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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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9. Heft
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Rüttenauer, Benno: Herman Frobenius
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Vely, E.: Straßenleben in Algier
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0270

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MÜDERNE KUNST.

jüngst den Auftrag erhielt zu einer großen Malerei für eine Kirche in Strasburg i. Pr.,
und er hat mit seiner „Auferstehung“ dort einWerk von solchen künstlerischen
Vorzügen geschaffen, wie die Kirchenmalerei unserer Tage sie nur selten auf-
weist. Und doch ist das nicht seine Richtung, seine Phantasie geht, wie die
reproduzierten Bilder zeigen, auf freiere Erfindungen hinaus.

Hierzu ist zweierlei zu betonen: Fast immer verwechselt der Laie gewisse
Assoziationen der Kunstwirkung mit dieser selbst. Kein wahrer Künstler kann
Poesie malen wollen. „Daß eine nicht häufige und nicht banaleForm oder Ausdrucks-
weise“, sagt Frobenius mit Recht, „aus der Gewöhnlichkeit und täglichen Kleinlich-
keit heraushebe, hat nichts mit dem poetischen Stoffe zu tun.“ Wenn die Bilder
dieses Künstlers poetisch wirken, so tun sie das doch nicht durch einen poetischen
Inhalt im literarischen Sinne des Wortes. Vielmehr ist der Grund ihrer Wirkung
ein rein malerischer Inhalt, der sich im wesentlichen, ganz nach Analogie der
Musik, auf Rhythmus zurückführen läßt. Die Figuren drücken wohl eine Handlung
aus, aber sie ist beiläufig und nebensächlich. Nicht ihretwegen in erster Linie
wählt der Künstler die und die Stellung oder Haltung, das Ausschlaggebende

ist ihm der beabsichtigte Bewegungsrhythmus, dieser ist der eigentliche Inhalt
des Bildes. Der „stoffliche Inhalt“, bekennt der Künstler selbst, „kann lediglich
einen einzigen Vorzug haben, nämlich den, für die künstlerische Betätigung neue.
Situationen zu schaffen.“ Und ähnlich verhält es sich bei Frobenius mit dem
Kostüm. Auch hieran nehmen die Leute Anstoß. Man kann aber ein bestimmtes
Kostüm aus verschiedenen Gründen wählen. Einmal, um die Phantasie durch
den Umweg des Verstandes und der Wissenschaft in ein bestimmtes (oder auch
unbestimmtes) historisches Milieu zu versetzen. Man ist dann Historienmaler im
engeren Sinne des Wortes, was sich vom Genremaler nur unterscheidet wie
Johannes von Hans. Damit hat Frobenius weder seiner Absicht noch seiner
Wirkung nach etwas zu tun. Bei ihm hat das Kostüm gar keinen historischen,
d. h. wissenschaftlichen Sinn, sondern nur einen ästhetischen. Nicht der gegen-
ständlichen Verdeutlichung, nur dem Rhythmus des Bildes will es dienen. Und
es wird nicht behandelt mit historischem, d. h. wissenschaftlichem Gewissen,
sondern nur mit ästhetischem, nämlich allein mit Rücksicht auf den inneren
Rhythmus und seine Forderung äußerlich sichtbarer Akzente.

Straßenleben in Algier. Jjfev.

Von E. Vely.

- *■ • fNachdruck verboten ]

wAuf Alglers Türmen weht, o seht! die Trikolore,

Auf seinen Zinnen rauscht die Seide von Lyonj
Durch seine Gassen dröhnt früh morgens die Reveille,

Das Roß geht nacli dem Takt des Liedes von Marseille" —

läßt Freiligrath einen der Wüstensöhne dem Scheik am Sinai erzählen. Haß- und
zornerfüllt fiüstern sie einander das noch zu am Saum der Wüste und am Meeres-
strande, die Nachkommen jener Bewohner des alten Numidiens, die sich Anno 1830
so verzweiflungsvoll wehrten gegen den Einfall der Franzosen. Die beinahe halb-
hundertjährige Zugehörigkeit zu Frankreich hat sie innerlich nicht zahm gemacht,
sie nicht vergessen lassen, daß sie hier frei saßen und auf Raub auf dem Meere
nach Belieben ausfliegen konnten. So wenigstens behaupten die hier lebenden
Europäer, die Franzosen, wie die Angehörigen anderer Nationen. Die Bevölke-
rung fügt sich den Gesetzen, weil sie muß, aber sie tut es zähneknirschend. Die
Männer stecken in den bunten Uniformen, rotbehost, blaubejackt und singen
mit den andern: „Allons, enfants de la patrie“ — aber sie denken an ihr meer-
bespültes, vom grünen Atlas umkränztes Küstenland, und an die gelbe, endlos
sich dehnende Wüste und den heißen Atem, der’ über sie hingeht — die „belle
France“ ist ihnen höchst gleichgültig.

