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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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8. Heft
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Krell, Max: Das erste Ballett: eine Marschner-Historie
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Ostler, Rudolf: Mit dem Schillerpreise gekrönt
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0238

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io6

MODERNE KUNST.

MODERNE KUNST.

107


Das erste cKallett.

Eine Marschner-Historie. Erzählt von M. Krell.

[Nachdruck verboten.]

-—1-.—

s gab ein großes Laufen und Fragen in der
Stadt: die Komödianten waren da und
wollten die braven Bürgersleut auf einige
Zeit mit hoher Schauspielkunst traktieren. Die
Aussicht auf ein artiges Spektakulum hat zu allen
Zeiten und Orten Freude erweckt — ob aber
immer soviel heiße Erwartung wie in jenen lau-
schigen Frühjahrstagen anno 1811 in Zittau, möchte
ich billig bezweifeln. — Die Demoiselle Eichler
lief spornstreichs zum „vornehmen Brauberech-
tigten Bürger, Kauf- und Handelsherrn“ Christian
Friedrich Krodels und bestellte unter zierlichem
Knicksen: die Frau Mutter ließe gehorsamst fragen,
ob Base und Gevatter heute abend mit ins „Schau-
spiel“ gehen würden! Man gäbe den „Abellino“
des Herrn Babo. Und dann eilte sie nach der
Fleischergasse — wo in einem schmalen, hohen
Giebelhause die Madame Marschner wohnte —, um
auch hier ihre „gehorsamste“ Anfrage zu bestellen.

Indessen, Frau Christiana Gottliebe war nicht zu
Hause. Nur der August (Heinrich Marschner wurde
ursprünglich beim zweiten Vornamen, August,
gerufen) saß am Spinett und phantasierte. Die
Demoiselle zögerte daher, einzutreten. Sie mochte
den August nicht recht leiden, weil eine große Hof-
fahrt in ihm saß. Aber er hatte sie schon bemerkt
und bat sie, hereinzukommen.

„Bleibe sie nur da, Demoiselle, die Frau Mutter
wird sogleich zurück sein. Ich will derweilen die
Kerzen anzünden. Es ist zu dunkel bei uns. — In
die Komödie will die Frau Pate gehen?“

„Ja, ja, gewiß“, sagte das Mädchen scheu.

„Aber ich kann ja erst noch zur Nachbarin Noack
laufen. Unterdes ist die Frau Mutter wohl wieder
zurück ..."

„Sie soll dableiben, Jungfer! Uberhaupt:
warum haltet ihr euch alle von mir? Wenn ich
komme, weicht ihr aus; wenn ich unter euch bin,
seid ihr still. Warum das, sage sie, Jungfer?“

„Ich — ich, ach, August — nein, ich weiß es
nicht.“

„Doch, sie weiß es. Das mit meinem Vater
geht euch nicht aus dem Sinn. Weil er eine
andere Weibsperson als meine Mutter lieb hatte,

weil er sich scheiden ließ und fortging. Rede sie, das ist es, warum ihr mich
veraehtet! Kann ich dafür?“

Er stampfte unwillig mit dem Fuß auf.

„Nein, August, da habt ihr recht.“

Sie sah in diesem Augenblick wirklich ein, daß man unbillig gegen den arinen
Jungen gewesen war. „Ja, ja, da habt ihr recht, August. Und wir andern waren
dumme Kinder.“

„Laßt es gut sein, Jungfer. Und wißt, die andern, die ihr dumme Kinder
heißt, sollen’s lernen, mich zu achten!“

Das gefiel dem Mädchen, daß er so sprach.

Er hatte sich wieder an das Spinett gesetzt und leise zu spielen begonnen.
„Hör’ sie zu Jungfer, wie ihr das gefällt.“

Es waren ganz artige Weisen, die er da anschlug, hübsch manierlich ver-
bunden, daß man wohl meinen konnte, sie müßten zu einem größeren Werke
gehören.

Die Jungfer hörte ernsthaft zu.-

„W reiß sie, wer das komponiert hat?“

„Wie sollte ich“, entgegnete das Mädchen. „Ich kenne nur den Haydn. Und
der ist's nicht. Vielleicht Hering?“

Er lachte hell auf. „Hering, mein braver Lehrer? Der würde sich
schönstens bedanken. Nein, Jungfer, das hat ein gewisser Heinrich August
Marschner komponiert!“

„Oh —, Ihr, August?“

„Ja, ich, Jungfer! — Und weiß sie, was man in der Komödie alles spielen wird?“
„Nun, sie sagen: den „Fust von Stromberg“ und den „Kaspar Thoringer“
und . . .

