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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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20. Heft
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Saltzwedel, Hans: Frau Mytala, [3]: nach einer wahren Begebenheit erzählt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0603

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MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

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C. Röchling: Lord Seymour erteilt bei dem Rückzuge bei Tientsin den Befehl: The Germäns to the front. Copyright 1902 by Rich. Bong, Berlin.

Frau Myfala.

Nach einer wahren Begebenheit erzählt von Hans von Saltzwedel.

[Fortsetzung.] •

Kleine suchte seinen Wissensdurst und den der Kameraden
l erklären, indem er einwandte:

„Es kommt uns allen nur so komisch vor. Sie sieht doch
gar nicht danach aus.“ Dann kam er wieder auf Sobbe und schalt:
„Und trotzdem bildet sich der Schafskopp ein, fur ihn wäre sie auch
zu haben: bloß weil sie ihm gefällt! — Ganz weg war er gleich, wie er
sie auf der Straße sah, und als ihm der Westphal sagte, daß sie Lank-
witzen seine wäre, schwor er hoch und teuer, er würde sie ihm ab-
spenstig machen, und wenn der Spaß tausend Taler kostet. — So einer
denkt auch, für sein Geld kann er alles haben. — Bei der wird er sich
aber schön schneiden. — Und mit dem Lankwitz ist auch nicht zu spaßen.“
So redete er sich immer mehr in Eifer, während ich schweigend neben
ihm herging. Was sollte ich ihm erwidern? — Am liebsten hätte ich
natürlich all das Gerede von einem Verhältnis meines Freundes zu der
schönen Unbekannten für bösen, ganz ungerechtfertigten Klatsch erklärt;
angesichts der vorliegenden Tatsachen hätte ein solcher Versuch jedoch
nicht die geringste Aussicht auf Erfolg gehabt. — Und wußte ich selber
nicht am besten, daß sie recht hatten mit ihrer Annahme? — Aber gerade
das empörte mich ja am meisten, daß ich ihnen recht geben mußte, ihnen
das Recht zugestehen, sie das Verhältnis meines Freundes zu nennen,

sie, die-? — „Proberg, du bist ein Narr!“ Beinahe hätte ich es

wieder laut gesagt —, heute nun schon zum zweiten Male! — An
keinem andern Tage meines Lebens bin ich mir selber aber auch so
närrisch vorgekommen.

Copyright 1913 by Rich. Bong.

In der darauffolgenden Nacht habe ich sehr wenig geschlafen und
sehr viel hin und her gedacht. Gegen Morgen war ich dann endlich zu
dem Entschlusse gekommen, dem Freunde bei Tisch offen zu sagen, daß
man hinter sein Verhältnis gekommen sei, und er alle Veranlassung habe,
vorsichtig zu sein. Natürlich hatte ich mir eingeredet, solch edle Offen-
heit lediglich unserer Freundschaft schuldig zu sein.

Was die eigentliche Triebfeder meines damaligen Handelns war, ist
mir erst sehr viel später klar geworden und ebenso, daß ich mich damals
geflissentlich selbst belog. Ob ich mir dabei auch glaubte, weiß ich heute
noeh nicht.

Kurzum, als Lankwitz weder an jenem noch an dem darauf folgenden
Tage zu Tisch erschien, hielt ich es für meine Pflicht, ihn aufzusuchen,
und zu diesem Zwecke begab ich mich gegen sieben Uhr abends nach
der Wilhelmshöhe.

Dort setzte ich mich auf eine der in den Anlagen stehenden Ruhe-
bänke, von der aus ich den Weg nach dem Forsthaus übersehen konnte,
um das Paar zu erwarten.

Gleich nach Sonnenuntergang sah ich es aus dem Walde treten. Ich
saß ganz still, bis die beiden nahe herangekommen waren; dann erhob
ich mich mit einem laut gesprochenen „Guten Abend!“

Sie blieben überrascht stehen und sahen mich groß an, der Freund
mit dem Ausdrucke vorwurfsvoller Trauer in seinen ernsten Augen, und
vorwurfsvoll traurig klang auch seine Stimme, als er fragte: „Sitzt du
zufällig hier, oder hast du uns nachgespürt?“

Ich fühlte, wie mir die Schamröte in mein Gesicht stieg, und mußte
mich gewaltig zusammennehmen, um einigermaßen ruhig zu antworten:
„Ich wollte — ich mußte dich sprechen.“

