MODERNE KUNST.
105
Kopf des ehemals dem Fro geweihten Ebers, im Rüssel die gelbe Zitrone,
und der stolze Vogel der seligen Juno, der Pfau, gebacken in einer Pastete, aus
der vorn sein Kopf mit vergoldetem Schnabel und hinten sein farbenschillernder
prächtiger Schweif hervorragt. Auch fehlen nicht der riesige Plumpudding
und die dick mit Rosinen versetzte Plumsuppe, gekocht mit dem Trifolium
„Pute, Gans und Kapaun“. Dazu als Getränk die berühmte „Lammwolle“, ge-
braut aus Ale, Ingwer und Muskatnuß, oder feiner aus stark gezuckerten und
gewürzten schweren Weinen.
Wo die Tradition weniger lebendig ist, fallen der gefüllte Eberkopf und
die Pfaupastete fort, aber der Pudding und die Suppe dürfen ebenso wenig wie
der saftig gebliebene Ochsenlendenbraten fehlen. Ebenso glänzende Leistungen
der Küche wie dieser Braten, der „underdone“ ist, sind die mit Rosinen, Zucker
und Gewürz wunderlieblich gemischten Yule- oder Christmas-Fleischpasteten.
In feiner Anspielung auf die Geburtsstätte zu Bethlehem wird ihnen häufig
die Form einer Krippe gegeben. Ähnlich zart weisen die Bäcker auf die Vorgänge
der Weihnacht mit einem als Wickelkind gestalteten Gebäck hin. Vielerlei Cakes
und mancherlei Näschereien des In- und Auslandes, unter denen Jams und
Preserves eine Rolle spielen und China mit kandierten oder in Syrup abge-
kochtem Ingwer, kandierter Ananas, Citronat und „Canton chow-chow“, einem
Gemische verschiedener Früchte, Wurzeln und Bambussprossen, äußerst wohl-
schmeckend vertreten ist, gesellen sich
hinzu, um die englischen Festtage
kulinarisch sehr erträglich erscheinen
zu lassen, und ufn so mehr, als in
den bemittelten Familien den feinsten
Marken Claret, Uock und Sekt fleißig
zugesprochen wird.
Aber den Deutschen locken nicht
die englischen und skandinavischen
Schmausereien, auch nicht die hollän-
dischen, obwohl die Frauen im Lande
der Mynheers in der Kunst des Kochens
außerordentlich erfahren sind und der
hohen Anerkennung, welche ihnen schon
vor Jahrhunderten berühmte Maler, wie
Netscher, Metsu, Bosch, Dou und Maes
in brillanten Küchenbildern gezollt
haben, noch heute bestens entsprechen.
Ihn bestricken auch nicht die französi-
schen Genüsse, unter denen zur Weih-
nachtszeit „Dinde de Noel ä la pro-
vencjale“ obenan steht, und ebenso wenig
die russischen, zu denen Birkwild,
Schneehühner, Sterlett und der feinste
Kaviar, großkörniger Kaiser Molossol,
gehören. Was ihn reizt, ihn mit dem
Enthusiasmus des Gourmets erfüllt, ihn
für die vor Beginn des Festes doppelt
und dreifach geleistete Arbeit reichlich
entschädigt, ist jener stattliche, fleisch-
und fettreiche Vogel, der vormals durch
sein Geschnatter das römische Kapitol
gerettet hat, ist prosaisch gesprochen,
die genudelte, mit Apfeln und Maronen
gefüllte, sorglich gebratene Gans, sind
ferner die schon von unsern Vorfahren
hochverehrten Karpfen und die schmack-
haften Mohnpilen oder Mohnklöße. Be-
sonders in Norddeutschland darf die
Gans zum Weihnachtsschmaus nicht
fehlen. Sie nimmt den Ehrenplatz auf
der Tafel ein und gibt Anlaß zu inter-
essanten Debatten über Preis, Gewicht,
Fettgewinn, Füllungsmethoden und
sonstige Wichtigkeiten, die der Haus-
frau am Herzen liegen. Den Karpfen
wendet sich das gleiche Interesse zu.