„Laßt es gut sein. Schaut her. -— Seht ihr?“

„Ja, Noten. Hat er die geschrieben?“

„Das, was Ihr eben gehört habt. Der wackere Butenop, der euch heute
abend den „Abellino“ spielen wird, bringt’s in die Komödie. Da werdet ihr
einmal nichts von Schwertergerassel und Becherklang, von Ritterfluchen und
blutiger Vehme hören. Meine „stolze Bäuerin“ ist ein viel sanfteres Wesen.
Man wird auf der Bühne tanzen, Jungfer! Es ist ein Ballett. Versteht sie das?

Und wenn sie mich nicht verrät, Jungfer, will ich sie ..."

„Still, ’die Frau Mutter . . . “

Der gutmütige Direktor Butenop, der mit den rasselnden Rittertragödien
der Starkgeister durch Städte und Dörfer zog und seinen Musenstall just in
Zittau aufgetan hatte, wollte tatsächlich den Erstling unseres Heinrich August
Marschner aus der Taufe heben. Schon am Morgen nach jenem Gespräch
zwischen August und der Demoiselle Eichler unternahmen die Musici die erste
Probe. Er war schlau gewesen, der gute Butenop. Musik zog noch mehr als

Blechschwertergerassel, besonders beim W’eibsvolk. Nun, und dann war der

junge Komponist ein Stadtkind; und, wenn Butenop ihm auch Verschwiegenheit
zugesichert hatte, so ganz ohne Reklamekniffe war man auch nicht mehr. I wo!

August belauschte aus stillem Versteck diese Probe. Das Lampenfieber
hatte ihn nun doch gehascht. Mit einem Male fiel ihm ein, daß er ja von der
Instrumentierung keine blasse Ahnung hatte, daß es möglich war, nein, sogar
wahrscheinlich: alles fiel lose auseinander, was ihm am Spinett hübsch bei-
sammen geklungen hatte . . .

Aber, still — still! Sie fingen an. Ja — ja, so war’s recht. Er nickte
wohlgefällig. Nur weiter, ihr Musici. Ganz genau so hab’ ich mir’s gedacht.
Leiser, ihr Herren, ein wenig Adagio — so — so — jetzt haben sie’s richtig.
Es ging doch! August war selig und schloß die Augen. Die leichten Klänge
seiner Musik kamen wie Amoretten an sein Ohr und flüsterten: „Freust du dich
nicht, wie hübsch wir sind — wie artig wir dir foigen.“ Und sie flatterten da-
von und andere kamen und kicherten oder redeten verträumte Sprache . . .

E. Monchablon: Galeerensklaven.

„ . . . Zum Donnerwetter, welcher Esel hat denn das komponiert? Der
Teufel mag’s auf seinen Hörnern blasen ..."

In einem stillen Winkel ein leiser ungehörter Aufschrei — August war in
Ohnmacht gefallen. Er hatte die Stimme sehr wohl gekannt, die eben ihn

unbewußt einen Esel geschimpft hatte: es war die
des dicken Hornisten Berger gewesen. Berger
konnte alles vertragen, nur keine unmöglichen
Oktaven. Aber diese olympischen Höhen hätten
selbst die Bläser des himmlischen Orchesters nicht
herausgebracht. Wie dann erst der dicke Stadt-
musikus aus Zittau! Aber der Dirigent wußte Rat.
Es machte sich ohne weiteres, daß der Hornisten-
part eine Oktave tiefer gespielt werden konnte.
Und in Zufriedenheit und Wohlklang endete
die Probe.

Zur Entschädigung genehmigte Herr Berger
einen Spezialschoppen im „Weißen Engel“, bevor
er sich seufzend zu seinem „ schwarzen Engel “
begab, wie — mit Verlaub zu sagen — die ehr-
same Frau Bergerin genannt wurde . . .

Als August in seinem Winkel erwachte, war
es ringsum mäuschenstill. Es mochte hoher Mittag
sein. Der Saal war leer. Scheu und verlegen, ob
ihn auch niemand sähe, schlich er sich davon. Nun
ist alles, alles aus, meinte er bei sich und warf
sich in seinem engen Stübchen aufs Bett.

Er sollte lange Wochen dort liegen müssen.
Ein böses Fieber war über ihn gekommen. Und
böse Träume besuchten seinen Schlaf. Er fabelte
viel von falschen Hörnern, die so geringelt seien
wie die Bockshörner des Beelzebub. Er sah viele
kleine Teufelsjungen auf solchen Hörnern blasen;
und immer waren es ganz schreckliche, miß-
ratene Töne.

