Porträt-
Von Qeorg
fäw ieZeit liegt nicht weit zurück,
da die graphische Kunst
sich vornehmlich in repro-
duzierender Richtung bewegte. Ihre
Vertreter, meist Stecher, denn
Radierer gab es wenige, fanden ein
Genügen darin, die Bilder hervor-
ragender und beliebter Meister in
Schwarz-Weiß zu übersetzen und
mithin auf die höchste Note künst-
lerischen Schaffens: das Erfinden
und Gestalten der Idee zum Kunst-
werk, zu verzichten. Die Idee stand
ihnen in Formen und Farben fertig
zur Verfügung — sie beugten sich
bereitwilligst der Subjektivität des
Malers, sie schauten die Natur mit
seinen Augen an, und so folgten
sie, mochte ihre graphische Technik
auch noch so glänzend sein, doch
immer nur den Spuren, die ihnen
der andere gewiesen. Man staunt
über die Geduld und Selbstlosigkeit,
mit der mancher von ihnen einhalbes
oder gar ein ganzes, Dutzend Jahre
über einer Platte saß, um Raffaels
SixtinischeMadonna oder einanderes
bedeutendes Werk der Malerei zu
stechen, und staunt ebenso über
den Euphemismus, daß der Stecher
dem großen Maler kongenial sei,
denn das Aufgeben des Eigenwillens
war Bedingung dieser Kunst.
Es konnte nicht ausbleiben,
daß gegen solche Unterordnung der
immer schärfer auftretende moderne
Individualismus sich auflehnte — die
Jugend unter den Graphikern wollte
selbst erfinden, selbst ihr künst-
lerisches Empfinden ungehemmt
äußern, selbst original sein. Die
Schongauer, Dürer und Rembrandt
waren als Graphiker ja auch original
gewesen. Besonders die Jünger der
nach langem Stillstande kräftig
aufsteigenden Radierkunst liefen
Sturm gegen die Reproduktion, und
sogar ein Künstler wie Köpping, der
schon manchen Rembrandt meister-
lich reproduziert hatte, gelobte, hin*
fort nur noch seine eignen Komposi-
tionen zu radieren. „Der Wiedergabe
eines Bildes“, so schrieb er damals, „wird immer etwas Unfreies anhaften müssen
gegenüber einem originalen Werke der Radierkunst, bei welchem Komposition,
Zeichnung, Farbe und Vortrag aus einer Wurzel herauswuchsen und bei dem der
Künstler in seiner Sprache Gedanken ausspricht, welche in dieser Sprache selbst
gedacht sind. Und so ist denn, was mich antreibt, der Originalradierung mich
zuzuwenden, nicht allein bloß die Freude, mich dort auf einem Gebiet ergehen
zu können, welches eine vielseitigere Tätigkeit ermöglicht als die reproduzierende
Radierung, es ist auch die Erkenntnis, daß selbst die der reproduzierenden
Radierung einzig übrigbleibende Seite künstlerischen Tuns, der technische
Vortrag, viel glänzender, weil freier in der Originalradierung sich entwickeln
kann.“
Unsere modernen Kunstausstellungen bieten für den unter dieser veränderten
Richtung erfolgten mächtigen Aufschwung der graphischen Kunst die erfreu-
lichsten Beweise. Der reproduzierende Linienstich mag stark in den Hintergrund
getreten sein, aber um so trefflicher haben sich als Originalkunst Radierung
und ebenso Lithographie entwickelt. Für das siegreiche Vordringen der
Originalradierung und Originallithographie ist bezeichnend, daß sie sich trotz des
gewaltigen Wettbewerbs der Photographie das Porträt erobern. Der Photo-
graphie Ubles nachzusagen, liegt sicherlich keine Veranlassung vor, denn die
Kunst ist ihr zu hohem Danke verpflichtet. Aber das läßt sich doch nicht
leugnen, daß dem photographierten Bild einer Person das eigentliche Salz eines
von Künstlerhand geschaffenen Porträts abgeht: die Verschmelzung aller Merk-
Radierungen.
c/Z /
o><^j2-€7
Erich Heermann: Leo Slezak, Kammersänger.
Verlag Deutsche Kunstdruck-Gesellschaft, Berlin,
Rhenanus.
