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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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20. Heft
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Roeder, Fritz: Der Kaiser und die Industrie
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0613

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Der Kaiser und die Industrie.

Von Dr. Fritz Roeder in Berlin-Friedenau.

Lhsj^m Kreise Elbing des preußischen Regierungsbezirks Danzig

jgg Nähe

(sivK den Wanderer,

des Frischen Haffs ein großes Rittergut.
der von den Elbinger Höhen
dorthinstrebt. Zeugen der Vergangenheit treten
seinen entzückten Augen entgegen in der malerischen
Ruine eines alten Klosters. Dort haben vor Jahr-
hunderten fleißige Mönche in stiller Beschaulichkeit
gelebt und deutsche Kultur auf neugewonnenem
Boden verbreitet. Daneben aber ragen rauchende
Schornsteine auf, Zeugen einer rastlos schaffenden
Gegenwart. Wohlgefällig schweift der Blick über
grünende Felder. Trefflich gehaltene Wege führen
zum Ziel: alles das Werk des Gutsherrn, der dort
trotz aller Anforderungen seines hohen Berufs immer-
zu mit Anregung, Aneiferung und wachendem Blick
fördernd zu wirken weiß. Kein Geringerer ist es,
als des Deutschen Reiches gekröntes Haupt, Kaiser
Wilhelm der Zweite, der hier in Kadinen Landwirt-
schaft und Industrie zielbewußt vermählt liat. Na-
mentlich der industrielle Teil der Gutswirtschaft hat
längst einen Ruf weit über die engen Grenzen des
heimischen Bezirks hinaus erlangt. Die Erzeugnisse
der Kaiserlichen Majolikafabrik bilden einen ge-
suchten Artikel auf dem keramisc.hen Markt, und so
manche öffentliche und private Gebäude im weiten
Deutschen Reich sind geschmückt mit den glasierten
Kacheln, die dem Brennofen von Kadinen ent-
stammen; auf dem Tisch der Reichen wie in dem
bescheidenen Haushalt der unteren Klassen findet
sich geschmackvolles Gerät, geschaffen in der Werk-
statt des kaiserlichen Industriellen zu Kadinen.

Kaiser Wilhelm steht also zur Industrie in einem
persönlichen Verhältnis. Er darf sich selbst einen
Industriellen nennen. Und mit Recht spricht der
Gutsherr von Kadinen auch voll Stolz von seiner
keramischen Musteranstalt, die er geschaffen und
Wirken auf die heute bereits erlangte Höhe gehoben hat.
der Industrie aber auch sonst das regste Ver-
ständnis und Interesse entgegen. Deutschlands
Herrscher ist ein durchaus modern denkender
Mann. Als solcher hat er klar erkannt, wie
wichtig es für ein Volk ist, dessen Seelenzahl
Jahr um Jahr um rund 900 000 zunimmt,
dessen Bodenfläche aber heute nicht größer
ist als vor vier Jahrzehnten, da die Bevöl-
kerung wenig mehr alsvierzigMillionen zählte,
Beschäftigung, Arbeitsgelegenheit, Erwerbs-
möglichkeit zu schaffen. Als die unter den
Waffen geeinten deutschen Stämme mit Blut
und Eisen das feste Band schmiedeten, das
sie heute im Reich zusammenfaßt, da konnte
man Deutschland mit Fug und Recht einen
Agrarstaat nennen. Denn weit über die Hälfte
der Bevölkerung lebte ausschließlich von land-
wirtschaftlicher Beschäftigung, und die in der
Industrie tätigen Volkskreise bildeten eine
verhältnismäßig schwache Minderheit.

Was bedeutete damals überhaupt die
deutsche Industrie? Wohl gab es Produktions-
zweige, deren Erzeugnisse im Inland und Aus-
land rühmlich bekannt waren und guten Ab-
satz fanden. Aber zahlreiche Bedürfnisse
mußten die Deutschen aus fremden Ländern
decken. Namentlich Englands Industrie be-
herrschte den Markt; den deutschen, den euro-
päisch-festländischen, den Weltmarkt. Der
Umschwung in der Wirtschaftspolitik, der
sich unter Kaiser Wilhelm dem Ersten Ende
der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts
vollzog, der Übergang vom Freihandel zu
einer Politik des Schutzes der nationalen Wirt-
schaft durch Zölle, hat den Grund gelegt zu
der Blüte, deren sich heute Industrie und Land-
wirtschaft erfreuen. Als in den achtziger

