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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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4. Heft
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Haenel, Erich: Moderne Monumentalmalerei
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Kumming, A.: Das alte und das neue Moskau
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0107

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42

MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

43

Otto Gussmann: Einzug in Jerusalem,
Große Kunstausstellung Dresden 1912.

nisse dem Menschen die echte-
sten und feinsten künstlerischen
Genüsse erschließen kann, so
wird die Monumentalmalerei
nur dann einen eignen und be-
deutenden Stil erlangen, wenn
sie die Wirkungen der Archi-
tektur aufnimmt und in ihrer
Weise, als Kunst der Fläche,
umbildet, vertieft und erweitert.

Der Aufgabe aber, eine be-
stimmte Fläche im Zusammen-
hang mit einem architektoni-
schen Rahmen zu gliedern und
zu beleben, bieten sich im all-
gemeinen zwei Wege der Erfül-
lung. Die eine Auffassung nimmt
die Wand als gebundene Fläche,
die zwischen bestimmten fest-
gefügten Bauteilen die Funk-
tion des Begrenzens, des Ab-
schließens hat. Demgemäß sucht
sie auch die Fläche als solche
zu behandeln, das heißt sie ver-
meidet in ihrem Bilde die 111 u-
sion des Dreidimensionalen, die
Darstellung des räumlich Ver-
tieften, und betont die Erschei-
nung des sich in einer Ebene
Abspielenden, des Frieses oder
Reliefs. Damit hängt dann natür-
lich ein Verzicht auf realistische
Ausführung zusammen. EinVer-
einfachen des Naturbildes tritt
ein, das Unwesentliche scheidet
zugunsten der typischen Formen
und Gebärden aus, ein Stilismus
rückt an die Stelle des Natura-
lismus. Und dieser Stilismus
äußert sich nicht nur in der
Wiedergabe der menschlichen
Erscheinung, sondern mehrnocli
in derjenigen der Umwelt, des
Raumes, der Landschaft. Die
Folge wird sein, daß ein der-
artigesMonumentalbild den Cha-
rakter einer eigenartigen, ins
Bedeutende gesteigerten Wirk-
lichkeit erhält, daß die so be-
handelte Fläche nicht als eine
selbständige künstlerische Po-
tenz, sondern als organischer
Teil eines struktiv bedingten
Ganzen, eben des architektoni-
schen Raumes oder wenigstens
der architektonisch gegliederten
Wand wirken wird. — Die
zweite Form wird, im Gegen-
satz zu jener, dem im Wand-
bilde geschilderten Vorgange
die schärfsten Akzente dcr
Wirklichkeit verleihen. Sie

öffnet die Wand zu einer neuen, imaginären Raumeinheit und sucht in dieser
die Illusion eines Geschehens in voller Deutlichkeit zu erreichen. Die so wieder-
gegebene Erscheinung oder Handlung aber wird sich in möglichst drastische,
einfache Linien und Töne kleiden müssen, wenn sie nicht zu einer trocknen
Imitation der Natur herabsinken soll. Aucli in einem solchen Monumentalbilde
muß man den Geist spüren, der den Charakter des umgebenden Bauwerks
bestimmt hat, dje Einheit der künstlerischen Weltanschauung, die wir mit dem
Worte „Stil“ zu bezeichnen pflegen.

Die hier, in flüchtigen Zügen skizzierten Wesensbesonderheiten der Monu-
mentalmalerei sind nicht das Ergebnis eines weltfremden ästhetischen Dogma-
tismus, sondern die Quintessenz der Betrachlungen, die ein Rückblick auf den
Werdegang dieser ehrwürdigen Kunstart uns vermittelt hat. Das I afelbild, d. h.
das bewegliche Bild, ist ein Kind der Renaissance. Die Antike und das Mittel-
alter fand ihre bedeutendste Betätigung auf dem Gebiete der Flächenkunst in
der Wandmalerei, neben der sich nur die Buchmalerei als seibständiger Kunst-
zweig zu größerem schöpferischen Leben entfaltete. Während die antike Malerei
nicht so sakralen Bedürfnissen diente als der Aufgabe, die Räume heiterer


m


w . JT,

V.« • ;

