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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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18. Heft
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Tovote, Heinz: Die Fahrt in den Frühling: Novelle
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Nordhausen, Richard: Auf Fluß und See
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0526

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22Ö

MODERNE KUNST.

sei überzeugt,
Edith werde es
bei mir gut haben.
Er gedenke, alles
in voller Harmo-
nie zu regeln. Un-
klarheiten gäbe

es ja nicht mehr zwischen uns. — Ich hatte natürlich gedacht: wir
schießen uns. Das wäre doch ein Ausweg gewesen. Aber nein! —
Nun stehe ich da, und kann ihn doch nicht einen Esel heißen, der so
vernünftig gehandelt hat, um ihn hinterher noch zu provozieren, damit
einer den andern totschießen kann.

Da sitzen wir nun mitten im Frühling mit unsern erhabenen Gefühlen
und sind so perplex, daß ich gar nicht weiß, was ich tun soll.

Denk doch nur: eine Frau, gewiß ebenso alt wie ich, und zwei
Kinder! Gott ja, wenn die Kinder nicht wären! zwei Kinder so mitten
im ersten Frühüng! . . .

Heiraten! — So einfach heiraten — a!s ob das nichts sei! — Ich,
der ich allen Gefahren immer so vorsichtig aus dem Wege gegangen
bin, und mir geschworen hatte, mein Leben als Junggeselle zu be-
schließen. Beim Rechtsanwalt bin ich auch schon gewesen. Es ist

niemals! —

Aber der meinte: dem Manne könne nach dem
Vorgange in der Gondel des Luftschiffes, in Gegenwart von fast einem
Dutzend Mcnschen nicht mehr zugemutet werden, die Ehe fortzusetzen.

Wegen einer bloßen „Zumutung“, wie das Gesetz wörtlich sagt,
kann dieser Glückliche sich scheiden lassen.

Was soll ich tun? rate mir! . . . hilf!“ . . .

„Ja!“ sagte ich und zwang mich zum Ernst. „Da wirst du wohl dran
glauben müssen.“

„Du also auch?“ —

„Liebst du sie denn nicht mehr?“

„Lieben! — lieben? . . Was bedeutet denn das? lieben! . . Gewiß
doch! aber doch nicht gleich heiraten!“ . . .

„Ja, lieber Junge, man sollte mit keiner Frau flirten, die man nicht
vom Fleck weg auch heiraten möchte. So wirst du nun wohl aus dem
Frühling deiner Liebe den Sommer deiner Ehe machen müssen, und
so schlimm ist Frau Eclith nicht, daß es mal einWinter deines Mißver-
gnügens werden könnte.“

„Also kein Ausweg?“ fragte er ganz gebrochen.

„Wenn ihr Mann es so will, schwerlich!“

„Aber wie kann er nur?“

„Ich glaube, mein Freund, daß er die Gelegenheit nicht wieder los-
lassen wird. Ich habe so was gehört, daß er sich sehr für eine sehr
schöne junge Witwe interessiert, schon lange, noch ehe du ihm zu Hilfe
kamst.“

„Auch das noch? — Dann ist keine Rettung!“ Und mit hängendem
Kopfe ging er resigniert hinaus in den lachenden Frühling.

Auf Fluß und See.

Von Richard Nordhausen.

^ breiter Welle, die an Wncht noch immer zunimmt, wogt die Sportbewegung

juSlI durchs deutsche Land. Sie unterwirft sich jedes Alter und jede Kiasse. Nie-
gCÄi mand, der heute nicht Sportsmann sein will oder doch nicht wenigstens reges
Interesse für den Sport markiert. So blühen alle Arten der Leibesübungen auf, und
unsere Heimat schickt sich an, in sportlichen Dingen die Führung zu übernehmen.
Bleibt die heutige Tatkraft und die allgemeine, unbändige Freude an körperlicher
Betätigung bestehen, so werden wir uns binnen kurzem aus einem Volk der faulen
Skatklopfer und biertrinkenden Kannegießer in eine athletische Nation verwandelt
haben, die ihre freien Stunden auf grünem Plan, grauem Fels und blauem Wasser ver-
bringt. Noch stehen wir ja erst in den Anfängen. Die Nordgermanen, Engländer,
Amerikaner, Australier sind uns noch überlegen, weil sie seit Jahrzehnten treiben, was
wir soeben begonnen haben. Aber man soll deutsche Zähigkeit und Entschlossenheit
nicht unterschätzen. Was wir auf dem Gebiet ernster Arbeit vermochten: daß wir den
schier unerreichbar scheinenden Engländern an den Gurt kamen, daß wir deutsche
Schiffahrt, Industrie und deutschen Handel zu einer alle Welt verblüffenden Blüte
brachten, das vermögen wir auch im frohen Spiel. Stockholm hat uns im Vorjahr nicht
die erhofften Erfolge gebracht — was ich an sich nur wenig bedauere, denn der
Rekordsport und die hinreißenden Zufalleistungen des einzelnen tun es nicht. Wir
dürfen aber doch gewiß sein, daß 1916 im Berliner Stadion die schwarz-weiß-rote
Flagge oft emporgehen wird. Schon jetzt sind wir den Engländern sehr nahe gerückt;
drei weitere Jahre unablässigen, ernst betriebenen Volkssports, und ganz von selber
treten die starken Begabungen, die für Weltwettkämpfe geeignet sind, in den Vordergrund.