Natürlich handelt es sich um Karpfen
in Bier, also um solche nach polnischer
Art. Weihnachten 1710 speiste sie der
weitgereiste Conrad Zacharias von
Uffenbach, ein reicher Frankfurter Patri-
zier, in einem stillen Städtchen des
Harzes, und zwar mit solchem Ent-
zücken, daß er die von der Frau Wirtin
mitgeteilte Art der Zubereitung in sein
Tagebuch eintrug. Es ergibt sich dar-
aus, daß die polnische Art ihrer Zuberei-
tung damals in Deutschland noch wenig
bekannt war, während sie heute allgemein verbreitet ist. Gewisse Näschereien
dürfen an der deutschen Weihnacht ebenfalls nicht fehlen. Früher wurden
sie von den Hausfrauen selbst hergestellt, heute sind sie Gegenstand einer
ausgedehnten Fabrikation. Der Nürnberger Pfefferkuchen hat schon im Mittel-
alter ausgezeichneten Ruf gehabt — er wurde mit den großen Frachtwagen
der Handelsherren sogar nach Italien gesandt, wo er hochgeschätzt wurde.
Kein Wunder, daß er gut war, denn an Ilonig fehlte es ihm nicht, lag
doch der große Reichswald, genannt „des heiligen römischen Reiches Bienen-
garten“, vor den Toren der Stadt. Am Rhein werden seit alter Zeit Printen
und Spekulatius bevorzugt. Die Printen, ebenfalls reich an Flonig, sind dem
Pfefferkuchen verwandt, nur sind sie fester und dünner als dieser. Sie tragen
ihren Narnen vom englischen „Print“, das Beidruck, Abdruck, Form bedeutet,
wie es denn schon frühzeitig Brauch war, die Printen aus gewissen flächen
Formen abzudrücken, um ihnen die Gestalt des heilL n Nikolaus, des kinder-
freundlichen Bischofs von Mira, zu verleihen. Mehr als in Aachen wird dieses
Formen noch heute in Köln geübt. Hier auch ist die Hauptstätte der Speku-
latiusfabrikation. Der Spekulatius ist ein mürbes, süßes Gebäck, das den Cakes
ähnelt und sich in großen und kleinen Figuren weihnachtlichen Charakters dar-
bietet. Das Wort soll vom lateinischen speculor, englisch to speculate, her-
stammen, weil gegrübelt werden muß, um die wenig deutlichen Darstellungen der
Figuren zu erkennen. Und weiter der
Auch er ist ehrwürdig
an Alter, hat er doch die Festtafel
unserer Vorfahren bereits in den Tagen
der Renaissance geziert. Manche fein
gestochene Holzform in den Kunst-
gewerbemuseen zeugt für die Sorgfalt,
mit der ihm ein schönes, künstlerisch
anmutendes Außere gegeben wurde.
Die Folgezeit ist in diesem künstleri-
schen Bestreben nicht zurückgeblieben.
Viele Städte streiten sich heute urn die
Ehre, Hochburgen der Marzipanfabri-
kation zu sein — jedenfalls können
Königsberg und Lübeck auf solche Ehre
vollen Anspruch erheben.
Was der Keller zum deutschen
Weihnachtsschmaus hergibt, läßt sich
in Anbetracht der Unmenge trink-
barer Stoffe, über welche das Land des
Bacchus und Gambrinus verfügt, nicht
spezialisieren. Doch sei hervorgehoben,
daß deutscher Schaumwein sich zu acht-
barer Höhe emporgeschwungen hat, so
daß er hinreichend befähigt ist, die
deutschen Weihnachten wunderbar ver-
herrlichen zu helfen. Gleichwohl ge-
nießen auch Punsch und Glühwein Ver-
ehrung. Da die drei Könige aus dem
Morgenlande dem Kinde unter ihren
vielen Gaben auch Gewürz darbrachten,
so galt in älterer Zeit stark gewürzter
Glühwein als das eigentliche Weih-
nachtsgetränk. Doch wird heute dieser
feine Hinweis auf die zur Anbetung
angereisten Könige Kaspar, Melchior
und Balthasar wenig beachtet, vielmehr
dem persönlichen Geschmacke bei der
Wahl des Getränks gefolgt, ein dem
menschlichen Befinden sehr wohl be-
kömmlicher Fortschritt.
Ruhe, Frohsinn, Behagen, alle diese
Stimmungselemente strömen in die
deutschen Weihnachten zusammen. Es
erschließen sich die Herzen in gegen-
seitiger Dankbarkeit, Liebe und Ver-
ehrung. Der strahlende Stern von
Bethlehem hat das Licht der Freude
gesandt — es hat sich ausgebreitet weit-
hin und läßt für eine Weile die dunkien
Stellen des Lebens verschwinden. Aber
es sei nicht vergessen, daß zur Weih-
nachtsfreude auch Küche und Keller
erheblich beitragen — sie, in denen
nicht zum geringsten das Familienglück
wurzelt, dessen Zauber gerade in den
Weihnachtstagen so weich und lind zu
spüren ist, als sei schon mit seiner
Blütenpracht der lichte Frühling da.
XXVII. 27.
Bruno Liljefors: Birkhiihner im Schnee.
