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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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12. Heft
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Brunnemann, A.: Französische Monumentalmalerei
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Goldstein, Moritz: Der Dichter in der Dichtung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0353

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154

MODERNE KUNST.

die Gesetze
der f rüh-

italieni-
schen Fres-
kenmalerei
und der
herrlichen
Teppich-
vvirkerei,
die ja auch
nur die-
nende
Glieder der
Architektur
sein woll-
ten. Puvis
de Chavan-
nes sucht
große, ru-
hige, ein-
heitliche
Gestalten
und Gesten
in das We-
sentliche
treffenden
vereinfac’n-
ten Linien
festzuhal-
ten. Erhebt
das Typi-
sche der
Menschen
und Vor-
gänge groß
und feier-
lich heraus
und breitet

um sie eine schlichte, gleichfalls zu großen, ruhigen und doch unendliche Per-
spektiven eröffnenden Linien zurückgeführte Landschaft. Seine Bilder unter-
brechen nicht durch plötzlich hereindringende Lebensfülle die erhabene Feier-
lichkeit ihres architektonischen Rahmens — des Pantheon, der Sorbonne —,
sondern erhöhen nur die Feierlichkeit ihrer Wirkung, indem sie vom Menschentum
ewige Gesten, große, unverrückbare Empfindungseinheiten geben und das Leben
zu harmonischer Idealität steigern.

Seine formenstrenge, von erhabenem fylaß und Wohlklange durchdrungene
Kunst ruft Wirkungen hervor, wie sie etwa Winckelmann von der „edlen
Einfalt und stillen Größe“ griechischer Statuen empfing. In bezug auf die
Farbengebung befolgte Puvis de Chavannes dasselbe Prinzip harmonischen
Einfügens in den architektonischen Rahmen. Da, wo dieser strenge Linien und
nur matte Stein- und Mauerfarbe bietet, erscheinen die auf wenige gedämpfte
Farbentöne beschränkten Malereien des Meisters in stimmungsvollem Einklang
mit ihrer Umgebung. Architektonisch stärker gegliederte freundlichere Räume
aber dürfen, ohne gegen die alten Gesetze der Wandmalerei zu verstoßen, leb-
haftere Bilder mit reic’neren Farbentönen aufnehmen. Schon Besnard entfaltet
den vollen Zauber impressionistischer Farbenfülle mit all den Flimmertönen des
über die Dinge gleitenden zitternden Lichtes. Uenri Martin und Maurice Denis
sind gleichfalls als lmpressionisten anzusprechen, die alles Zeichnerische meiden
und die strenge Umrißlinie Puvis de Chavannes in weiches Geflimrner auflösen.
Guillaume Dubufe endlich, der eingangs Erwähnte, dessen hauptsächlichste
Werke hier vorgeführt werden, bevorzugt neben Iebhaftem, freudigem Kolorit
wiederum die graziöse Linie der Meister des Rokoko, eines Watteau, Boucher
oder Fragonard. Darum erscheint er gerade als berufen, Räume festlicher
Geselligkeit auszuschmücken. Im Jahre 1853 zu Paris geboren, wandte er sich
als Schüler seines Vaters Edouard Dubufe frühe der muralen dekorativen
Malerei zu und gewann gelegentlich der Weltausstellung von 1889 die goldene
Medaille für seine Entwürfe zum Festsaale des Elysee, zum Pariser ITötel de
Ville und zur Sorbonne. Einen ebenso großen Erfolg errang er mit den Decken-
malereien für das Foyer der Comeaie francaise. Mit Meissonier und Puvis de
Chavannes begründete er 1890 die Societe Nationale des Beaux-arts, in der er
1899 mit seiner schönen Apotheose des im Jahre vorher verstorbenen Meisters
der Wandmalerei hervortrat. Weitere Entwürfe zu allegorisch-dekorativer
Malerei folgtcn im Jahre 1906, „Poesie und Musik“ und „Malerei und Skulptur“
darstellend.