Lebensgenüsse künstle-
risch durch ihre Schöpfungen
zu veredeln, schuf sich die christ-
liche Weltanschauung in der byzantini-
schen Malerei ein Instrument, mit dem sie
dem Organismus der basilikalen Kirche das
Gepräge feierlichster Würde, in Pracht und Er-
habenheit starrenden Majestät verlieh. Fast ein
Jahrtausend lang haben die strengen, durch das Mate-
rial, die Technik des Mosaik, so bedingten Formen der
byzantinischen Kunst das Ideal kirchlicher Innenausstattung
bestimmt. Der Florentiner Giotto war der erste, der dies
starre Schema durchbrach, und an die Stelle goldglitzernder
Schemen wieder lebendige Menschen, in Furcht und Hoffnung,
in Liebe und Ilaß bewegte Menschen setzte. Ein Jahrhundert später
croberte sein Landsmann Masaccio diesem neuen Geschlecht auch
die Erscheinung plastischer Natürlichkeit und eines, in Tiefe und
Breite als Schauplatz dienenden Raumes. An ihn schließt sich die
große Schar der Meister des Quattrocento: Botticelli, Fra Filippo Lippi,
Ghirlandaio — in Orvieto der gewaltige Signorelli, in Padua der Pionier
der Perspektive, Mantegna, in Umbrien der heiter-fromme Perugino, in
Rom der schwungvolle Melozzo. Diese an Individualitäten und Stilen so
überreiche Entwicklung gipfelt einerseits in Raffael von Urbino, der in
seinen vatikanischen Fresken aus dieser Summe von Streben nach Wahr-
heit und Größe des Ausdrucks das Resultat zog, und in Michelangelo, dem
Manne des Schicksals für die Renaissance, in dessen titanischen Werken
schon der Keim der neuen künstlerischen Weltanschauung, des Barock,
iiegt. Während die römischen Nachfolger dieser beiden im Mamerismus
enden, treibt die Monumentalmalerei in der Kunst der Lagunenstadt Venedig,
die ein Tizian, Paolo Veronese und Tintoretto verkörpern, noch einmal eine
an Duft und Farben berauschend üppige Blüte. Die Grazie und Lebenslust
des achtzehnten Jahrhunderts findet dann in Tiepolo ihren diesseits wie
jenseits der Alpen gleich magistral und stilsicher schaffenden Propheten.

Die deutsche Kunst besitzt aus jener Zeit, als Italien das Reich des Schauens
beherrschte, nur wenige Denkmäier der Monumentalmalerei. Der gotische Stil,
der die Fläche in ein System von Vertikalen auflöste, die Wand durch lenster
und Pfeiler verdrängte, konnte wohl der Glasmalerei, nicht aber der Wandmalerei
Raum zur Entfaltung geben. In der Zeit des Aufschwungs, als Dürers Auge
die Welt des Sichtbaren eintrank, war Hans Holbein der einzige, der, Anregungen
des Südens folgend, die neugewonnene Kraft der Darstellung auch monumentalen
Aufgaben zuwandte. Denn Dürers Vier Apostel sind, so gewaitig in horm und
innerem Gehalt, doch als Tafelbilder gedacht. Das siebzehnte Jahrhundert sah
als Vertreter germar.ischen Geistes nur Rubens, den vlämischen Malerfürsten,
das monumentale Erbe der Spätrenaissance verwalten. Erst irn vergangenen
Jahrhunderte brachte die Gruppe der deutschen Präraffaeliten, die sich in Rom
um Cornelius, Schnorr von Carolsfeld, Overbeck, Veit u. a. gebildet hatte, die
Erinnerung' an die raumbeherrschende Kunst der Italiener und ihre Schönheiten
zurück. Was sie aber an Größe der Form und des Geistes ihr entnahm, mußte
sie mit dem Verlust an farbiger Kraft bezahlen. So bleibt Alfred Rethel, der

Meister der Fresken im
AachenerRathause, dereinzige,
der als ein selbständiger Schöpfer
der Gegenwart einen wirklich reifen
und lebensfähigen Monumentalstil hinter-
lassen hat.