Seit Numidia eine der fruchtbarsten Provinzen des alten römischen Reiches
war und mit seinen Produkten das stolze Rom versorgte, sind viel Wandlungen
über den Küstenstrich hingegangen. Da kamen die Vandalen, erst durch den
römischen aufständischen Statthalter zur Hilfs- und Bundesgenossenschaft gerufen,
unter Genserich über die Meerenge von Gibraltar — um als Eroberer zu bleiben.

Den schönsten Anblick bietet die Stadt Algier von der Seeseite. Die
dunklen, massigen Formen des Atlas ragen auf, dann schimmert es weiß, steigt
steil empor, hart am Meeresstrande. Scharfe Konturen lösen sich ab, Kuppeln,
Türme, mächtige Häusermassen. Die Straßen sind bergan gebaut, und darüber
hin schiingt sich ein grüner Kranz von uralten Bäumen, Palmen, Zypressen. *—
Der Hafen dehnt sich weit aus, ist sorglich von Mauern, Molen und einem Gürtel
von Magazinen umgeben, und dazwischen ragen Forts auf, die ihn schützen, und
die Zitadelle. In der Bucht Handelsschiffe aus allen Ländern, ein Gewimmel
von Boten, ein Ab- und Zufahren der Eingeborenen. Die arabische Bevölkerung
geht weißgekleidet. Die Männer tragen den Turban, die Frauen umhüllen Kopf
und Gestalt mit einem großen weißen Stück Zeug, das sie malerisch falten und
halten, nur ein Auge bleibt vom ganzen Gesicht frei.

Vom Golf aus giaubt man sich einer völlig europäischen Stadt zu nähern,
da sieht man große Hotels, stattliche andere Bauten, breite Treppen, die von
dem Landungsplatz hinaufführen in die Straßen. Rechts ein mit uralten Palmen
besetzter Platz, und links auf den grünen Ausläufern eine Moschee. Und über
dem eleganten Viertel die Araberstadt. „Orient und Okzident“ sind hier nicht
mehr zu trennen.

Sind die großen Treppen erstiegen, ist man mitten im Straßenleben. Elegante
Läden, die „derniere creation“ in den Schaufenstern, vor denen sich laubenartige
Gänge hinziehen. Zierlich und schick gekleidete Französinnen staunen die Herr-
lichkeiten begehrlich an. Man kokettiert hier wie auf den Boulevards der Seine-
stadt, und das Leben hat manche Form derselben abgelauscht; „petit Paris“ läßt
sich Algier gern nennen.

Große Hotels an den weiten Plätzen und zahllose Cafös und Vergnügungs-
lokale; das Nachtleben erfreut sich der flottesten Entwicklung.

„Savez-vous, nos pauvres officiers, sie haben der belle France Lebewohl
sagen müssen!“

Und man tut barmherzig in Algier sein möglichstes, daß sich die armen
Vaterlandsverteidiger nicht langweilen. Ein schönes Theater erhebt sich unweit
des erzbischöflichen Palastes, dem gegenüber die Kathedrale liegt, die drei-
schiffig, ganz modern und ziemlich nüchtern ist. Nur der Gouvernementspalast
ist noch von den maurischen Bauten übrig geblieben, aber die Neuzeit hat auch
an ihm verbessert, zum Nachteil der alten Form. Er liegt an einem großen

Platz, den Platanen schmücken, Springbrunnen und Denkmäler, und es wogt auf
ihm durcheinander: Soldaten in Gruppen, Südfranzosen und Eingeborene, Araber,
geringe in dem weißen Burnus aus Kamelhaaren, vornehme in goldgestickter
Seide. Sie „gehen“ nicht, sie „schreiten“ — auch der Ärmste. Verhüllte Frauen,
und dann eine Gruppe Zigeunerinnen, die ihre gelben, lachenden Gesichter, ihre
schmuckbehangenen Hälse frei zeigen. Der' Muselmann geht verächtlich an ihnen
vorüber, aber den andern nähern sie sich. „La fortune, la bonne fortune“. Und
wenn sich niemand wahrsagen lassen will, betteln sie und heben die Kinder
hoch: „Un sou, Monsieur!“

