Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

DOI Heft:
20. Heft
DOI Artikel:
Niebuhr, Carl: Kaiser Wilhelm im Familienkreise und im täglichen Leben
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0596

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
J-{aiscr

im fFamifien^reisc und

Von Carl

iUherrscher großer Staaten und mäch-
tiger Reiche, die zugleich l-'ürsten-
fO) gestaltcn von hervorragenden per-
sönlichen Eigenschaften sind, werden dem
Geschichtschrciber stets die hesondere
Pflicht nahelegen, auch ein möglichst
treues Bild ihrer rein menschlichen F.r-
scheinung zu entwerfen. Denn es gehört,
seitdem die Kunst der Charakterzeich-
nttng überhaupt besteht, unter die ganz
r.attirlichen Fragen, wie ein bedeutcnder
Mann, der umfassenden Aufgabcn ge-
wachsen war und seiner Zeit den Aus-
druck seines Wescns aufprägte, sich im
Kreise der engeren Umgebung bewegte.

Die Begier nach „kleinen Zi'igen“, nach
dem Anekdotenhaften, nacii familiären
Zeugnissen mag oft irregehen, aber es
felilt ihr doch nicht an einer höheren
Begründung. Dcnn diesem Interesse an
der Persönlichkeit liegt die Fragc zu Grunde:
woher und wie ergänzte ein tätiger Geist, ein
Monarch mit so vielfältigen und weitreichen-
den Pflichten, mit schöpferischer Energie und
eindringenden Kenntnissen den täglichen Ver-
brauch an physischer Kraft, an innerer Wider-
standsfähigkeit? Ein erhabenes Beispiel, das sich
andauernd auf der Gipfellinie bewegt, muß und wird
auch in seinen menschlichen Beziehungen die Parallele
dazu erweisen lassen. Ein schöner Vorzug der Könige
aus altem Geschlecht ist es, daß sie, im Buch der Geschichte
zurückblätternd, die Entwicklungsfolgen im eignen tlaüse dar-
geboten finden können. Die märkischen Hohenzollern auf dem
Throne unterscheiden sich individuell beträchtlich voneinander, wozu
noch der jeweilige Einfluß ihres Zeitalters tritt, aber gemeinsam
ist ihnen die Überzeugung, daß am Ausbau der preußischen Monarchie arbeiten
soviel bedeutet, als einer sich stetig mehrenden Anzahl großer und kleinerer
Pflichten mit Sorgfalt und Einsicht nachzuleben. Es kam im Verlauf dieser
Anstrengung dahin, daß der geniale Schöpfer von Preußens Großmacht persön-
lich ganz im Werk aufging; der rastlos angespannte „Alte von Sanssouci“ er-
schien in seiner Einsamkeit den fremden Besuchern zuletzt wie ein militärischer
Abt. Friedrich der Große wußte selbst, dafi sein Vorbild, im Wortsinn als der
erste Diener des Staats zu fungieren, nicht über ihn hinaus mehr einzuhalten
war. Plundert Jahre nach seinem Regierungsanfang, im Jahre 1840, schied sein
zweiter Nachfolger dahin, König Friedrich Wilhelm III. Aber das Sterbelager
dieses Fürsten stand nicht wie das des Großoheims, im Banne der Verlassenheit.
Draußen auf dem weiten Schloßplatze von Berlin harrte die Bevölkerung in
Sorge um ihren geliebten
Herrscher, die Prinzen und
Prinzessinen des Königlichen
Hauses waren einmtitig ver-
sammelt, denn sie wollten
ihrem Plaupte in der letzten
Stunde ebenso nahe sein wie
während des ganzen bisheri-
gen Lebens.

Auf diesen glücklichen Zu-
sammenhalt haben die preußi-
schen Monarchen nicht wieder
verzichtet, und der Glanz der
deutschen Kaiserkrone stärkte
noch das Gefühl dafür. Als
Prinz Wilhelm und Prinzessin
Auguste Viktoria im Jahre
1881 vor den Altar traten, ge-
leiteten heiße Wünsche für
das künftige Blühen desPIohen-
zollernstammes den jungen
Ehebund. Hatte doch die
männliche Nachkommenschaft
des Plauses lange Zeit hin-

\\il f?clni

im täqfid]en feeBen.