In der Dresdner Ausstellung war es nicht ge-
lungen, vom Stande der Monumentalmalerei unserer
Tage ein lückenloses Bild zu geben. Einige hervor-
ragende ihrer Meister fehlten: so von den Münchnern
Ludwig Herterich, dann Fritz Erler, Walter Georgi und die
farbenfreudigen Künstler der „Scholle“, von Berlin Iiugo
Vogel, Artur Kampf. Unter denen, die sich in größerem Um-
fange beteiligt hatten, stehen an erster Stelle Ferdinand Hodler
und Albin Egger-Lienz. Beide kommen aus dem Gebirge, beide
finden im Boden ihrer Heimat die starken Wurzeln ihrer Kraft.

Hodler, der Schweizer, hat sich in die große geschichtliche Ver-
gangenheit seines Volkes versenkt: er schildert nicht nur die Natur
der Alpen und den Kampf des Menschen mit ihren Schrecken, sondern
er weiß das trotzig-finstere Heldentum der Schweizer in den Kämpfen
des späten Mittelalters mit überwältigender Größe des Ausdrucks zu
schildern. Egger-Lienz erzählt in gewaltigen Symholen von dem Leben
des Tiroler Bergvolks, das für seinen Glauben und seine Scholle den
letzten Blutstropfen hergibt. Aber auch eine Szene aus dem Nibelungen-
lied, den Einzug König Etzels, gestaltet er zu einem prachtvoll-einfachen
Bilde primitiver Tragik. Ein höchst individuelles Kolorit, das nur die Töne
Rot, Braun und Schwarz verwendet, gibt seinen Werken einen besonderen
Reiz. Im Gegensatz zu diesem Epiker der Malerei sehen wir bei dem
heiteren Schweden Karl Larsson ein lyrisches Element in bunten Bildern
ausströmen, Schöpfungen, die an feinen Einzelbeobachtungen unendlich reich
sind. Der Schwabe Otto Gussmann wieder, der in Dresden eine angesehene
Schule gebildet hat, sucht mit Erfolg Größe der Form mit einer kraftvollen und
lebendigen Farbe. zu verbinden. Louis Corinth kommt, wie der Spanier Zuloaja,
von der „absoluten Malerei“. Aber ebenso wie er in seinem Altarbild für Tapiau
die Gestalten der Apostel Paulus und Petrus im Sinne protestantischer Religiosität
in monumentaler Charakteristik neu belebt, gelingt es jenem, dem künstlerischen
Enkel des Velasquez, den bigotten Fanatismus des katholischen Spanien in seiner
unheimlichen Kraft im Bilde zu verkörpern. Der Franzose Maurice Denis und
der Weimarer Ludwig von Iiofmann sind wesensverwandte Künstler. Beiden
ist die sinnlichfrische Freude an der freibewegten, unverhüllten Menschengestalt
eigen, beide schaffen sich eine Welt arkadisch freien Lebensgenusses, über der
ein ewig blauer Himmel lacht, und -deren Blütenpracht nie verwelkt.

Dies sind nur einige der Charakterköpfe unter den Malern, die heute im
Rahmen der Architektur das Schmückende mit dem Gewaltigen in sichtbarer
Form zu verbinden streben. Bleiben sie den Gesetzen, die eine mächtige Tradition
niedergeschrieben hat, getreu, werden sie .auch zu dem höchsten aller Erfolge
gelangen: die Fülle ihres eignen, inneren Wesens so in neue Form zu gießen,
daß ihr Werk als ein, von menschlichen Händen Unberührtes, von zeitlichen
Veränderungen Unabhängiges, nie Vergängliches erscheint.