Elegante Europäerinnen aus der Messe kommend, das Gebetbuch in den
Händen, mit lebenslustigen, suchenden Augen. Stutzer, die ihnen folgen, Bettler
und Bettlerinnen und Händler mit allem möglichen Tand. Da naht sich ein
solcher einer Gruppe Europäer, er hat mit einem seidenen Tuch Mund und Nase
verbunden — es ist Ramazan, Fastenzeit, und da ist es dem frommen Muselmann
verboten zu rauchen, er muß auch das Einatmen von Zigarrenrauch vermeiden.

Sehr hübsch ist die Tracht der Ammen, der „Nouhous“, die die kleinen „Afri-
kaner" der hier stationierenden Familien pflegen; sie haben halb europäischen,
halb südlichen Typus — wohl Mischlinge. Zu dem modernen Kleide fällt vom
Kopfe herab ein langer, schwarzer, schmaler Schleier, den silberne oder goldene
Nadeln festhalten. Sie sitzen unter den Palmen- und Gummibäumen des Jardin
public und singen mit halblauter Stimme und schlechtem französischen Akzent:
„Oh quel air severe! Nous le ferons rire,

Lire, lire lere. Lire, lire, lire —"

Und die Kinder jauchzen in die warme Sonne hinein und haschen nach dem
Zweig Mandelblüten mit den kleinen, dicken Patschhändchen.

„II a ri ri ri — Lire, lire, li!“

Und fünf Schritte davon führt eine Araberin, tief verhüllt, ihr kleines Mädchen
vorüber, das lacht nicht, das sieht nur mit großen staunenden Augen nach den
andern dort drüben. Sie haben alle so etwas unsagbar Ernstes und Gravi-
tätisches, diese orientalischen Kinder, als könnten sie nie fröhlich jauchzen. Auch
weinen sieht man sie draußen kaum. Das abgeschlossene Leben in den Harems
mauern scheint ihnen alle lachende Lebenslust zu nehmen. —

Die Markthalle! Glasüberdacht, hochgewölbt, kühl und sauber — auch so
ein Stückcjien Paris in Afrika. Kokett gekleidet stehen die Verkäuferinnen vor
den großen Körben. Die französischen Hausfrauen und Köchinnen trippeln hin-
ein und hinaus, und ab und an erscheint ein Monsieur, dem die Einkäufe für
seine Meriage ganz besonders am Herzen liegen. Die schwarzen Jungen, die
sich mit ihren Binsenkörben herandrängen, um die Waren nach Hause zu tragen,
sind die einzigen fremdartigen Erscheinungen.

Algier ist jetzt eine beliebte Winterstation. Und ein Villenviertel ist ent-
standen auf der Höhe zwischen dem Zypressengrün und den Palmen und Euka-
lypten — die „Moustafa supörieure“. Wild wuchern die Marguöriten und Ane-
monen und Iris und Resenden, unten blaut die Bucht, lachend ist der Himmel.

Ganz wundervoll ist Algier bei Sonnenuntergang, da hat die weiße Häuser-
masse eine eigentümliche Färbung, und die Palmen auf der Höhe heben sich
klar ab, so daß man alle Zweige zählen könnte, und die Kuppeln glänzen, und
die Minarette, von denen der Muezzin zum Gebet ruft, ers.cheinen doppelt schlank.
Und erst ein Mondscheinabend, wenn der Silberglanz über dem Wasser zittert
und das Meer leise, leise singt — dann muß man hinausfahren in die Bucht und
die Stadt sehen mit ihren vieltausend Lichtern, die bis zum dunklen Rand des
Gebirges links hinaufblitzen. Und die Feuer der Leuchttürme werfen ihre Strahlen,
und in den Takelwerken der großen und kleinen Schiffe hängen die Laternen,
und über der weißen Stadt das weiße Mondlicht.

Von den Türmen der christlichen Kirchen Abendläuten, Nachtmesse — aus
den Kasernen der Zapfenstreich — auf den Molen am Hafen hie und da ein
schlürfender Schritt. Ein Matrose kehrt heim auf sein wanderndes Fahrzeug. Das
Wasser gluckert; leise fächelt der Abendwind. Ein orientalischer Märchentraum!
 
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