[Nachdruck verboten.]
male des äußeren und inneren
Lebens zu einem Charakter, zu einer
geistig ganz bestimmt geprägten Per-
sönlichkeit. Was der Künstler durch
sein Empfinden hindurchgehen läßt,
kann die Photographie nicht geben.
Unter den Porträtradierern hat
sich in den letzten Jahren Erich Heer-
mann vorteilhaft bemerkbar ge-
macht. Geboren 1880 zu Liegnitz,
erhielt er seine erste künstlerische
Vorbildung an den Kunstgewerbe-
schulen zu Innsbruck und München.
Später, im Jahre 1901, erschloß sich
ihm die Münchener Akademie. Hier
genoß er den fördernden Unterricht
in der Radierklasse des trefflichen
Prof. Peter Halm. In reger Tätig-
keit schuf der junge Akademiker
eine stattliche Reihe kunstgewerb-
licher Entwürfe und graphischer
Originalarbeiten, durch die sein
frisches Talent weiteren Kreisen
vorteilhaft bekannt wurde. Von
München zog es ihn 1908 nach
Berlin, wo er sich dauernd nieder-
gelassen hat. Obwohl schon längst
selbständig arbeitend, war er noch
vier Jahre als Meisterschüler in
Köppings Atelier tätig. So ist er in
den Besitz einer soliden Technik
gelangt, der sich ein feines künst-
lerisches Empfinden und ein klarer
Blick für das Charakteristische der
Erscheinungen beigesellen.
Verschiedene Proben seinerKunst
sind diesen Zeilen beigefügt. Sie
Iassen die außerordentliche Sorgfalt,
mit der er den intimsten Besonder-
heiten des äußeren Menschen nach-
geht, deutlich erkennen. Aber trotz
dieses subtilen Eingehens ins Detail
ist die geschlossene Gesamtwirkung
gewahrt, und auch das geistige Ele-
ment gelangt zu seinem Rechte. An
gewissenhafter Durchmodellierung,
Originalität der Auffassung, feiner
Charakteristik und bildartiger Wir-
kung steht obenan das Porträt
des Rittergutsbesitzers und Groß-
industriellen von Kulmiz, eines
Schwagers des ebenfalls in einem
Bildnis en profil wiedergegebenen Chefs des Generalstabs der Armee von
Moltke. Ebenso lebendig erfaßt und fein durchgeführt sind die von Frohsinn
durchleuchteten Züge des Kammersängers Leo Slezak. Das Porträt des öster-
reichischen Erzherzogs Eugen, Hoch- und Deutschmeisters, aus dessen männ-
lich-schönem Antlitz ein liebenswürdiger Geist strahlt, und das groß blickende
Bildnis eines geschätzten Meisters der Plastik, des dänischen Bildhauers Stephan
Sinding, rnögen im Verein mit dem Idealkopf einer Salome und einem Rückenakt
die Vorstellung von Heermanns Können vervollständigen. Es ist anzunehmen,
daß die Porträtradierung heut in weiten Kreisen an Bedeutung und Ansehen zu-
nehmen wird. Sie hat sich schon jetzt ein Terrain erobert, das viele Jahre brach-
gelegen hat — brachgelegen unverdienternraßen.
Zum Schluß mag eine heitere Episode nicht unerwähnt bleiben, bei der sich
der Künstier, dessen hier Erwähnung geschehen ist, in origineller Weise kaiser-
lichen Dank erwarb. Heermann sandte im Jahre 1906 die ersten Exemplare
zweier Jubiläumspostkarten, die er für den 27. Januar, den 150. Geburtstag
Mozarts, radiert hatte, „zur Erinnerung an Salzburgs größten Sohn“ flottweg als
Drucksache ohne Absenderadresse an Kaiser Wilhelm, dessen Geburtstag be-
kanntlich ebenfalls auf den 27. Januar fällt. Und die Folgen blieben nicht aus,
denn — o Schrecken! — ein gefürchteter Mann, der Gendarm, der Heermann
in seinem Elternhause in Tirol ermittelt hatte, tauchte auf, steckte ihn aber
nicht ein, sondern kündigte ihm ein Schreiben an, welches dann auch einige Tage
später eintraf und ihm den kaiserlichen Dank durch die Botschaft übermittelte.