2as

alteunddasneue
Moskau.

Von A. Kumming.

„ A\ütterchen“ Moskau ver-
dient eigentlich den Namen „Ur-
großmütterchen “, denn seine
Geschichte beginnt schon im
zwölften Jahrhundert. Seitdem
hat es viel erlebt, viel Blut
fließen und viele Großfürsten und
Zaren krönen sehen, darunter
am 8. März 1613 den jugend-
lichen Michael Feodorowitsch,
den ersten Zar aus dem Hause
Romanow. Tataren, Mongolen,
Polen und Franzosen sind selir
ungalant mit dem Mütterchen

__umgesprungen, haben ihm eine

'.'ä'' t• '&eBR.«SsBSBI Fülle von Ungemach bereitet,

haben es eingeschlossen, über-
| ■ r’aBBMB wältigt, beraubt und in Brand

gesteckt, haben sich alle er-
denkliche Mühe gegeben, die
Früchte seines Fleißes zu ver-
nichten, haben seine Kinder
ausgehungert, dezimiert, in die
Gefangenschaft geführt und zu
Sklaven gemacht, und die Kin-
der selbst sind auch nicht die
friedfertigsten untereinander ge-
wesen, aber Matuschka Moskau
hat alles ertragen, sich immer
wieder emporgerafft und sich
so vortrefflich konserviert, daß
heute Spuren seiner Leiden
kaum wahrnehmbar sind.

Vor hundert Jahren, am
27. September 1812, zog Napo-
leon mit seinen Garden in Mos-
kau ein. Bereits am Abend des
Einzugstags loderten gewaltige
Flammen zum Himmel empor —
die Stadt brannte, und der Brand
breitete sich mit furchtbarer Ge-
schwindigkeit aus, da er an den
Holzhäusern reichste Nahrung
fand. Innerhalb vier Tage wur-
den mehr als sechstausend Häu-
ser, drei Viertel der Gesamt-
zahl, in Asche gelegt. Nur die
massiven Bauten, meist Kirchen
und Klöster, Repräsentanten des
alten Moskaus, blieben von dem
Feuer verschont. Die Russen
behaupten, daß der Brand eine heroische Tat des damaligen Statthalters von
Moskau, des Grafen Rostoptschin, gewesen sei, d_er den Feind der Winter-
quartiere habe berauben wollen, die Franzosen aber versichern, daß er seine
Ursache in der Unvorsichtigkeit einiger Garden gehabt habe. Jedenfalls hielt es
Napoleon unter den obwaltenden Umständen für besser, die Stadt unter Mit-
nahme aller Kloster- und Kirchenschätze, zu denen einige Tausend Zentncr
Silber gehörten, schleunigst zu räumen, ein Entschluß, mit dessen Ausführung am
25. Oktober begonnen wurde. Vor dem Abzug erging der Befehl, den Kreml, dieses
Moskau beherrschende Forum, mit seinen Kathedralen, Klöstern und Palästen,
sowie eine Anzahl hervorragender Gebäude der Stadt in die Luft zu sprengen.
Der Befehl bezüglich der Gebäude wurde umgangen. Den Kreml zu sprengen
gelang nicht, denn die Minen blieben so unwirksam, daß jede Spur des ange-
richteten Schadens schon unter Kaiser Alexander I. verwischt werden konnte.
Auch erhielten die einundzwanzig Klöster und vierhundert Kirchen und Kapeilen
mit Hilfe der unablässig den Feind verfolgenden Kosaken die entführten Schätze
zurück. Und an Stelle der niedergebrannten Häuser erhoben sich bald neue,
meist wie die alten in Holz ausgeführt. Keine zehn Jahre waren vergangen, so
 
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