Kaiserin Auguste Viktoria«
Phot. Th. Voigt, Iiomburg.

Niebuhr.

durch nur auf drei Gliedern beruht: den beiden
Söhnen des Kronprinzen, nachmals Kaiser
Fricdrichs, und dem Prinzen Friedrich Leo-
pold; erst seit wenigen Jahren waren der
I.inie des Prinzen Albrecht wieder neue
Sprossen besclticden gewesen. Die Iloff-
nungen auf die Zukunft aber gingen in
schönste Erfüllung. Ileute umgibt das
kaiserliche l’aar ein Kranz von Abkörnm-
lingen im kräftigstcn Alter, dcnen wie-
derum eine Schar frischer und gesunder
Knaben folgt, und auch dem Bruder
Kaiser Wilhelms wie dem Prinzen Fried-
rich Leopold sind Söhne erwachsen.
Aus dem starken religiösen Empfinden
heraus, das unsern Kaiser in gleicher
Weise trägt und leitet wie schon seine
Vorfahren, mußte er den Segen dieses
Gedeihens um sich herum mit dankbarer
Secle auffassen. An Güte, Licbe und F'ür-
sorge für seine näheren und nächsten An-
gehörigen hat es daher der Monarch nirgends
fehlen lassen und somit den herzlichen Ton
im wechselseitigen Verkehr erweckt und auf-
recht erhalten, dessen ausgezeichneter Eindruck
weithin reicht und auch dort noch Achtung her-
vorruft, wo man des mächtigen Deutschland sonst
nicht gerade freundlich zu gedenken pflegt.

Bevor wir jedoch bei den angenehmen Bildern
weilen können, die das Familienleben am Kaiserhofe
gewährt, sollte wohl billigerweise erst in Betracht gezogen
werden, wie schwer es in der Regel dem Plerrscher vom
Leben gemacht wird, diesem Zuge seines Gemüts jedesmal den
gebührenden Raum zu erstreiten. Gewiß kommt gerade Kaiser Wilhelm
praktisch nichts so zustatten als seine zur zweiten Natur gewordene
Befolgung des Grundsatzes, daß Pünktlichkeit der Könige Höflichkeit ist. Gibt
es Leute, die des Kaisers Unermüdlichkeit und zugleich die Vorkehrungen,
wodurch er manchmal außerordentliche Tagesleistungen ermöglicht, ohne rechtes
Verständnis betrachten, so würden diese Kritiker jedenfalls den Versuch, ihm darin
einmal nachzuahmen, schlecht genug bestehen. Und sicherlich behielten sie für
ihr Haus dann nur die saure Miene und die Wortkargheit des draußen Er-

müdeten übrig, ■— heut die allgemeine Klage über starkbeschäftigte Männer

von größerer Verantwortlichkeit. Unser Herrscher aber besitzt die Freude
und den Sinn für stille Behaglichkeit; er weiß sie zu schätzen und sucht sie

auf, sobald er es sich gestatten kann. Dabei kann man bemerken, daß die

Pflichtenfülle für den Träger der Reichsgewalt und der preußischen Königs-
krone längst wieder den friderizianischen Grad erreicht hat. Sie erfließt zum

guten Teil aus andern Quel-
len, berücksichtigt andere Er-
fordernisse, aber sie ist da.
Die moderne Vervollkomm-
nung der Hilfsmittel erlaubt
Wilhelm II. freilich vielfach
eine Zeitersparnis, die Fried-
rich II. entbehrte, indessen
ist die stete Bereitschaft des
Kaisers nur vermöge zweier
Glücksumstände durchführbar:
einer auf vorzüglicher Ge-
. sundheit beruhenden Lebens-
energie, und sodann der ein-
sichtsvollen Hingebung, mit
der die erlauchte Gemahlin
sich dem Wohle des Gatten
widmet.

Noch etwas gesellt sich
liinzu, was namentlich den ge-
waltigen Fonds innerer Freu-
digkeit erlclärt, aus dem der
Kaiser imiiierdar zu schöpfen
vermag. Es ist der vielbe-

Der Kaiser mit seinen sechs Söhnen auf dem Wege zur Paroleausgabe.
Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft.
 
Annotationen