XXVII 09,
Von Qeorg
fäw ieZeit liegt nicht weit zurück,
da die graphische Kunst
sich vornehmlich in repro-
duzierender Richtung bewegte. Ihre
Vertreter, meist Stecher, denn
Radierer gab es wenige, fanden ein
Genügen darin, die Bilder hervor-
ragender und beliebter Meister in
Schwarz-Weiß zu übersetzen und
mithin auf die höchste Note künst-
lerischen Schaffens: das Erfinden
und Gestalten der Idee zum Kunst-
werk, zu verzichten. Die Idee stand
ihnen in Formen und Farben fertig
zur Verfügung — sie beugten sich
bereitwilligst der Subjektivität des
Malers, sie schauten die Natur mit
seinen Augen an, und so folgten
sie, mochte ihre graphische Technik
auch noch so glänzend sein, doch
immer nur den Spuren, die ihnen
der andere gewiesen. Man staunt
über die Geduld und Selbstlosigkeit,
mit der mancher von ihnen einhalbes
oder gar ein ganzes, Dutzend Jahre
über einer Platte saß, um Raffaels
SixtinischeMadonna oder einanderes
bedeutendes Werk der Malerei zu
stechen, und staunt ebenso über
den Euphemismus, daß der Stecher
dem großen Maler kongenial sei,
denn das Aufgeben des Eigenwillens
war Bedingung dieser Kunst.
Es konnte nicht ausbleiben,
daß gegen solche Unterordnung der
immer schärfer auftretende moderne
Individualismus sich auflehnte — die
Jugend unter den Graphikern wollte
selbst erfinden, selbst ihr künst-
lerisches Empfinden ungehemmt
äußern, selbst original sein. Die
Schongauer, Dürer und Rembrandt
waren als Graphiker ja auch original
gewesen. Besonders die Jünger der
nach langem Stillstande kräftig
aufsteigenden Radierkunst liefen
Sturm gegen die Reproduktion, und
sogar ein Künstler wie Köpping, der
schon manchen Rembrandt meister-
lich reproduziert hatte, gelobte, hin*
fort nur noch seine eignen Komposi-
tionen zu radieren. „Der Wiedergabe
eines Bildes“, so schrieb er damals, „wird immer etwas Unfreies anhaften müssen
gegenüber einem originalen Werke der Radierkunst, bei welchem Komposition,
Zeichnung, Farbe und Vortrag aus einer Wurzel herauswuchsen und bei dem der
Künstler in seiner Sprache Gedanken ausspricht, welche in dieser Sprache selbst
gedacht sind. Und so ist denn, was mich antreibt, der Originalradierung mich
zuzuwenden, nicht allein bloß die Freude, mich dort auf einem Gebiet ergehen
zu können, welches eine vielseitigere Tätigkeit ermöglicht als die reproduzierende
Radierung, es ist auch die Erkenntnis, daß selbst die der reproduzierenden
Radierung einzig übrigbleibende Seite künstlerischen Tuns, der technische
Vortrag, viel glänzender, weil freier in der Originalradierung sich entwickeln
kann.“
Unsere modernen Kunstausstellungen bieten für den unter dieser veränderten
Richtung erfolgten mächtigen Aufschwung der graphischen Kunst die erfreu-
lichsten Beweise. Der reproduzierende Linienstich mag stark in den Hintergrund
getreten sein, aber um so trefflicher haben sich als Originalkunst Radierung
und ebenso Lithographie entwickelt. Für das siegreiche Vordringen der
Originalradierung und Originallithographie ist bezeichnend, daß sie sich trotz des
gewaltigen Wettbewerbs der Photographie das Porträt erobern. Der Photo-
graphie Ubles nachzusagen, liegt sicherlich keine Veranlassung vor, denn die
Kunst ist ihr zu hohem Danke verpflichtet. Aber das läßt sich doch nicht
leugnen, daß dem photographierten Bild einer Person das eigentliche Salz eines
von Künstlerhand geschaffenen Porträts abgeht: die Verschmelzung aller Merk-
Radierungen.
c/Z /
o><^j2-€7
Erich Heermann: Leo Slezak, Kammersänger.
Verlag Deutsche Kunstdruck-Gesellschaft, Berlin,
Rhenanus.
