Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
18. Heft
DOI Artikel:
Brennert, Hans: Berliner Frühling
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0519

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
<shs>‘2) Qierfiner

{Fräßfing. <£> <£)<$)

cVon äJfans cBrenneri.

[Nachdruck verboten.)

nK^w er Berliner Frühling hebt an in einem ganz bestimmten Augenblick. Er
hebt nämlich eigentlich an in dem Augenblick, da sich die Berlinerin
den Frühlingshut kauft: den Hut, unter dem sie diesen kommenden
Frühling verleben will, der ihren eignen ewigen Frühling behüten soll. Das
erste blaue Stückchen Himmei, das wie Lenzhimmel ausgieht, lugt noch nicht
aus den Wolken — und schon sieht man eines Tages, wie es von allen Seiten
heranschwärmt und einfliegt in das große Riesenwarenhaus, das gestern seine
Frühlingshüte angezeigt hat. Hunderte, tausende Mädchen, Fräulein, Frauen,
Damen trippeln, hasten, eilen, rauschen herbei — die Straße vor den Eingängen
ist ganz schwarz: man weiß gar nicht, wieso und woher sie alle so auf einmal
kontmen. Die Straße sieht mit einem Male ganz anders aus: tausende hübscher
Frauengesichter sind auf einmal da — es ist so wie auf dem Lande, wenn
man eines Tages erfreut ausruft: die Schwalben sind da.

Aber in Berlin sind es die Frauen, die den Frühling machen, indem sie
gehen den Frühlingshut kaufen. Eigentlich wollen sie ihn noch gar nicht kaufen.
Sie wollen nur: sich etwas ansehen. Und wenn sie dann aus dem Huthause
herauskommen, haben sie sich einen bestimmten Hut so genau angesehen, daß
er ihnen plötzlich auf dem Kopfe sitzt — Frühlingszauber!

Mit diesem Hut schreiten sie nun hinein in den Berliner Frühling: sie
schreiten ihm entgegen und seiner weichen Luft, die durch diese steinernen
Straßen ebenso weht, wie sie im Friihling über Bergwiesen oder Meeresdünen
dahinstreicht. Sie wandeln mit diesem Hütchen, das manchmal ein sehr großer

E. H. Zirkel: Im Vergnügungspark.

Hut ist, durch alle tausend Straßen dieser großen Stadt, in der es noch ein paar
Lichtungen gibt, auf denen frühlingsgrüner Rasen grünt und knospende Bäume
sich gen Himmel recken, und ein paar Alleen mit richtigen sprossenden Büschen
und Wipfeln. Und es gibt noch den Tiergarten für die retchen Leute und den
Friedrichshain, der der Tiergarten der kleinen Leute ist. Hier pfeifen Berliner
Stare, jagen sich schwarze Berliner Amseln, und hier ist noch richtiger Berliner
Frühling mit blühenden Hecken und blütenweißen Wipfeln — richtiger Frühling
in Berlin! Und auf allen Wegen in Wägelchen und an sorglicher Iiand trippelnd
Nesthäkchen und die Kleinsten der Kleinen, in denFrühling hineinkrähend: auch.
ein Berliner Frühling!

XXVII. Fr.-Nr. 55.
 
Annotationen