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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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11. Heft
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Scapinelli, Carl: Münchner Volksänger und Volksleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0316

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bekannten Stammkneipe, hat noch nicht einmal seine be-
rühmten „Münchner Niernbroten“ bestellt, da geht schon die
Tür auf, und eine aus allen Waffengattungen früherer bay-
rischer Regimenter uniformierte Kapelle tritt ein. Grotesk
komisch wölbt sich auf dem dicken Bauch des einen ein Harnisch, auf der dürren Ge-
stalt des anderen ein schlotternder Reiterrock. Aber schon formen sie einen Halb-
kreis und beginnen ihren Blechinstrumenten die ersten Takte eines schmetternden
Marsches

Kindl, und tanz’ und sing’ und trink’ mit uns!

Wir wollen mal zur lustigen Karnevals-
zeit München durchqueren. Du im Pierrot-
kostüm, ich im Frack; aber ein Mäntelchen
nehmen wir mit,
einhüllen können.

Zuerst mutig hinein in die sonntäglichen
Freuden eines Vormittagsbierkonzerts in irgend
einem Bräuhaus.

Hoppla! Schon bei der Tür stoßen wir
auf ein dickes, schwerbeladenes Wesen: auf
das typische Münchner Zeitungsweib. Sie hat
wohl ihre Karriere als Kellnerin begonnen,
hat früher die schwere Last von zehn Maß-
krügen schleppen können, und seitdem dies
nicht mehr geht, schleppt sie von Wirtstisch
zu Wirtstisch die „Münchner Blattln“. Manch’
Bierrest, manch’ Fleischstück, manche Bretzel
fällt da für sie ab. Und solange sie kriechen
kann, wird sie den Dunst des Münchner Bräu-
hauses nicht entbehren können.

Ein Stimmengewirr empfängt uns, alle
glattgescheuerten, unbedeckten Eichentische sind voll von Maßkrügen, Schüsseln;
und davor sitzt München: würdige, dicke Matronen, gepflegte, alte Privatiers, am
selben Tisch Volk und Künstler, Jugend und Alter, Ehe- und Liebespaare zusammen.

Sechs Herren in abgeschabten Gehröcken auf einem Podium hocken auf
hölzernen Stühlen, halten Musikinstrumente in den Händen und entlocken ihnen
populäre Weisen, gemütliche Landler, beliebte Märsche, alte Volkslieder. Und
plötzlich, wie auf ein Kommando, fängt das ganze Lokal wie aufgereizt durch
die bekannte Melodie mitzusingen, nein, zu brüllen an:

„So lang der alte Peter, der Petersturm noch steht,

So lang die grüne Isar durchs Münchner Stadtl geht,

So lang dort drunt’ am Platzl
Noch steht das Hofbräuhaus,

So lang stirbt die Gemütlichkeit
Bei den Münchnern noch nicht aus!“

zu entlocken.
ZweiPiecen tönen durch
den Raum, daß die
Fensterscheiben des klei-
nen Saales wackeln.
Dann macht sich der
Herr Ivapellmeister, wäh-
rend die anderen ein
drittes Musikstück spie-
len, mit einem Teller in
der Hand auf den Bitt-
und Sammelgang durch
das Lokal! Ein lauter
Dank und sie ver-
schwinden, und in fünf

wir, wo’s nottut, uns

Die Zeitungsmali.

Bei Benz in Schwabin:

Und nochmals wiederholt sich der Refrain dieses uralten Liedes, und nochmals
betonen alle brüllend, als sprächen sie einen heiligen Schwur, daß diese Gemüt-
lichkeit noch nicht aussterben werde.

Weißwürste, Bratwürste, Schweinswürste fahren auf und werden vertilgt
bei solch’ einem Sonntags-Frühschoppen, und fröhlich fiedeln die alten Musiker,
und die Maßkrüge unter ihren Stühlen wackeln dazu lustig im Takt mit.

XXVII. 34.
 
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