105
Kopf des ehemals dem Fro geweihten Ebers, im Rüssel die gelbe Zitrone,
und der stolze Vogel der seligen Juno, der Pfau, gebacken in einer Pastete, aus
der vorn sein Kopf mit vergoldetem Schnabel und hinten sein farbenschillernder
prächtiger Schweif hervorragt. Auch fehlen nicht der riesige Plumpudding
und die dick mit Rosinen versetzte Plumsuppe, gekocht mit dem Trifolium
„Pute, Gans und Kapaun“. Dazu als Getränk die berühmte „Lammwolle“, ge-
braut aus Ale, Ingwer und Muskatnuß, oder feiner aus stark gezuckerten und
gewürzten schweren Weinen.
Wo die Tradition weniger lebendig ist, fallen der gefüllte Eberkopf und
die Pfaupastete fort, aber der Pudding und die Suppe dürfen ebenso wenig wie
der saftig gebliebene Ochsenlendenbraten fehlen. Ebenso glänzende Leistungen
der Küche wie dieser Braten, der „underdone“ ist, sind die mit Rosinen, Zucker
und Gewürz wunderlieblich gemischten Yule- oder Christmas-Fleischpasteten.
In feiner Anspielung auf die Geburtsstätte zu Bethlehem wird ihnen häufig
die Form einer Krippe gegeben. Ähnlich zart weisen die Bäcker auf die Vorgänge
der Weihnacht mit einem als Wickelkind gestalteten Gebäck hin. Vielerlei Cakes
und mancherlei Näschereien des In- und Auslandes, unter denen Jams und
Preserves eine Rolle spielen und China mit kandierten oder in Syrup abge-
kochtem Ingwer, kandierter Ananas, Citronat und „Canton chow-chow“, einem
Gemische verschiedener Früchte, Wurzeln und Bambussprossen, äußerst wohl-
schmeckend vertreten ist, gesellen sich
hinzu, um die englischen Festtage
kulinarisch sehr erträglich erscheinen
zu lassen, und ufn so mehr, als in
den bemittelten Familien den feinsten
Marken Claret, Uock und Sekt fleißig
zugesprochen wird.
Aber den Deutschen locken nicht
die englischen und skandinavischen
Schmausereien, auch nicht die hollän-
dischen, obwohl die Frauen im Lande
der Mynheers in der Kunst des Kochens
außerordentlich erfahren sind und der
hohen Anerkennung, welche ihnen schon
vor Jahrhunderten berühmte Maler, wie
Netscher, Metsu, Bosch, Dou und Maes
in brillanten Küchenbildern gezollt
haben, noch heute bestens entsprechen.
Ihn bestricken auch nicht die französi-
schen Genüsse, unter denen zur Weih-
nachtszeit „Dinde de Noel ä la pro-
vencjale“ obenan steht, und ebenso wenig
die russischen, zu denen Birkwild,
Schneehühner, Sterlett und der feinste
Kaviar, großkörniger Kaiser Molossol,
gehören. Was ihn reizt, ihn mit dem
Enthusiasmus des Gourmets erfüllt, ihn
für die vor Beginn des Festes doppelt
und dreifach geleistete Arbeit reichlich
entschädigt, ist jener stattliche, fleisch-
und fettreiche Vogel, der vormals durch
sein Geschnatter das römische Kapitol
gerettet hat, ist prosaisch gesprochen,
die genudelte, mit Apfeln und Maronen
gefüllte, sorglich gebratene Gans, sind
ferner die schon von unsern Vorfahren
hochverehrten Karpfen und die schmack-
haften Mohnpilen oder Mohnklöße. Be-
sonders in Norddeutschland darf die
Gans zum Weihnachtsschmaus nicht
fehlen. Sie nimmt den Ehrenplatz auf
der Tafel ein und gibt Anlaß zu inter-
essanten Debatten über Preis, Gewicht,
Fettgewinn, Füllungsmethoden und
sonstige Wichtigkeiten, die der Haus-
frau am Herzen liegen. Den Karpfen
wendet sich das gleiche Interesse zu.
Natürlich handelt es sich um Karpfen
in Bier, also um solche nach polnischer
Art. Weihnachten 1710 speiste sie der
weitgereiste Conrad Zacharias von
Uffenbach, ein reicher Frankfurter Patri-
zier, in einem stillen Städtchen des
Harzes, und zwar mit solchem Ent-
zücken, daß er die von der Frau Wirtin
mitgeteilte Art der Zubereitung in sein
Tagebuch eintrug. Es ergibt sich dar-
aus, daß die polnische Art ihrer Zuberei-
tung damals in Deutschland noch wenig
bekannt war, während sie heute allgemein verbreitet ist. Gewisse Näschereien
dürfen an der deutschen Weihnacht ebenfalls nicht fehlen. Früher wurden
sie von den Hausfrauen selbst hergestellt, heute sind sie Gegenstand einer
ausgedehnten Fabrikation. Der Nürnberger Pfefferkuchen hat schon im Mittel-
alter ausgezeichneten Ruf gehabt — er wurde mit den großen Frachtwagen
der Handelsherren sogar nach Italien gesandt, wo er hochgeschätzt wurde.