[Nachdruck verboten.]
male des äußeren und inneren
Lebens zu einem Charakter, zu einer
geistig ganz bestimmt geprägten Per-
sönlichkeit. Was der Künstler durch
sein Empfinden hindurchgehen läßt,
kann die Photographie nicht geben.
Unter den Porträtradierern hat
sich in den letzten Jahren Erich Heer-
mann vorteilhaft bemerkbar ge-
macht. Geboren 1880 zu Liegnitz,
erhielt er seine erste künstlerische
Vorbildung an den Kunstgewerbe-
schulen zu Innsbruck und München.
Später, im Jahre 1901, erschloß sich
ihm die Münchener Akademie. Hier
genoß er den fördernden Unterricht
in der Radierklasse des trefflichen
Prof. Peter Halm. In reger Tätig-
keit schuf der junge Akademiker
eine stattliche Reihe kunstgewerb-
licher Entwürfe und graphischer
Originalarbeiten, durch die sein
frisches Talent weiteren Kreisen
vorteilhaft bekannt wurde. Von
München zog es ihn 1908 nach
Berlin, wo er sich dauernd nieder-
gelassen hat. Obwohl schon längst
selbständig arbeitend, war er noch
vier Jahre als Meisterschüler in
Köppings Atelier tätig. So ist er in
den Besitz einer soliden Technik
gelangt, der sich ein feines künst-
lerisches Empfinden und ein klarer
Blick für das Charakteristische der
Erscheinungen beigesellen.
Verschiedene Proben seinerKunst
sind diesen Zeilen beigefügt. Sie
Iassen die außerordentliche Sorgfalt,
mit der er den intimsten Besonder-
heiten des äußeren Menschen nach-
geht, deutlich erkennen. Aber trotz
dieses subtilen Eingehens ins Detail
ist die geschlossene Gesamtwirkung
gewahrt, und auch das geistige Ele-
ment gelangt zu seinem Rechte. An
gewissenhafter Durchmodellierung,
Originalität der Auffassung, feiner
Charakteristik und bildartiger Wir-
kung steht obenan das Porträt
des Rittergutsbesitzers und Groß-
industriellen von Kulmiz, eines
Schwagers des ebenfalls in einem
Bildnis en profil wiedergegebenen Chefs des Generalstabs der Armee von
Moltke. Ebenso lebendig erfaßt und fein durchgeführt sind die von Frohsinn
durchleuchteten Züge des Kammersängers Leo Slezak. Das Porträt des öster-
reichischen Erzherzogs Eugen, Hoch- und Deutschmeisters, aus dessen männ-
lich-schönem Antlitz ein liebenswürdiger Geist strahlt, und das groß blickende
Bildnis eines geschätzten Meisters der Plastik, des dänischen Bildhauers Stephan
Sinding, rnögen im Verein mit dem Idealkopf einer Salome und einem Rückenakt
die Vorstellung von Heermanns Können vervollständigen. Es ist anzunehmen,
daß die Porträtradierung heut in weiten Kreisen an Bedeutung und Ansehen zu-
nehmen wird. Sie hat sich schon jetzt ein Terrain erobert, das viele Jahre brach-
gelegen hat — brachgelegen unverdienternraßen.
Zum Schluß mag eine heitere Episode nicht unerwähnt bleiben, bei der sich
der Künstier, dessen hier Erwähnung geschehen ist, in origineller Weise kaiser-
lichen Dank erwarb. Heermann sandte im Jahre 1906 die ersten Exemplare
zweier Jubiläumspostkarten, die er für den 27. Januar, den 150. Geburtstag
Mozarts, radiert hatte, „zur Erinnerung an Salzburgs größten Sohn“ flottweg als
Drucksache ohne Absenderadresse an Kaiser Wilhelm, dessen Geburtstag be-
kanntlich ebenfalls auf den 27. Januar fällt. Und die Folgen blieben nicht aus,
denn — o Schrecken! — ein gefürchteter Mann, der Gendarm, der Heermann
in seinem Elternhause in Tirol ermittelt hatte, tauchte auf, steckte ihn aber
nicht ein, sondern kündigte ihm ein Schreiben an, welches dann auch einige Tage
später eintraf und ihm den kaiserlichen Dank durch die Botschaft übermittelte.
XXVII 09,