Endlich kam die Besserung. Und eines Tages
begrüßte ihn auch die Demoiselle Eichler.

„Ei, ei, was hat er da gemacht, August!“

Sie lächelte und drohte ihm mit dem Finger.
„Schweig sie still, Jungfer. Ich will von dem
vermaledeiten Unfug nichts mehr wissen!“

„Wer redet denn von Unfug? Ich meine
doch seine Krankheit, August. — Aber wenn er
seine „stolze Bäuerin“ einen Unfug schimpft,
so kann er es mit der ganzen Stadt zu tun
kriegen!“

„Was schwätzt sie daher?“

„Nichts, als was wahr ist. Sein Stück hat
den Leuten besser gefallen als der ,Fust von
Stromberg'.“

„Die Jungfer hat recht“, rief da eine Manns-
stimme aus dem IJintergrund.

Es war der Kaufmann Exner, ein wohlerfah-
rener Herr, der auch als tüchtiger Musikus galt.
„Er hat tapfer was geschafft, August. Nur mit
den Instrumenten geht er noch ein bißchen selbst-
herrlich um. Nun, er wird sich das noeh abgewöhnen. Wenn er erst wieder
gesund ist — na, die blauen Augen der Jungfer werden schon dazu helfen —
soll er viel zu mir kommen. Da mag er den Righini studieren. An dem hat's
der Friedrich Schneider auch bei mir gelernt.“.

(Dit dem öchillepppeise ge^pönt.

Von Dr. Rudolf Ostler.

Ojer Volksschillerpreis der deutschen Goethebünde ist diesmal dem fünf-
aktigen „Liebesstücke“ Herbert Eulenbergs „Belinde“ zugefallen, das kurz
vorher auf den Bühnen Münchens, Dresdens und Leipzigs einen lebhaften Bühnen-
erfolg errang. Die Auszeichnung dieses tapfer ringenden Dramatikers, dem das
Theater bisher manchen Mißerfolg bereitet hat, wirkt bereits seiner Persön-
lichkeit wegen erfreulieh. Selbstverständlich wurde aber nicht Herbert Eulen-
berg aus persönlichen Gründen, sondern sein Werk ausgezeichnet, und das Preis-
gericht hat eine weit bessere Wahl getroffen, als vor zwei Jahren, wo Ernst
Hardt auf sein äußerlich theatraiisches Drama „Tantris der Narr“ sowohl den
Staats- als den Volks-Schillerpreis erhielt. Auch unter den Bühnenwerken von
Eulenberg selbst ist „Belinde“ wohl das am einheitlichsten und kunstvollsten
gebaute.

Das Stück spielt in Belindes Gartenhaus. Als Zeit der Handlung gibt der
Dichter „gestern, heut und morgen“ an. Aber trotzdem gelegentlich von Eisen-
bahnen und Telegraphen die Rede ist, fühlt man sich in die Atmosphäre etwa
eines Fernando oder Werther versetzt, wo hinein Stimmen der heutigen Zeit
klingen. Ein Duftreich träumerischen, phantasievollen Liebens und Empfindens

[Nachdruck verboten.]

erblüht fern dem Alltag, dessen letzte Wellen nur herüberrauschen. Es ist, als
ob die Sonne mit fächerartigen, gedämpften Strahlen in einen Park fällt, den
zarte Herbstnebel einhüllen. Dort scheint unter Epheu ein liebes Grab zu
liegen; ein später Schmetterling spielt darum, Blätter flattern lose hernieder, und
der Dichter streut seine Verse auf die Urne. Alles ist von leiser Lebenswehmut
gedämpft.

In diesem Gartenhause bereitet „Belinde“ ihre zweite Hochzeit mit Roger
vor. Ihr erster Gatte Eugen ist vor zehn Jahren fortgezogen und hat ihr niemals
Nachricht gesandt, so daß er in den nächsten Tagen als verschollen erklärt
werden soll. Wie einst Eugen, so tief liebt Belinde jetzt den jüngeren Roger,
als wäre sie und ihre Liebe dieselbe geblieben. Ja, Roger steht in dem gleichen
Alter, in dem Eugen von ihr gegangen ist, und er erwidert ihre Liebe aufs
innigste.

Da erscheint Eugen nach zehnjähriger Abwesenheit wieder. Ihn hatte einst
der hochmütige Blick Hyacinths, des Bruders Belindes, eines verstiegenen Hyper-
ästheten, fortgetrieben, da Eugen es nicht mehr ertragen konnte, als armer Gatte
einer reichen Frau betrachtet zu werden. So war er nach Amerika gegangen
 
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