XXVII. E.-B. 2.

liegt in der
Waldesrauschen umfängt

Madonna, modelliert von L. Manzel. In farbiger Terrakotta ausgeführt.

vornehmlich durch eignes
Kaiser Wilhelm bringt

Jahren mehr und mehr deutsche Fabrikate auf dem Weltmarkt auftauchten,
glaubten die Engländer sich der von ihnen geringschätzig betrachteten Konkurrenz

leicht erwehren zu können, indem sie ihren I-Iandel
verpflichteten, die aus Deutschland stammenden
Waren mit dem Kennwort „Made in Germany“ zu
versehen. Aber was als Abschreckungsmittel zu
dienen bestimmt war, zeigte sich gar bald als ein
Mittel derReklame: die Käufer auf dem Weltmarkt
lehnten die Fabrikate, die den Stempel deutschen
Ursprungs trugen, nicht nur nicht ab, sondern sie
suchten sie vielmehr mit Vorliebe auf. Und schließ-
lich kam es soweit, daß englische Fabrikanten ihre
eigenen Produkte mit dem öminösen „Made in Ger-
many“ versahen, um dadurch den Wettbewerb auf
dem Markt bestehen zu können.

Industriefleiß eines Volkes bringt an sich noch
keinen Nutzen. Erst wenn für die in den Fabriken
geschaffenen Waren ein genügender Markt ge-
wonnen ist, wenn kauflustige und kaufkräftige Ab-
nehmer für die Industrieprodukte vorhanden sind,
vermag die Arbeit in den Werkstätten der Industrie
wertschaffend zu wirken. Denn Wert hat nur, was
von anderen Menschen zur Befriedigung bestehender
Bedürfnisse genügend anerkannt und in Anspruch
genommen wird. Natürlich kommt in erster Linie der
Markt des Inlanas in Frage. Aber zahlreiche Gebiete
der Industrie sind darauf angewiesen, Absatz im Aus-
land zu suchen. Hier muß der Handel der Industrie
tatkräftig und unternehmungslustig zur Seite stehen.
Es ist auch notwendig, der Industrie den Bezug der
erforderlichenRohstoffe möglichst bequem und preis-
wert zu gestalten. Bei weiten nicht alle Materialien
können überhaupt im Inland hervorgebracht werden.
Deshalb ist es nötig, Mittel und Wege ausfindig zu
machen, um dauernd für die Verarbeitungsindustrie —
und eine solche ist die deutsche vorzugsweise — die Rohstoffe sicherzustellen.
Endlich müssen die Arbeitsbedingungen im Inland möglichst günstig gestaltet

werden, um einerseits die Arbeiterkreise in
befriedigender Lebenshaltung, anderseits die
Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Aus-
lande erhalten zu können. Auch bedarf Handel
und Industrie des staatlichen Schutzes gegen
fremde Benachteiligung.

Die Berücksichtigung all dieser Gesichts-
punkte hat in den fünfundzwanzig Jahren der
Regierung Kaiser Wilhelms das Leitmotiv für
Bestrebungen zugunsten der deutschen Indu-
strie gebildet. Nicht nur durch diplomatischen
Verkehr, durch Handelsverträge und gesetzge-
berische Maßnahmen alfein trachtete Wilhelm
der Zweite die Produktions- und Absatzbedin-
gungen für die deutsche Industrie zu bessern.
Auch persönlich hat er, namentlich auf seinen
Reisen und im Verkehr mit maßgebenden
Persönlichkeiten des öffentlichen und des
wirtschaftlichen Lebens, unablässig danach
gestrebt, dem in dem jungen Deutschland er-
wachten Unternehmungsgeist die Bahnen zu
öffnen, die zum Erfolg führen. Das Beispiel
von Kadinen beweist, wiederKaiserauchdurch
persönliches Vorbild die Pflege neuer Indu-
striezweige anzuregen versteht. Welch un-
geheuren Aufschwung hat namentlich die
Eisenindustrie im letzten Vierteljahrhundert
genommen; nicht zuletzt dank dem förder-
lichen Interesse des Kaisers, der bei seinen
Reisen in den verschiedenen Teilen des
Reiches stets jede Gelegenheit wahrnimmt,
besonders gut angelegteundgeleitetelndustrie-
werke zu besichtigen — nicht als stiller Zu-
hörer, sondern als lebhaft in allen Einzelheiten
des Betriebes interessierter Besucher, mit
eigenem, auf sachliches Wissen begründetem
Urteil.

Paul Heydel: Königl. Majolika-Werkstätten in Kadinen.
Im Hintergrunde die Berge mit den Tonlagern
 
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