am Abend vom Souffleur hören mußten, bevor sie imstande waren, sie dem
Publikum zu übermitteln. Die drolligsten Erlebnisse knüpfen sich an die Auf-
führungen, denen der Geist aus der Unterwelt sein stärkstes „Können“ verlieh.
Ein berühmter Darsteller des Melchthal im Tell hat die Worte zu sagen: „In
seine beiden Augen?“, aber er hat die Rolle neu gelernt, schnell gelernt und
versteht: „In seine Beine auch ..." Dagegen gibts natürlich kein Rezept.
Aber was würde aus der Szene, wenn der gute Geist von unten nicht weiter
hälfe! Er verbeißt sich das Lachen und reißt den Heldenjüngling über Fels
und Klippen mutig bis zum Ende. Ohne Dank! Wie so vieles im Leben.
Denn er ist immer der Schuldige. Entweder er kann nicht soufflieren und soll
Stiefeln besohlen lernen; oder er muschelt, weil er keine Zähne mehr hat . . .
 
Annotationen