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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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25. Heft
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Seyfont, Paul: Sommerfrische: Plauderei
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0773

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MODKRN K KUNST.

Sommer-

frische.


Plauderei von

)|urcii das weit geöffnete Fenster quillt

mit dem warmen Morgensonnen-
gold der Duft von Thymian und Dill,
von Bohnenkraut und Melisse, der wür-
zige Atem eines ländlichen Küchengärt-
leins, in das Zimmer. Das Bächlein
drüben rauscht und blinkert, Schvval-
ben schießen über die bunte Wiese,

Mücken haschend, irgendwo, im Blau
des Himmels verloren, trillert uner-
müdlich eine Lerche. Auf allen Gräsern
funkelt noch der Tau. Und nun schlägt's
im Dorfe von dem Kirchturme, vier dünne,
scharfe Schläge erst, ein wenig hastig, und
dann breit ausholend, in gemessenen Zvvi
schenräumen sechs sonore, behäbige Klänge.

Ich stelle die Kaffeetasse aus der Hand, es ist
nocli solch ein Goliath von Tasse aus Großvaters
Tagen, mit roten und grünen und goldenen Blumen
girlanden, lange mir von der Wand die l'abakspfeife, stopfe
sie und zünde sie an und lehne mich nun zum Fenster hinaus.

Das Dörflein, ein rechtes, altes Thüringer Dörflein, schmiegt

sich die grüne Talschlucht hinan, sich wohlig dehnend, aus hundert

Tanzboden im Walde.
Thot. Rud. Jobst. Wien

blanken

Paui de Seyfont.

[Nachdruck verboten.]

jagen sich, und wie sie nun die Flucht der
steinernen Stufen hinaufeilen, da klap-
pert's von ihren Holzpantoffeln klick-
klack, klick-klack, daß man kaum noch
ihr Lachen und Plaudern hört. Icli
gehe den letzten nach und summe
vergnügt v'or mich hin Tauberts aites
evvig junges „Bruder Jakob, schläfst
du noch, bimbambum“. Der Lärm
im Schulzimmer verstummt jäh, eine
Männerstimme spricht zu den Kindern,
eine Geige vvird gestimmt, nun sind die
Quinten rein, und wie jubelnd klingt’s
von all den frischen Kinderstimmen: „Blaue
T.uft, Blumenduft und der Winde Weh’n.“
Und höher steige ich und höher, die grüne
Matte steil ernpor, wo ein letztes Häuschen ragt.
Ganz unten liegt das Dorf, kaum sind die Mensch-
lein noch zu sehen. Hinten, ferner und ferner, blauen
Hügel und Berge, durch grüne Wiesen schlängeln sich die silber-
nen Bächlein, schvvarze Wälder stehen am Horizont, kerzen-
gerade Fichten, wie drohend emporgereckte Speere, und das
Sonnengold webt in ihren Wipfeln, als blitzte das blanke Erz der Waffen her-
über. Jetzt in der Tiefe ein keckes Trompetensignal: der Kuhhirt bläst seine
Herde zusammen, und nun läuten die Giocken und Glöckchen zu mir hinauf, ein
sanftes, summendes Tönen und glashelles Klingeln, und es steigt bergan in

Fenstern blinzelnd, auf den roten Ziegeln der spitzen Dächer hier und dort
samtenes Moos, Tauben sonnen sich auf den Firsten, lüpfen die vveißen Flügel
und glätten das Gefieder. Ein leichtes Wölkchen bläulich-grauen Rauchs schwebt
iiber dem Ganzen, zerfließt und ballt sich aufs neue aus all den winzigen
Schloten, steigt die grünen Hänge hinan und ist verschwunden. Ganz oben, wo
der Wald dem Blicke cine Grenze zieht, die Kirche mit ihrem Schiefert.ürmchen,
daneben der Kirchhof mit seinen weißen Kreuzen, und um die Kirche
nim, als vvollten sie sie schützen, Haus bei Haus, mit saüberen
vveißen Wänden und dem braunen Gitterwerk der Balken.

Jenseits des Bächleins drüben das Försterhaus mit seiner
großen Scheune und dem Federvieh, das auf dem Hofe
scharrt und pickt und gluckst und kräht. Im Garten
spielt der Förster mit seinem jungen Hunde. Er
hat einen schlenkernden Hasenbalg in der Rechten,
die Linke hält das Meerschaumpfeifchen, und nun
vvirft er den abgebalgten Lampe in hohem Bogen
durch die Bäume, und der Hund bellt vor Freude
und springt mit lustigen Sätzen dem Balge nach,
faßt ihn und apportiert ihn vvieder. Ein Wäg-
lein knallt die Straße herauf, der Fuhrmann geht
nebenher und pfeift sich ein Lied. Und allgemach
beleben sich die Wege mehr und mehr. Schnitter
gehen, die Sense geschultert, die Jacke über die
Achsel hangend, zur Mahd, die F rauen, ein buntes
Tuch um den Kopf wie einen Turban gewickelt, tragen
Kiepen und grauc, bauchige Krüge. F.s läutet zur Schule

lu Gruppen zu zweien und dreien ziehen Buben und
Mädel, barnaupt, mit Ranzen und Leinwandtaschen, zum
Schuliiaus, das droben nebcn dcr Kirche vvinkt. Sie necken und

Bnuernliochzeit im Zillertal.

Phot. Rud. Johst. Wien.

lustigem

Im Grünen.
rbot. Rud. Jobst, Wicn.

Fluten und Durcheinanderwimmeln: weißbunte Kühe, dahinter die
hüpfenden Ziegen, zuletzt die schvvärzlichen Schafe. Irgendwo fällt
ein Schuß und rollt langhallend durch die 'l’alschlucht. Ich
liege in hohem, duftigen Grase, aus den Buchen vv reht
;s kühlend zu mir herüber, die Ammern und Finken
jauchzen und schlagen, dazwischen Grillengezirp und
der Brummbaß der Hummeln, und ich bin ein-
göschlafen. ... Nun ist die Sonne schon hinter
den Bergen, wie ein goldener Reif liegt’s auf
den Wipfeln der Fichten drüben. Vor den Türen
stehen die Männer mit der langen Pfeife und
rufen sich über die Gasse zu. Ein kleiner
sonnengebräunter Strohkopf treibt init einer
Peitsche die gackernden Gänse lustig vor sich
her. Vor dem Gasthaus steht eine Schar junger
Burschen und neckt sich mit den Mädeln, die
einander unterfassend, die ganze Straßenbreite
fullend, auf und ab gehen. Von der Kegelbahn
kracht’s herüber. Der Wirt, das gestickte Käppchen
auf dem weißen Ilaar, geht von einem zum andern.
Und stiller wird es mählich. Die gelbe Sichel des
Mondes liängt längst am tiefdunklen Hinunel. Die Lichter
hinter den Fenstern löschen aus. Das Dörfchen sehläft in
stiller Ruhe und erquickendem Sommerschiafe.

Ländliches Mahl.

Phot. Rutl Jobst. Wicn.

XXVT». 25. Z-Z.
 
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