Hand in Hand mit dem Aufblühen des Sports, der allmählich die gesamte Jugend
an sich zieht, geht die neu erwachte Freude am Wandern. Sie beweist, daß es sich
hier nicht um eine Modelaune, um rasch verflackerndes Strohfeuer handelt, sondern
daß der gesunde nationale Instinkt, der von jeher das Lauern und Trauern hinter
Mauern haßte, sich nach jeder Richtung hin Bahn bricht. Sport, Spiel und Wander-
fahrt sind eines Zweiges Blüten, ergänzen und bedingen einander. Kein Wunder, daß
diejenigen Sportarten am beliebtesten sind, denen ein reizvolles Vorwärtsstreben eigen,
die die aufgewendete Kraft und Kunst in zurückgelegte Kilometer umsetzen. Der

-- [Nachdruck verboten.]

schnelle Siegeszug des Rades, der zurzeit freilich aus bestimmten, nicht in der
Maschine selber liegenden Griinden stockt, zeigt, wie anziehend der Wandersport ist,
mit welcher elementaren Gewalt die durch den modernen Industrialismus zerschundenen
Leiber zu ihm drängen. Nach Zehntausenden, vielleicht nach Hunderttausenden zählen
die flotten jungen Wanderburschen, die jetzt mit Rucksack und Knotenstock das
heimatliche Revier durchstreifen — nacli der grausamen Zertrümmerung altüberkommener,
deutscher Wanderlust ist der köstliche Trieb um so übermächtiger geworden.

Vor allem die Wanderruderei erobert sich die Seele. Sie ist die Krone des
Wandervergnügens, das Ideal jedes Zugvogels. Fern dem Staub der Heerstraße;
ungebundener und freier als der Tourist, der von schmaler Straße allzuoft nicht ab-
weichen darf; immer das raunende Geheimnis der Flut unter sich und in verborgene
Winkel dringend, die keines andern Menschen Fuß betritt — so gleitet der Wander-
ruderer dahin. „Sorge, Leid und Gram beschweren niemals unser leichtes Boot."
Durch Zauberschlag fallen im Augenblick, da du dich auf dem Rollsitz niedergelassen
und Riemen oder Skulls zum erstenmal durchs Wasser gezogen hast, alle ärgerlichen
Gedanken von dir ab. Jede bohrende Verstandestätigkeit, Grübeln und Nachsinnen
verbietet sich bei der Ruderarbeit, die dich hin- und herschiebt und doch durch ihre
Gleichmäßigkeit sanft betäubend, beruhigend auf Hirn und Nerven wirkt. Deinem
Gefühlsleben widersetzt sich das Rudern nicht, und die Schönheit der Landschaft, die
du lächelnd durchziehst, wirkt vom Boote aus besonders eindringlich auf dich. Du
lernst Wald und Wiese, die dir sonst leicht eintönig scheinen, in ihren heimlichen
Reizen kennen, vertiefst dich in den unendlichen Wechsel der Beleuchtung, studierst
die abendlichen Feuerwerke über der Flußniederung und das blendende Geglüh des
Mittags. Herz und Sinn erschließen sich wie Blumen; zu Hause aber bleibt der kalte,
nörgelnde, erwerbsgierige Alltagsverstand. „Uns ist, als schwammen wir zehntausend
Meilen von der Stadt, zehntausend Jahr’ von ihr“. Wanderrudern ist echtes Sonntags-
werk, ist adliges Werk, denn es führt uns in den Urgrund zurück, stellt uns wieder
auf die eigne Muskelkraft, die eigne Waldläuferweisheit, eint uns wieder mit unsern
Brüdern in Baum und Busch. Aller falscher Kulturzierrat, aller Schmutz der Groß-
stadt fällt draußen von uns ab; aus dem Mammonssklaven, dem ewig gepeitschten,
 
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