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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 27.1912/​1913

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13. Heft
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Friedrich, Paul: Friedrich Hebbels Frauengestalten
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Anwand, Oskar: Karl Hagemeister
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https://doi.org/10.11588/diglit.31170#0378

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MÜDERNK KUNST.

165

K. Hagemeister: Herbstlandschaft. Aus den Kunstausstellungen Ed. Schulte, Berlin und Düsseldorf.

will. Ist Maria Magdalena das Opfer einer dumpfen Moral des Volks, so ist
Agnes das Opfer der vom Feudaladel geprägten „Unebenbürtigkeit“, der gleichen,
wegen der auch Luise Millerin in „Kabale und Liebe“ untergeht. Die schönste
Szene dieses „Deutschen Trauerspiels“ ist die, in der Agnes glaubt, daß Herzog
Albrecht sie nur zur Geliebten begehre und ihn den Zorn ihres verletzten
Stolzes und ihrer scheinbar beschimpften Keuschheit empfinden läßt. In dieser
Szene spricht die Germanin am stärksten aus ihr, die Schwester der rauheren
und wilderen Thusnelda aus Kleists vaterländischem Rache- und Germanenlied.
Weitaus am gewaltigsten und unerbittlichsten ist Hebbels tragische Kunst in
„Herodes und Mariamne“, seinem tiefsten und erschütterndsten Draraa. Hier
verletzt die rohe und brutale Herrschgier der Liebe des Herodes durch seine
wahnsinnige Eifersucht zweimal aufs tiefste den Menschen und das Weib in
Mariamne, der stolzen und ihrem Gatten keusch ergebenen Maccabäerin. Das
erstemal konnte sie es ihm verzeihen, daß „er sie unters Schwert gestellt“,
damit sie sterbe, falls er sterben sollte; das zweitemal ist es zuviel. Sie hat
mit der Achtung vor ihm auch ihre Liebe verloren und erweckt mit Absicht in
ihm den Argwohn, daß sie ihm die Treue brach. Stumm und königlich geht sie in
den Tod in stolzer Keuschheit und Unnahbarkeit wie eine altgermanische Velleda.

Was in „Herodes und Mariamne“ die Eifersucht vernichtet, vernichtet in
„Gyges und sein Ring“ umgekehrt die Genußgier des Mannes. Kandaules will
sich nicht allein seines verborgenen Schatzes freuen, er gibt Gyges den ihm
geschenkten unsichtbar machenden Ring für eine Nacht zurück und Iäßt ihn

seine Gattin Rhodope sehn. Als diese erfährt, was ihr geschehn, fordert sie
von Gyges den Tod ihres Gatten und seine Hand. Aber sie vermählt sich nach
dem Fall des Königs nur zum Schein mit dem, der sie entweiht hatte, und
ersticht sich. Auch hier ist es schon bis auf die äußerste Spitze geschraubt,
das Keuschheitsproblem, urn das sich alles dreht. Am gewaltigsten von allen
Frauengestalten Hebbels ist zweifellos die Kriemhild in den „Nibelungen“, deren
Zeichnung von der des alten Liedes nicht abweicht. Ihre Liebe gehört Sieg-
fried, dann erst recht, als er durch Hagens Verrat fiel. Nun schlägt die Liebe
zu dem Toten in blutigen Haß gegen seine Mörder um, und sie ruht nicht, bis
sie alle ihre Feinde vernichtet hat.

Resumierend darf ich die Worte aus meinem Aufsatz über „Das Frauenideal
der Bühne“ über die Hebbelschen Frauengestalten anführen: „Auch bei ihnen
steht nicht irgend ein blutloses Ideal im Mittelpunkte ihres Lebens, sondern
ihre Natur, ihr Geschlechtsempfinden . . . Aber bei dem Friesen Hebbel ist
das Weib noch das Symbol der Keuschheit. Sobald es seine Keuschheit ver-
liert, ist es kein Weib mehr. Seine Menschen und besonders seine Frauen
haben etwas ungeheuer Starres, Herbes und Strenges. Das alttestamentarische
„Auge um Auge, Zahn um Zahn“ lebt in ihnen allen. Es fehlt ihnen scheinbar
das Weiche, Schmiegsame. Aber was sie dadurch verlieren, gewinnen sie an
königlicher Hoheit und Größe.“ Hebbels Problem ist entwicklungsarm, es bleibt
ein geschlossener Kreis. Aber es hat seinen Mittelpunkt in der Krone der Sitt-
lichkeit: „Keuschheit und edlem Stolz“.


Juirl JHagcmcisfer.

Von Dr. Oskar Anwand.


fs klingt in unserm Jahrhundert der Zeitungen mit ihrer Massensuggestion und
des Zusammenschlusses der Bevölkerung in den großen Städten fast wie eine
_ _l Mär, daß einst tief veranlagte Naturen unbekümmert um das Urteil ihrer Mit-
menschen und die Ehre der Welt sich von ihnen zurückzogen, um in der Stille ihren
Gott zu suchen. Und dennoch gibt es auch heute noch solche Persönlichkeiten! Das
hat kurz vor seinem Tode Leo Tolstoi bewiesen, als er glaubte, auch seine Familie
der inneren Stimme wegen verlassen zu müssen. Sieht man aber von religiösen
Motiven ab, wieviel Künstler suchen die Stille der Natur auf, um wie Goethe ihre
Brüder im „stillen Busch, in Luft und Wasser" zu erkennen und ihr Treiben wieder-
zugeben. Franz von Assisi, an dessen Worte die Goethes anklingen, stellt ja eine
Brücke zwischen dem Propheten und der Naturliebe des Künstlers dar. Freilich wie selten

- [Nachdruck verboten.]

ist unter ihnen die hohe Kraft des Absehens vom Tagesruhm, die innige Beschränkung
auf das Leben mit der Natur und die Versenkung einzig in ihr Weben, wie sie Karl Hage-
meister bewies. Bis vor kurzem hat er sehr selten Ausstellungen beschickt, von denen
seine Bilder, deren Wert man übersah, häufig zurückgewiesen wurden. So schaltete
er die Außenwelt fast gänzlich aus und ließ keine fremde Macht mehr zwischen sich
und die Natur treten, ein Einsiedler der Malerei. Ein halb frohes, halb überlegenes
Lächeln mag über seine Züge gegangen sein, da man den Alten schließlich doch
noch entdeckte.

Es ist kein Zufall, daß uns in den letzten Jahren zugleich zwei Persönlichkeiten
erstanden sind, die mit starker Ausschließlichkeit nur ihrem Künstlerberufe folgten, ohne
sich um Erfolg und Nichterfolg zu kümmern: Kar! Schuch und Karl Hagemeister.

XXVII. 42.
 
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