Bereits 1909 wurde Dubufe von seinem unermüdlichen Schaffen durch
den Tod abgerufcn. Mit dichterischer Phantasie begabt, erscheint er als glück-
licher Erbe französischer Anmut und harmonischer Ausgeglichenheit und
wußte sich auch in ernsteren allegorischen Kompositionen zu edelster Idealität
zu erheben. A. Brunntmann.

2)er ‘Dichter in der Dichtung.

Von Dr. Moritz Goldstein.

[Nachdnick verboten.]

J/Vor zwanzig Jahren spielte in den Witzblättern vom Schlage der „Fliegenden“
V eine große Rolle der Dichter, der hungernd, frierend und begeistert in ärm-
licher Dachkammer hauste und auf Ruhm und Honorar wartete; im Bilde erschien
er als hagere Gestalt mit scharfgebogener schmaler Nase, langen Ilaaren und einem
stark heraustretenden Adamsapfel. Prüft man dieses volkstümliche, ein wenig
karrikierte Porträt auf seine Herkunft, so entdeckt man bald, daß es kein ge-
ringerer als Schiller ist, dessen charakteristische Erscheinung den Typus des
Poeten hat formen helfcn. Aber auch für den inneren Habitus des Idealisten
gibt es ein festes Schema: er lebt und schafft im Rausche, mühelos, er kcnnt
die Arbeit nicht, die Muse hebt ihn über den Alltag und die Welt der Dinge
weit hinaus. Und auch hierfür können wir das Muster nachweisen: Goethe
dichtete so, und sein Beispiel ist schuld daran, daß der Philister auf den Poeten,
der sich seine Werke erarbeiten muß, mit einiger Geringschätzung herabblickt.

Inzwischen hat sich die populäre Darstellung vom Dichter gewandelt. Die
Epoche des Naturalismus brachte uns die Bohemiens, die ungewaschen und un-
gekämmt in den Cafös herumlümmelten, und danach oder daneben tauchte der
Salonpoet auf, der müde Ästhet, gepflegt und nach der Mode gekleidet, ein
Typus, auf den vielleicht d’Annunzio eingewirkt hat.

Daß man dem Dichter überhaupt so oft in den Witzblättern begegnet, ist ein
Zeichen dafür, wie sehr die Phantasie der Gegenwart sich mit dieser Art Mensch
beschäftigL Und hierl'ür liegen die Gründe tiefer und sind keineswegs erfreulich.

Jede Zeit braucht ein Heldenideal, den Heros, den vorbildlichen Menschen,
in dem sich die tiefsten Wünsche des Volkes verkörpern, dem es Bewunderung
und Verehrung darbringen kann. Während aber früher wirkliche Helden be-
sungen wurden, Tat- und Ivraftnaturen, gilt der neueren Zeit melir und mehr
der Produktive als eigentliche Blüte des Menschentums, also der Künstler und
besonders der Dichter. Die Kunst gelangt allmählich dahin, sich selbst zum
Objekt der Darstellung zu wählen, und dieses Singen und Sagen, nicht von
Männern, sondern von Poeten, ergibt einen Zirkel, der am Ende zur Setbst-
aufhebung der Kunst führen müßte.

In älteren Zeiten taucht der Dichter nur selten und als Nebenfigur in den
Dic’ntungen auf. Ilorner etwa führt im Flofgesinde des Königs der Phäaken den
Sänger Demodokos ein, der nach dem Festmahle hervortreten muß, um dem
Gast Odysseus zu Ehren von dem hölzernen Rosse zu singen, durch das Troja
fiel. Shakespeare läßt einmal im Timon von Athen einen F*oeten auftreten; aber

G. Dubufe: Studie für den Plafond des Theatre Francais.

G. Dubufe: Zeichnungen für den Plafond des Theatre Francais,
 
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