Kein Wunder, daß er gut war, denn an Ilonig fehlte es ihm nicht, lag
doch der große Reichswald, genannt „des heiligen römischen Reiches Bienen-
garten“, vor den Toren der Stadt. Am Rhein werden seit alter Zeit Printen
und Spekulatius bevorzugt. Die Printen, ebenfalls reich an Flonig, sind dem
Pfefferkuchen verwandt, nur sind sie fester und dünner als dieser. Sie tragen
ihren Narnen vom englischen „Print“, das Beidruck, Abdruck, Form bedeutet,
wie es denn schon frühzeitig Brauch war, die Printen aus gewissen flächen
Formen abzudrücken, um ihnen die Gestalt des heilL n Nikolaus, des kinder-
freundlichen Bischofs von Mira, zu verleihen. Mehr als in Aachen wird dieses
Formen noch heute in Köln geübt. Hier auch ist die Hauptstätte der Speku-
latiusfabrikation. Der Spekulatius ist ein mürbes, süßes Gebäck, das den Cakes
ähnelt und sich in großen und kleinen Figuren weihnachtlichen Charakters dar-
bietet. Das Wort soll vom lateinischen speculor, englisch to speculate, her-
stammen, weil gegrübelt werden muß, um die wenig deutlichen Darstellungen der
Figuren zu erkennen. Und weiter der
Auch er ist ehrwürdig
an Alter, hat er doch die Festtafel
unserer Vorfahren bereits in den Tagen
der Renaissance geziert. Manche fein
gestochene Holzform in den Kunst-
gewerbemuseen zeugt für die Sorgfalt,
mit der ihm ein schönes, künstlerisch
anmutendes Außere gegeben wurde.
Die Folgezeit ist in diesem künstleri-
schen Bestreben nicht zurückgeblieben.
Viele Städte streiten sich heute urn die
Ehre, Hochburgen der Marzipanfabri-
kation zu sein — jedenfalls können
Königsberg und Lübeck auf solche Ehre
vollen Anspruch erheben.
Was der Keller zum deutschen
Weihnachtsschmaus hergibt, läßt sich
in Anbetracht der Unmenge trink-
barer Stoffe, über welche das Land des
Bacchus und Gambrinus verfügt, nicht
spezialisieren. Doch sei hervorgehoben,
daß deutscher Schaumwein sich zu acht-
barer Höhe emporgeschwungen hat, so
daß er hinreichend befähigt ist, die
deutschen Weihnachten wunderbar ver-
herrlichen zu helfen. Gleichwohl ge-
nießen auch Punsch und Glühwein Ver-
ehrung. Da die drei Könige aus dem
Morgenlande dem Kinde unter ihren
vielen Gaben auch Gewürz darbrachten,
so galt in älterer Zeit stark gewürzter
Glühwein als das eigentliche Weih-
nachtsgetränk. Doch wird heute dieser
feine Hinweis auf die zur Anbetung
angereisten Könige Kaspar, Melchior
und Balthasar wenig beachtet, vielmehr
dem persönlichen Geschmacke bei der
Wahl des Getränks gefolgt, ein dem
menschlichen Befinden sehr wohl be-
kömmlicher Fortschritt.
Ruhe, Frohsinn, Behagen, alle diese
Stimmungselemente strömen in die
deutschen Weihnachten zusammen. Es
erschließen sich die Herzen in gegen-
seitiger Dankbarkeit, Liebe und Ver-
ehrung. Der strahlende Stern von
Bethlehem hat das Licht der Freude
gesandt — es hat sich ausgebreitet weit-
hin und läßt für eine Weile die dunkien
Stellen des Lebens verschwinden. Aber
es sei nicht vergessen, daß zur Weih-
nachtsfreude auch Küche und Keller
erheblich beitragen — sie, in denen
nicht zum geringsten das Familienglück
wurzelt, dessen Zauber gerade in den
Weihnachtstagen so weich und lind zu
spüren ist, als sei schon mit seiner
Blütenpracht der lichte Frühling da.
XXVII. 27.
Bruno Liljefors: Birkhiihner im Schnee.