„Und dazu lauerst du uns hier auf, statt mich in meiner Wohnung
aufzusuchen? — Woher wußtest du denn, daß ich diesen Weg kommen
würde? Hat man uns also wirklich schon ausspioniert? Was geht denn

mein Tun diese Menschen an? — O, wie-“

Hier unterbrach seine Begleiterin den Erregten, indem sie leicht ihre
Hand auf seine Schulter legte und ihn mit weicher, bittender Stirnme
beschwor:

„Liebster, nicht böse werden! — Daß es so kommen würde, hätten
wir uns ja denken können. — Gegen die hämische Neugierde der Mit-
menschen gibt es eben keinen Schutz!“

Ihre sanften Worte trafen mich wie Backenstreiche, und vor Scham
wäre ich am liebsten in die Erde gesunken. — Und dann richtete sie
ihren Blick auf mich; stolz und entschlossen blitzten mich diese großen
tiefblauen Augen an, und Stolz und Entschlossenheit drückte die ganze
hochaufgerichtete schlanke Gestalt aus, indem sie mir sagte:

„Also, Plerr von Proberg, sagen Sie nur Ihren Kameraden, sie
brauchten sich nicht weiter zu bemühen, uns auszukundschaften. Gut, ich
bin seine Geliebte. — Damit aber sollen die Herren sich auch zufrieden
geben und uns fortan in Ruhe lassen. — Niemand braucht von uns etwas
zu befürchten; selbstverständlich werden wir alles vermeiden, woran irgend
jemand Anstoß nehmen könnte. — Guten Abend, Herr von Proberg!“
Das Übermaß dieser Demütigung gab mir endlich die Kraft, mich zu
energischer Gegenwehr aufzuraffen. — Ganz so erbärmlich war mein Tun
denn doch nicht, wie die beiden glaubten, das mußte ich ihnen beweisen;
denn nie hätte ich es verwunden, mich von meinem Freunde ■— mich vor
allem von diesem stolzen Weibe so niedrig geschätzt zu wissen.

Ich wich also nicht zur Seite, als sie Miene machten, weiterzugehen,
sondern blieb trotzig mitten im Wege stehen und sagte fest, wenn auch
voll aller der Ehrerbietung, die ich unwillkürlich gegen diese mir uner-
ldärliche Frau empfand:

„Verzeilien Sie, gnädige Frau; so aber kann ich denn doch nicht
von Ihnen scheiden. — So dürfen Sie mich nicht beurteilen, und auch
dich, Lankwitz, muß ich bitten, mich nicht ungehört zu verdamnien. Nicht
Neugierde oder hämische Freude am Klatsch haben mich hergeführt,
sondern —“, daß ich jetzt nicht die volle Wahrheit sagte, empfand ich
wohl deutlich, was aber die Wahrheit war, das wußte ich in dem Augen-
blicke nicht, als ich nach kurzem Stocken fortfuhr: „sondern lediglich
der Wunsch, euch zu warnen, — euch wissen zu lassen, daß euer Ver-
hältnis bekannt geworden ist“.

Während er mich noch zweifelnd ansah, ergriff sie kurz entschlossen
wieder das Wort:

„Nun, Herr von Proberg, ich will Ihnen glau'ben. -— Sie sind ja auch
Josephs Freund, und werden für ihn eintreten, wo es nottut. Um micli
brauchen Sie sich nicht zu kümmern; denn mir ist es ganz gleichgültig,
was die Menschen von mir denken und sprechen. — Ich bin stolz darauf,
von ihm geliebt zu werden — so oder so!“

Bei diesen Worten ging eine Hoheit von ihr aus, die mich vergessen
ließ, welche Art von weiblichem Wesen vor mir stand und mich mit
einer Ehrfurcht erfüllte, der Ausdruck zu geben ich die passenden Worte
nicht gleich zu finden vermochte. Danach suchend, blickte ich auf meinen
Freund. Auch er schien bezwungen von derHoheit dieser Frau, die sich
so stolz seine Geliebte nannte. Ehrfurchtsvoll beugte er sich über ihre
Hand, und dazu sprach er nur die beiden kurzen Worte:

„Mein Mytala!“ die aber sprach er mit einer zu Herzen gehendcn
Innigkeit.
 
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